Götz Werner – unterwegs als Rattenfänger mit dem Evangelium für die Armen im Geiste

Gleich einer der ersten Sätze aus dem 1000-Euro Buch ist entlarvend: Er wendet sich an die Halbgebildeten und solche, die es noch werden wollen. „Die erste Überlieferung einer Trennung von Arbeit und Einkommen findet sich in der Verfassung Spartas“ (S. 21). Jawohl, da wurden in einem Staat, schlimmer als die Gaddafi-Diktatur, Arbeit und Einkommen in der Tat sehr strikt getrennt. Mit unerbittlicher Härte niedergehaltene und ausgebeutete Untermenschen, die nahezu rechtlosen Heloten, durften die ganze Arbeit für die Herrenmenschen verrichten. Diese kamen dadurch in den Genuss eines bedingungslosen Grundeinkommens, von dem sie sehr bequem leben konnten.

Ich will Herrn Werner nicht unterstellen, dass er ähnliche Zustände für Deutschland herbeisehnt, aber es ist keine Unterstellung, wenn man zu ähnlichen Schlüssen gelangt, sobald man seine betörende Vision im Hinblick auf ihre Folgen und Voraussetzungen analysiert. Denn irgendwer muss das bedingungslose Grundeinkommen ja bezahlen! Wer es als Arbeitsloser bezieht, kommt dafür von vornherein nicht in Frage. Die Vermögenden aber auch nicht. Denn Werner will „auch nicht [die übermäßigen] Vermögen abschaffen,“ zumal im Grunde „sein [eigener] Reichtum allein ein virtueller ist“ (S. 246). Dass aus virtuellem Reichtum ein ganzer realer und gewaltiger Zins- und Dividendenstrom fließt: leistungsloses Einkommen, erwirtschaftet durch die Heloten an der Basis, wird mit keinem Worte erwähnt.

Wer bleibt also als Lastesel übrig, um die schöne Neue Welt der Wernerschen Vision zu finanzieren? Wer sind für ihn die Heloten unserer Zeit? Das sind all jene Menschen, die heute noch eine Arbeit haben, vor allem der Mittelstand – Menschen, die immer härter arbeiten müssen und immer stärker zur Kasse gebeten werden, und deren Zahl zudem in stetem Rückgang begriffen ist.

Herr Werner ist ein Charismatiker der halben und allzu einfachen Wahrheit. So sieht er denn auch das Ende der Erwerbsarbeit nahen, wo wir alle nur noch ehrenamtliche Tätigkeiten verrichten. Er verrät uns nicht, wer dann noch das bedingungslose Grundeinkommen finanziert. Aber stimmt denn die von Jeremy Rifkin entlehnte Behauptung, dass wir in Zukunft mit immer weniger bezahlter Arbeit zu rechnen haben?

Ja, sie stimmt, wenn man die Hauptursache für diesen Abbau, die neoliberale Politik der zwei vergangenen Jahrzehnte, auch in Zukunft weiter verfolgt. Für Deutschlands große Anleger lohnt es sich nicht länger, in unserem Land produzieren zu lassen. Die Renditen sind zu gering, weil die deutschen Beschäftigten nun einmal einen angemessenen Anteil am volkswirtschaftlichen Kuchen verlangen. Die reichsten Deutschen investieren ihr Geld daher lieber in Billiglohnländer. Dort sind die Heloten gefügiger. Wenn die reichsten fünf Prozent aber dennoch bereit sind, zu Hause zu investieren, dann sollen die Löhne möglichst niedrig, die Einkommen aus investiertem Kapital dagegen so hoch wie nur möglich sein. So wurde die Produktion um jeden Preis automatisiert und Arbeitsplätze verdrängt.

Doch das Hauptübel liegt nicht einmal in dieser Automation, viel davon ist echter technologischer Fortschritt. Das Hauptübel liegt in den hohen Zins- und Dividendenansprüchen des Geldkapitals und dem unablässigen Druck, das letzteres auf die Unternehmen ausübt, um deren Aktienkurse zu steigern und damit die Ansprüche auf steigende Renditen zu erfüllen. Dieser Druck sorgt dafür, dass ein gewaltiger Strom aus leistungslosem Einkommen die Vermögen der oberen fünf Prozent zu phantastischen Proportionen aufblähen konnte. Genau deswegen bleibt für die Heloten eben immer weniger übrig. Dies sind die Tatsachen, die Herr Werner, dieser unermüdliche Lobbyist des großen Geldes, geflissentlich unterschlägt.

Immerhin gibt es andere, die auch dieser Schicht zugehören, aber keine Hemmungen haben, solche Wahrheiten ungeschminkt auszusprechen. Den Millionären, die ihr Geld bei der Deutschen Bank anzulegen bereit sind, versprach Herr Ackermann eine Rendite von 25%. Im Unterschied zu Herrn Werner, der sich selbst wegen seines leider nur virtuellen Vermögens zu bemitleiden scheint, macht der Bankgewaltige gar kein Hehl daraus, dass er einen gewaltigen Strom aus leistungslosem Einkommen kreiert. Das ist nicht nur ein bedingungsloses Einkommen für die Superreichen, sondern es ist noch dazu eines, das sich selbst unablässig vermehrt: Aus sehr viel Geld wird immer noch mehr und mehr Geld. Unsere soziale Marktwirtschaft, die sich einst rühmte, die Leistung und nur diese zu honorieren, ist inzwischen weitgehend umgepolt. Wer zu der kleinen, aber ökonomisch und politisch tonangebenden Schicht von Hochprivilegierten gehört, über dem schüttet sie ihr Himmelsmanna von bedingungs- und leistungslosem Einkommen aus. Kein Wort zu diesen Fakten finden wir in dem ansonsten so geschwätzigen 1000-Euro-Buch von Herrn Werner.

Die Vision eines bedingungslosen Einkommens für alle Menschen ist schön. Ich glaube auch, dass Herr Werner im Recht sein könnte, wenn er meint, dass aus ihrer Verwirklichung keine Schmälerung der Leistungsbereitschaft hervorgehen muss. Meiner eigenen in Wohlstand und Armut vertretenen Auffassung, die in wenig gefälliger Art die Gewährung einer Grundsicherung von der Bedürftigkeit abhängig macht, werde ich diese schöne Idee als Alternative entgegenstellen. Sie hat es zumindest verdient, versuchsweise eingeführt zu werden. Allerdings nur, wenn man dann auch klipp und klar den Lastesel nennt, der für die Idee zahlen soll. Herr Werner selbst zieht es ja vor, in diesem Punkt nebelhaft oder unseriös zu werden. Nebelhaft wird er, wenn er behauptet, man dürfe das Problem nicht auf Geld reduzieren, sondern müsse die Güter sehen, um die es dabei ja letztlich gehe. Ja, sollen wir denn seinetwegen wieder in die Steinzeit zurück marschieren? Heutzutage werden sämtliche wirtschaftlichen Transaktionen in Geld berechnet und sichtbar gemacht. Wenn die Mittelschicht zum eigentlichen Lastesel für die Finanzierung des bedingungslosen Grundeinkommens wird, dann nützt es ihr wenig, dass man ihren Beitrag an den von ihr für andere produzierten Gütern bemisst statt an dem Geld, das sie dafür bereitstellen soll. Beides läuft auf ein und dasselbe hinaus.

Wenn Herr Werner einmal auf die großartig ausladende Geste verzichtet und von der Nebulosität zum konkreten Argument übergeht, dann wird er leider auf der Stelle unseriös. Die Einkommenssteuer will er durch eine entsprechend erhöhte Mehrwertsteuer ersetzen, die dann die Finanzierung des Grundeinkommens ermöglicht. Aber für die Mehrwertsteuer kommen vor allem die Ärmsten und die Mittelschicht auf, also jene, die den größten Teil ihrer Einkommen konsumieren. „Man kann davon ausgehen, dass Reiche auch mehr konsumieren, also werden sie auch mehr Steuern zahlen“ (S. 245). Herr Werner, der so gern große Namen zitiert, um sich in ihrem Lichte zu sonnen, sollte wissen, dass schon Keynes diese Behauptung als unwahr entlarvte. Relativ am wenigsten werden jene durch die Mehrwertsteuer belastet, die so viel Einkommen und Vermögen besitzen, dass sie nur einen Bruchteil davon für den Konsum verwenden.

Ja, das bedingungslose Grundeinkommen ist eine betörend schöne Idee. Wenn eine Vermögenssteuer dafür sorgen würde, dass die Geldmassen in den Händen der oberen fünf Prozent auf einen individuellen Betrag zusammengestutzt werden, der für einen stark gehobenen – meinetwegen auch sehr luxuriösen – Konsum während ihrer ganzen Lebenszeit ausreicht (denn Leistung ist selbstverständlich zu honorieren), dann würden so gewaltige Mittel zusammenkommen, dass die schöne Idee leicht finanzierbar wäre (hierzu meine Ausführungen in der revidierten Fassung des Neuen Fiskalismus). Herr Werner braucht also nur über den eigenen Schatten als einer der reichsten Deutschen zu springen, indem er sich zum Fürsprecher eine solchen Lösung macht, um nicht in den Verdacht der Scheinheiligkeit zu geraten. Zumindest würde man ihm dann lautere Absichten zuerkennen.

Doch selbst dann ergeben sich Schwierigkeiten. Nehmen wir an, dass es gelänge, die großen Vermögen für diesen Zweck abzuschmelzen. Gehen wir noch einen Schritt weiter, indem wir einen – in meinen Augen keineswegs wünschenswerten – Zustand betrachten, wo alle die vorhandene Arbeit teilen und ziemlich das gleiche Einkommen beziehen. Also ein Staat der blauen Kittel, wie er unter Mao zeitweise existierte. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde unter dieser Voraussetzung offenbar seinen Sinn einbüßen, denn jeder würde es dann ja mit eigener Arbeit für sich selbst zu bezahlen haben. Er würde mit der linken Hand geben, was er mit der rechten genommen hätte. Selbstverständlich würden die Menschen alsbald zu dem Schluss gelangen, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen nur den Bedürftigen gewährt werden sollte. Mit anderen Worten, würde man genau dort ankommen, wo man heute schon ist: bei einer bedarfsabhängigen Grundsicherung. Herr Werner, dieser grandiose Vereinfacher, hat schlicht übersehen, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen nur dort einen Sinn ergibt, wo eine große und wachsende Kluft zwischen Arm und Reich existiert.