Das Airbus-Debakel

Was gegenwärtig bei Airbus passiert, halten viele für einen Unfall und bloßes Managementversagen. In Wirklichkeit handelt es sich um das Vorspiel eines kommenden Desasters. Exemplarisch lässt sich an den Vorgängen rund um den europäischen Airbus das Dilemma veranschaulichen, in dem sich die Wirtschaftspolitik insgesamt befindet. Exemplarisch lässt sich aber auch zeigen, wie schmerzhaft und auf den ersten Blick geradezu abwegig jede Alternative dazu erscheint – auch die von mir und in Ansätzen auch von Gabor Steingart propagierte. Was immer Deutschland und Europa in der Sache Airbus auch tun, die Situation wird sich mit mathematischer Gewissheit und Zwangsläufigkeit verschlechtern. Der Abbau von nahezu zehntausend Arbeitsstellen in Deutschland, Frankreich, Spanien und England, den wir zurzeit erleben, ist nur der noch vergleichsweise unauffällige Beginn eines Niedergangs.

Warum führt an dem weiteren Niedergang der europäischen Raumfahrt kein Weg vorbei? Gewiss nicht deshalb, weil im A-380 die Verlegung der Kabel falsch geplant worden ist und der Auslieferungstermin sich deshalb verzögerte. Dadurch entstanden dem Konzern zwar gewaltige Kosten, aber zu den Entlassungen von zehntausend Mitarbeitern hätte es, wenn auch etwas später, in jedem Fall kommen müssen. Trotz prall gefüllter Auftragsbücher und ausgelasteter Standorte in Deutschland, Frankreich, Spanien und England, war Airbus schon zuvor nicht mehr gesund – und das obwohl Geschäftsführung und Politik, die sich beide gern für Erfolge belobigen lassen, keinen Vorwand versäumten, um einhellig das Gegenteil zu versichern. Airbus war aus dem einfachen Grund nicht länger gesund, weil sein Konkurrent, Boeing, seit einigen Jahren weit gesünder und damit weit wettbewerbsfähiger ist. Im Zeitalter eines globalen Wettbewerbs ist ein Konzern nicht deswegen krank, weil ihm selbst etwas fehlt, sondern weil sein Konkurrent gesünder ist. Schauen wir uns kurz an, worin der Wettbewerbsvorsprung von Boeing liegt.

Boeing produziert mittlerweile auf sämtlichen Kontinenten. Für den neuen 787 Dreamliner stellen japanische Ingenieure die Flügel, koreanische die abgebogenen Flügelspitzen, britische die Rolls-Royce-Motoren und Italiener und Texaner die horizontalen Stabilisatoren and den Rumpf her. Insgesamt 70 Prozent der Produktion dieses ab 2008 verkauften Modells werden außerhalb der USA hergestellt, mehr als 35% allein in Japan. Dafür gingen während der vergangenen sieben Jahre in Seattle an die fünfzigtausend Arbeitsplätze in der Luftfahrtindustrie verloren. Ein Blick auf die Verteilung der Standorte dieses Konzerns zeigt, dass Boeing eine an drei Zielen ausgerichtete Politik betreibt.

 

1) Produktion dort, wo die Qualität am größten ist. Aus diesem Grunde wurden einige Fabrikationsstätten vom Hauptquartier Seattle nach England, Kanada und Japan verlagert, wo die Kosten gleich hoch oder höher sind.

2) Produktion dort wo sie bei ausreichender oder gleicher Qualität am billigsten ist. Diese Strategie führte zur Auslagerungen nach China und in andere Billiglohnländer.

3) Anteilsmäßige Produktion, dort, wo sich die großen Käufer befinden. Deswegen hat der Konzern bedeutende Teile der Fertigung nach Japan verlegt und wird in Zukunft vermehrt nach China auslagern. So konnte sich Boeing aufgrund des hohen japanischen Produktionsanteils (35 Prozent) dort einen Marktanteil von 96% verschaffen. Dieser Gesichtspunkt spielt schon heute eine überragende Rolle bei Auslagerungen. Immerhin kamen 2005 vierzig Prozent aller Bestellungen für neue Flugzeuge aus Asien, gegenüber 17% aus Europa und 11% aus Nordamerika!

 

Es ist abzusehen, dass alle großen Abnehmerländer, also nicht nur Europa, USA und Japan sondern auch China und Indien bald technologisch auf gleicher Augenhöhe stehen. China ist bisher erst minimal an der Produktion für die zivile Luftfahrt beteiligt, wertmäßig mit weniger als einem Prozent. Das ist jedoch ein irreführender Wert. Man muss seinen jeweiligen Anteil immer wenigsten mit dem Faktor zehn multiplizieren, da dort wesentlich geringere Herstellungskosten anfallen. Ziel drei, die anteilsmäßige Aufteilung der Produktion, wird in Zukunft zweifellos die größte Bedeutung für Auslagerungen besitzen. Boeing sichert sich dadurch nicht nur eine Marktführerschaft in Japan, die praktisch auf ein Monopol hinausläuft, sondern versucht andere Märkte auf die gleiche Art zu erobern.

Für die derart in die Produktion einbezogenen Länder ergeben sich daraus entscheidende Vorteile. Wenn sich im Idealfall Produktions- und Kaufanteil genau entsprechen, verdient kein Land mehr als das andere. Es leuchtet ein, warum diese Lösung jenen Ländern besonders entgegenkommt, die sich eine nationale Flugindustrie aufgrund der damit verbundenen Kosten nicht oder noch nicht leisten können. Ein anteilsmäßig auf allen Kontinenten verankerter und produzierender Konzern bietet die billigste und gerechteste Lösung für den globalen Bedarf.

Lange Zeit hat Airbus sich dieser Strategie verschlossen. Nach Möglichkeit sollten Standorte in Europa verbleiben und damit auch die heimische Produktion und heimische Arbeitsplätze erhalten. Genau hier liegt der Grund, warum Airbus heute auf dem Weltmarkt weniger konkurrenzfähig ist. Ziel drei ist dabei von besonderer Bedeutung. Wenn China oder Indien mit ihren Bestellungen ausschließlich europäische Standorte und Industrien (d.h. die Aktionäre, Arbeitskräfte und das Sozialsystem Europas) bezahlen, fahren sie weitaus schlechter, als wenn sie bei jedem Kauf zugleich auch eigene Leistungen honorieren, zumal wenn im Idealfall (wie ihn Japan bei Boeing schon erreichte) ihr eigener Anteil an der Produktion dem Volumen ihrer Einkäufe entspricht. Nur wenn Airbus technologisch seinem Konkurrenten Boeing weit überlegen wäre, würden die Käufer diesen Nachteil in Kauf nehmen wollen, aber ein solcher Unterschied ist nicht zu entdecken, und es ist abzusehen, dass bestehende technologische Vorsprünge angesichts der heute augenblicklich und weltweit erfolgenden Verbreitung der neuesten Technologien in Zukunft eine noch geringere Rolle spielen.

Um es zusammenzufassen, Boeing hat Airbus zunächst einmal mit Erfolg ausgestochen. Der Boeing-Jahresumsatz stieg 2006 um 15 Prozent auf 61,5 Milliarden Dollar, und Boeing verdiente 2,2 Milliarden Dollar. Die Verkehrsflugzeugsparte lieferte insgesamt 398 Flugzeuge aus oder 37 Prozent mehr als im Vorjahr. Dieser große Erfolg wurde allerdings mit Massenentlassungen von zehntausenden von Mitarbeitern in den USA erkauft. Boeing musste sich in einen transnationalen, frei schwebenden Konzern verwandeln, der seinem Ursprungsland USA vergleichsweise nur noch geringe Profite bringt. Wie schon gesagt, werden nur noch 30% des Dreamliners 787 in den Vereinigten Staaten selbst produziert.

Ob die Europäer es wollen oder nicht, durch sein Vorgehen zwingt Boeing Airbus dazu, einen Großteil seiner europäischen Standorte in Zukunft genauso zu opfern. Es ist bereits auf dem Wege dazu. Bis zu 60% des neuen Airbus A350 – Europas Antwort auf den Dreamliner 787 – sollen außerhalb von Europa verfertigt werden. China und Russland werden dabei in Zukunft eine größere Rolle spielen. Boeing und Airbus werden also in Zukunft nur noch dem Namen nach als amerikanischer bzw. europäischer Konzern firmieren, tatsächlich werden ihre Produktionsstätten weltweit und im Idealfall dem Einkaufsanteil entsprechend verteilt sein. Die Folge ist eine starke Reduzierung der Kosten, weil die auf Einzelteile spezialisierten Standorte – die einen produzieren Flügel, die anderen Leitwerke, die dritten Kabineneinrichtung und so weiter bis zu beliebiger Differenzierung – jeweils in Massenproduktion arbeiten können (zum Teil beliefern sie schon heute Boeing und Airbus) und daher weitaus rentabler sind, als wenn jedes Land seine eigene Flugzeugindustrie aufbauen würde, nur um eine Handvoll dort benötigter Flieger selbst produzieren zu können. Unter diesen Bedingungen kann man von einer »verteilten Vorortproduktion« sprechen. »Vorortproduktion« deshalb, weil jeder Staat (eher aber jeder große Wirtschaftsraum nach Art der EU) im Idealfall seinem Einkaufsvolumen entsprechend an der Produktion partizipiert und deshalb für seine Arbeitnehmer und sein Sozialprodukt gleich viel tut, als würde er eine nationale Flugindustrie betreiben. »Verteilt« deshalb, weil die weltweit verstreuten Standorte so vorgehen wie die einzelnen Produktionsabteilungen eines Betriebes. Jeder ist spezialisiert auf die Fertigung besonderer Komponenten. Mit dieser »verteilten Vorortproduktion« werden die zur Verfügung stehenden Ressourcen zweifellos auf optimale Weise genutzt, jeder Staat oder Wirtschaftsraum tut dann für die eigene Produktion und die eigenen Arbeitsplätze so viel wie in einer Welt, in der alle ein gleiches Recht darauf haben, überhaupt möglich ist.

Repräsentieren also Boeing und Airbus (sobald es dem Vorbild von Boeing folgt) die Idealform künftiger Weltkonzerne – Unternehmen, die alle nationalen Bindungen erfolgreich überwinden und für die Umwelt ein Maximum an Schonung versprechen? So könnte es auf den ersten Blick scheinen. Beim zweiten dagegen blicken wir in einen Abgrund von Schwierigkeiten.

Zwei grundsätzliche Hürden springen gleich zu Anfang ins Auge. Zunächst setzt das Bestehen derartiger Konzerne, deren spezialisierte Werkbänke sich über sämtliche wirtschaftlich bedeutenden Länder erstrecken, einen gesicherten Frieden voraus. Im Fall eines Krieges, der einen oder gar mehrere Standorte einbezieht, bricht die gesamte Produktion und damit auch der ganze Konzern und seine Versorgung augenblicklich zusammen, und zwar umso heilloser je besser das Ideal der spezialisierten und verteilten Produktion verwirklicht wurde. Es genügt, dass eine Komponente nicht mehr verfügbar ist, um die ganze Produktion lahm zu legen. Die Realisierung des ökonomischen Ideals setzt also auf Dauer notwendig die Verwirklichung des politischen Ideals einer starken Weltregierung voraus. Daran aber scheint bisher niemand zu glauben. Wenn sich Japan, vor allem aber China so sehr bemühen, eine eigene Flugindustrie aufzubauen, die Boeing und Airbus erfolgreich Konkurrenz machen kann, so genau aufgrund dieses fehlenden Vertrauens in eine friedliche Zukunft. Eine Erschütterung des Weltfriedens würde Konzerne mit verteilter Produktion wie Boeing und viele andere Transnationale schlicht zusammenbrechen lassen, während rein nationale oder wirtschaftsraumbezogene Flugfahrtindustrien, wie es heute noch Airbus ist oder ihre kommenden Pendants in China oder Indien schon bald sein werden, nicht in Gefahr geraten.

Die zweite Hürde erscheint vorläufig gleich unüberwindbar. Der Anteil, den ein Niedriglohnland durch Zulagerung an der Herstellung von Boeing gewinnt, ist ja, betrachten wir ihn einmal vom chinesischen Standpunkt, keinesfalls schon deshalb gerecht, weil das Produktionsvolumen dem des chinesischen Einkaufs von Boeingpassagiermaschinen entspricht. Denn China stellt diese Komponenten zu wesentlich niedrigeren Preisen her als Länder wie die USA oder Kanada, unter Umständen zu einem Zehntel der Kosten. Im Gegensatz zu den USA oder Kanada würde es deshalb bei einer gleichmäßigen Aufteilung des Produktionsvolumens keineswegs auf seine Kosten kommen, sondern nur dann, wenn es entsprechend einer, sagen wir, zehnmal billigeren Produktion auch einen zehn Mal größeren Anteil an der Produktion erhielte. Das aber werden die Hochlohnländer nicht zulassen, da in diesem Fall für sie kaum noch Produktionsmasse übrig bliebe. Das ist ein weiterer Grund dafür, warum China mit aller Kraft eine konkurrenzfähige Flugindustrie aufbauen möchte und dies in spätestens zwanzig Jahren wohl auch geschafft haben wird (ein eigener chinesischer Jet soll schon bis 2010 in Serie gehen). In einer Welt mit grellen Einkommensunterschieden fährt es mit dieser Alternative jedenfalls besser. Boeing und Airbus werden dagegen umso weniger dagegen ausrichten können, als jetzt schon ein Großteil ihrer Hochtechnologie legal oder illegal in die Hände der Chinesen gelangte.

Schließlich kommt noch ein weiterer Gesichtspunkt zum Tragen. Solange Boeing ausschließlich oder weitgehend in den USA selbst produzierte, bildeten seine Exporte einen wichtigen Teil in der US-amerikanischen Handelsbilanz. Amerika konnte überall auf der Welt billige Einkäufe tätigen, weil es seinerseits dafür heimische Hochtechnologie in alle Welt exportierte. Neben Boeing zählten viele andere amerikanische Spitzenunternehmen zu den Exporteuren von Hochtechnologie, bevor sie mit der Auslagerung an ausländische Standorte begannen. Heute ist dieses Gegengewicht aus der Balance geraten. Zwar konsumieren die USA weiterhin in phantastischem Ausmaße die Produkte anderer Länder, aber sie sind immer weniger imstande, dafür mit eigenen Produkten zu bezahlen. Anders gesagt, die amerikanische Handelsbilanz ist schon seit Jahren tiefrot und wird mit jedem Jahr immer roter. Da allerdings kein Land der Erde einem anderen seine Waren gratis überlässt, müssen die USA an Japan, China und in geringerem Umfang auch an Europa Staatspapiere, d.h. den Anspruch auf künftige Leistungen, abtreten. Anders gesagt, für den gegenwärtigen Genuss verpfänden sie ihre Zukunft.

Allerdings besagt eine ausgeglichene Handelsbilanz und selbst ein positiver Saldo nicht sonderlich viel über die Stärke eines Landes, denn es ist etwas ganz anderes, ob Amerika im Gegenzug für die exportierten Flugzeuge von Boeing aus Saudiarabien Öl importierte oder aus China industrielle Produkte, weil das Reich der Mitte kaum über eigene Rohstoffen verfügt und mit diesen daher für seine Einkäufe auch nicht zahlen kann. Im ersten Fall können die USA ihre gesamte Industrie stärker und breiter ausbauen – das haben sie bis Ende der siebziger Jahre auch getan. Bis dahin herrschte sowohl in den USA wie in Europa der Tausch von Fertigprodukten gegen Rohstoffe vor – der »klassische Handel« (vgl. »Die arbeitslose Gesellschaft«). Der zweite Fall führt dagegen zu einem Verdrängungshandel. Der Export der eigenen Hochtechnologie hat nun die verderbliche Folge, dass die dadurch erzwungene Einfuhr von Billigprodukten die eigene industrielle Basis von unten nach oben schrittweise zerstört. Die landesweit wie Krebsgeschwüre wuchernden Rostgürtel sind in den USA ein sichtbares Zeugnis dieser selbstinitiierten Demontage. Der Export eines kleinen hochprofitablen Sektors der Hochtechnologie ist unmittelbar verantwortlich für den Kahlschlag auf der breiten unteren Ebene.

Wie gesagt, seitdem Boeing und andere technologisch führende Unternehmen selbst zur Auslagerung übergingen, findet ein wachsender Teil der Wertschöpfung nicht mehr innerhalb der USA selber statt. Das ist für die USA eine langfristige Chance ebenso wie eine sie akut bedrohende Gefahr. Weil sich die negative Handelsbilanz durch den Export eigener Hochtechnologie nun immer weniger ausgleichen lässt, sehen sich die USA der Notwendigkeit ausgesetzt, den weiteren Zufluss von industriellen Billigprodukten einzuschränken. Sie werden dies durch protektionistische Maßnahmen tun oder eine radikale Abwertung des Dollars zulassen, was letztlich den gleichen Effekt ausübt. Im einen wie im anderen Fall wird sich daraus eine schwere Erschütterung und Desintegration der Weltwirtschaft ergeben, zu der es ohne die unüberlegte neoliberale Politik der voreiligen Beseitigung schützender Handelsschranken niemals gekommen wäre. Die Gefahren für die USA und die übrige Welt sind schwer abzuschätzen. Aber immerhin bietet sich den Amerikanern danach die Chance, ihre eigene Wirtschaft wieder neu aufzubauen. Nach all dem inneren Kahlschlag, den unbedachten Auslagerungen und Technologietransfers wird ihnen das aber sicher nicht mehr aus jener Position überlegener ökonomischer Stärke möglich sein wie in der Vergangenheit. Dagegen wachsen in Asien Mächte empor, die einer Krise viel besser gewachsen sind, weil der Aufbau nationaler Industrien dort so entschlossen gefördert wird.

Was über die USA gesagt worden ist, gilt mit zeitlicher Verzögerung ebenso für Europa – schon deswegen weil die Europäer die amerikanische Wirtschaftspolitik imitierten. Airbus wird, um Boeing gewachsen zu sein, bald genauso weit mit seinen Auslagerungen gehen. Wenn Boeing also weiterhin seinen jetzigen Vorsprung wahren will, muss es noch mehr als die bisherigen 70% seiner Produktion ins Ausland verlegen, womit es dann wiederum Airbus zu neuerlichem Nachfolgen zwingt – und so weiter in einer unbarmherzigen Wettbewerbsspirale. In allen führenden Industrien bis hin zur Autoindustrie werden die Standorte diversifiziert, die Wertschöpfung weiter in Billiglohnländer verlagert. Die großen Konzerne können damit zweifellos besser überleben, doch Europa wird ärmer werden und die Arbeitsplätze werden weiterhin schrumpfen.

Die USA und Europa – die ersten als Initiatoren dieser Entwicklung – haben sich gegenseitig zu Boden konkurrenziert. Sie haben, um einen Vorteil vor dem anderen zu gewinnen, ihre eigene Basis geopfert und die eigene fortschreitende Schwächung damit in Kauf genommen. Sie haben getan, was schon Lenin als Wesenszug der Kapitalisten verspottete. Um ein wenig Profit zu machen, werden sie uns die Stricke verkaufen, an denen wir sie aufhängen können.

Sobald die jetzt schon aufbrandende protektionistische Welle die USA vollends erfasst bzw. der Dollar auf Sturzflug geht – beides ist angesichts einer sich stetig verschlechternden Handelsbilanz nur eine Frage der Zeit – werden die heimischen Industrien des Westens sich sowohl dort wie in Europa allmählich erholen, jedoch nicht ohne dass der Wohlstand dies- und jenseits des Atlantik starke Einbußen erleidet: Jedes Aufreißen eines bestehenden ökonomischen Gewebes wirkt sich zunächst einmal zerstörerisch aus. Den Schuldigen wird man dann wieder an falscher Stellte suchen. Für den ökonomischen Einbruch wird man den Protektionismus verantwortlich machen wie schon einmal Ende der zwanziger Jahre, während er doch tatsächlich – wie ebenfalls schon damals – auf das Konto eines entfesselten Marktneoliberalismus geht, dem keine politische Integration entsprach (denn nur unter diesen Bedingungen stellt eine »verteilte Vorortproduktion« die beste Lösung für alle dar). Die ökonomische Integration hat eben noch nie die politische erzwungen, dieser Prozess pflegt nur in umgekehrter Richtung stattzufinden. Dass Europa eine Ausnahme von dieser Regel bildet, ist noch nicht erwiesen.

Airbus aber steht nun vor einem unlösbaren Dilemma. Versucht es seine europäischen Standorte zu halten, wird es nicht nur auf dem Weltmarkt sondern selbst auf dem heimischen europäischen angesichts der überlegenen Konkurrenz von Boeing schon bald keine Rolle mehr spielen, es sei denn der amerikanische Protektionismus käme so früh, dass die EU Gleiches mit Gleichem vergilt, indem es die Konkurrenz von Boeing auf dem europäischen Markt einschränkt. Das wäre eine Option, bei der einem aufgrund der dadurch erzeugten politischen Spannungen das Gruseln kommt. Übernimmt Airbus dagegen die drei Ziele von Boeing und verlagert demnach siebzig und mehr Prozent der eigenen Produktionskapazitäten ins Ausland, so wird es bald kein europäisches Unternehmen mehr sein – so wie der zivile Bereich bei Boeing schon heute nicht länger amerikanisch ist. Nur die in Asien gegenwärtig entstehenden Luftfahrtindustrien werden sehr wohl auf nationaler Basis errichtet. Es ist die unüberlegte, zerstörerische Politik der vergangenen dreißig Jahre, die uns jetzt vor beinahe unlösbare Probleme stellt.