Wissenschaft erfüllt einen existenziellen Zweck. Sie dient dazu, uns in der Welt zurechtzufinden, indem sie die Berechenbarkeit – das Regelmaß – in den uns umgebenden Geschehnissen erkennt. Das Bedürfnis nach solchem Regelmaß und solcher Berechenbarkeit beherrscht uns so sehr, dass wir es sogar frei erfinden, wenn wir es aus den Dingen selbst nicht ablesen können. Menschen früherer Zeiten glaubten, dass Geister und Götter Vulkane ausbrechen ließen, Dürren oder Krankheiten verursachten oder dass man sie durch Opfer und Gebete dazu bewegen konnte, solche Übel auch wieder abzuwenden. Das war erfundene Kausalität. Früher wusste man vergleichsweise wenig von den objektiv bestehenden Ordnungen der der Natur. Diese wurden gerade so weit durchschaut, wie das für das Überleben der Art unerlässlich war. Wie man Tiere erbeutet oder Pflanzen züchtet, bedurfte der sorgfältigen Erkenntnis bestehender Naturgesetze. Über dieses elementare Stadium ist die Menschheit erst seit der Industriellen Revolution, dann aber in stetig beschleunigtem Tempo hinausgelangt. Inzwischen ist Wissenschaft in der Lage, neue Lebewesen im Labor künstlich herzustellen und bestehende mit Hilfe genetischer Manipulation grundlegend zu verändern. Ausflüge des Menschen zu fernen Planeten, die vordem allenfalls in Märchen und Mythen beschworen wurden, gehören heute zu den realen Optionen.
Der moderne Moses empfängt das Buch der Gesetze nicht länger aus den Händen Gottes. Er selbst hat die Regelmäßigkeiten der Natur eine nach der anderen entschlüsselt. Eine Grenze auf diesem Weg der Entdeckung immer neuer Gesetzmäßigkeiten scheint es prinzipiell nicht zu geben, weil die Natur selbst in steter Entwicklung ist. Wissenschaft wird damit zur einzigen Weltanschauung, die eine unendliche Extension erlaubt. Am Höhepunkt des Wissenschaftsoptimismus – im 18. bis 19. Jahrhundert – ging man daher auch von dem Grundsatz aus, dass der Mensch die Wirklichkeit nur lange und tief genug erforschen müsse, um sämtliches Geschehen in der Natur als gesetzmäßig zu durchschauen. Der „Satz vom Grunde“ verlieh dieser Auffassung den philosophischen Namen und der französische Mathematiker Simon de la Place fand dafür die abschließende Formel. „Eine Intelligenz, die in einem bestimmten Moment alle Kräfte erfasste, welche die Natur beherrschen, und darüber hinaus die respektive Lage der Elemente, aus denen sie besteht, würde – vorausgesetzt, dass sie groß genug wäre, um alle diese Daten der Analyse zu unterwerfen – in einer einzigen Formel die Bewegungen der größten Körper des Universums und die der kleinsten Atome gleichermaßen erfassen: nichts wäre ungewiss für sie. Zukunft und Vergangenheit würden ihr deutlich vor Augen stehen“ (Laplace 1886, Bd. VII, S. VI). Gemäß dieser Formel der klassischen Physik kann es unter den Erscheinungen dieser Welt keine Wirkungen geben, die nicht auf ganz bestimmte Ursachen folgen. Die Definition des wissenschaftlichen Fortschritts lief demnach darauf hinaus, dass menschliche Erkenntnis mit der Zeit immer mehr Gesetze erschließen würde, sodass am Ende dieses Prozesses für den Menschen nichts mehr „ungewiss“ sei, weil nichts sich seiner Berechnung und Beherrschung entzieht.
Die optimistische Gewissheit von einer prinzipiell vollständigen Berechenbarkeit der Natur wurde zum ersten Mal durch die Erkenntnisse der Quantenphysik zu Beginn des 20. Jahrhunderts erschüttert. Damalsglaubte die Wissenschaft selbst – die Königsdisziplin der Physik – den Zufall entdeckt zu haben. Kein Geringerer als der österreichische Nobelpreisträger Anton Zeilinger hat dies denn auch als die größte Erfindung des vergangnen Jahrhunderts gepriesen. Im subatomaren Bereich wurde die Forschung mit Erscheinungen konfrontiert, bei denen einer bestimmten Wirkung wie der Ausstrahlung eines Alphateilchens beim Zerfall eines Radiumatoms keine bestimmte Ursache entspricht. Im Quantenbereich ist eine Wirkung nicht länger durch eine vorausgehende oder durch begleitende Ursachen „determiniert“. Eben deshalb wird sie „zufällig“ genannt.
Dies stellte einen so ungeheuren Bruch mit dem bis dahin bestehenden „deterministischen“ Weltbild dar, dass einige der größten Physiker – Albert Einstein zum Beispiel – ihn nicht vollziehen wollten. Einstein beharrte darauf, dass „Gott nicht würfelt“. Woher wusste er das so genau? Einstein konnte darauf pochen, dass die Neuerer aus dem Lager der Quantenmechanik weit mehr behaupten, als sie beweisen können. Bestehende Beziehungen zwischen Ursache und Wirkung lassen sich nachweisen, aber wie will man beweisen, dass etwas nicht vorhanden ist? Die Physik der Quanten musste gar nicht in Widerspruch zur klassischen Physik geraten. Das hatte schon Heisenberg klar erkannt: „Logisch ist es durchaus möglich, nach einem solchen … /vorangehenden/ Vorgang/ für die Emission eines Alphateilchens/ zu suchen, also nach einer Ursache wie in der klassischen Physik. Wir tun dies nur deswegen nicht, weil wir dazu den mikroskopischen Zustand der ganzen Welt /kennen müssten/… und das ist sicher unmöglich“ (Heisenberg 1959, 69). Um zu begründen, warum ein Radiumatom gerade in diesem Moment ein Alphateilchen aussendet, müssten wir den Zustand der ganzen Welt erkennen, das aber ist der menschlichen Intelligenz unmöglich. Eine unendliche Intelligenz, die einen umfassenden Einblick besitzt, könnte aber sehr wohl bei einem deterministischen Weltbild verharren. Wo liegt da der Unterschied zu Laplace?
Gehen wir zurück zu unserer anfänglichen Feststellung. Menschliche Intelligenz wird von Bedürfnissen gesteuert – das Bedürfnis nach einer für den Menschen berechen- und beherrschbaren Wirklichkeit ist gewiss eines der mächtigsten überhaupt, denn in einer Welt des Chaos, wo alle Berechen- und Beherrschbarkeit endet, könnten wir nicht existieren. Die Vorstellung von einer durchgehend geordneten Welt ist daher so alt wie der Mythos, und sie bleibt so jung wie der Triumph der modernen Wissenschaften. Nur so ist zu erklären, dass die Wissenschaft ihren mächtigsten Impuls, die Suche nach einer objektiven, unabhängig von uns selbst bestehenden Wahrheit, bis in unsere Zeit nur auf die äußeren Dinge bezieht, nicht aber auf sich selbst. Im gleichen Moment, wo sie diesen zweiten Schritt vollzöge, wäre sie allerdings zu einem radikalen Umdenken gezwungen. Dann müsste sie nämlich erkennen, dass der Zufall nicht erst entdeckt werden muss, um damit zur bedeutendsten Erkenntnis des zwanzigsten Jahrhunderts aufzurücken, wie Anton Zeilinger behauptet. Vielmehr wird seine Existenz von der Wissenschaft immer schon notwendig vorausgesetzt – er muss vorausgesetzt werden. Denn Wissenschaft ist nur wahr, wenn die Leugnung des Zufalls falsch ist.
Wozu hat der Mensch nach Gesetzen gesucht, z.B. nach jenen, welche die Gesamtheit der gesetzmäßigen Vorgänge auslösen, die eine Rakete sicher zünden und anschließend zum Mars hinlenken, oder die Vorgänge, welche die Explosion einer Bombe bewirken oder auch schlicht einen Wagen in Bewegung setzen, sobald ein Gashebel gedrückt wird? In all diesen und unzählig vielen anderen Fällen geht es uns darum, eine strikt und gewöhnlich perfekt berechenbare Sequenz von Ereignissen mit einem Entschluss in Gang zu bringen, der selbst strikt unberechenbar ist. Denn das Wissen um die deterministische Sequenz hat für uns nur dann einen Sinn, wenn wir sie zu jeder beliebigen Zeit an beliebigem Ort, also auf strikt indeterministische Art in Bewegung zu setzen vermögen. Wenn ich selbst oder irgendeiner von Milliarden Menschen auf den Gashebel drückt, wenn ein Politiker den roten Knopf drücken lässt, der eine ballistische Rakete in Bewegung, dann entzieht sich diese auslösende Tat aller Berechnung – das Ereignis steht außerhalb der Naturgesetze. Es gibt keine naturgesetzhafte Beziehung zwischen der auslösenden Tat (dem Druck auf den roten Knopf oder den Gashebel) und dem darauffolgenden gesetzhaften Ablauf. Das eine ist determiniert, das andere nicht. Daher kann es sich auch nicht darum handeln, einen „harten“ von einem (mehr oder weniger) „weichen“ Determinismus zu unterscheiden. Die Logik der Wissenschaft lässt uns nur die einzige Wahl, den Zufall als zweite Dimension in der uns umgebenden Wirklichkeit gleichrangig neben die Gesetze zu stellen. Letztere ergeben für den Menschen nur dann Sinn und Zweck, wenn die Voraussetzung einer restlos determinierten Welt notwendig und daher grundsätzlich falsch ist.
In der uns umgebenden Welt können wir den Zufall allerdings nicht so erkennen wie die Gesetze. Denn wie sollen wir den Zufall beweisen – die Abwesenheit jeder Beziehung zwischen den Dingen? Immer bleibt die von Heisenberg beschriebene Möglichkeit, dass der Zustand der ganzen Welt uns sehr wohl zu erklären vermöchte, warum ein Alphateilchen gerade in diesem Moment von einem Radiumatom ausgestrahlt wird. Diese theoretische Möglichkeit kann eine empirische Wissenschaft weder beweisen noch widerlegen. Die Existenz des Zufalls erkennen wir auf beweisbare Art nur im Vollzug unseres eigenen Umgangs mit den Dingen. Ich erwähnte den Druck auf einen roten Knopf, der eine Rakete in Bewegung setzt, oder den auf einen Gashebel, der ein Fahrzeug in Gang bringt. Natürlich steht jeder Mensch, der einen solchen Akt vollzieht, seinerseits unter dem Einfluss bestimmter Motive. Die heben sich aber gegenseitig angesichts der Tatsache auf, dass die betreffenden Ereignisse willkürlich zu jeder beliebigen Zeit an jedem beliebigen Ort in Bewegung gesetzt werden können. Für jeden Handelnden sind derartige Auslösungen determinierter Sequenzen zwar niemals zufällig – wir denken uns etwas dabei und wollen etwas bezwecken. Aber dieses Denken und Wollen kann unendlich viele Formen und Inhalte annehmen. Generalisiert man das Tun aller Einzelnen, dann gibt es keinen gesetzhaften Bezug. An diesem Punkt – bei unserem Eingreifen in die Wirklichkeit – wird der Zufall zu der am besten bewiesenen empirischen Tatsache überhaupt.
Das aber stellt uns vor ein schwieriges Problem. Wenn es stimmt, dass wir determinierte Vorgänge nur deshalb erkunden, um sie auf indeterminierte Weise zu beliebiger Zeit an beliebigen Orten ausführen zu können *1*, dann wird die Frage unabweisbar, warum selbst die größten Naturwissenschaftler diese Einsicht verdrängten oder verwarfen, obwohl sie doch aus der Logik der Wissenschaft zwingend hervorgeht?
Ich erkläre dies mit zwei durchaus verschiedenen Gründen, einem oberflächlichen, wenn auch sehr wirksamen, und einem zweiten, der in größere Tiefen reicht. Oberflächlich bestand immer schon eine starke Tendenz unter Experten, zumal wenn ihr Wissen wie etwa in der Quantenphysik jahrelange Studien erfordert, auf Einwände nicht einmal zu hören, die von außerhalb ihres Gebietes kommen und sich noch dazu jedem Laien erschließen. Experten neigen dazu, ein Monopol für alle Aussagen zu beanspruchen, die ihr Wissensgebiet betreffen, auch wenn die logische Basis solcher Aussagen – anders als die spezifischen Erkenntnisse über bestimmte Erscheinungen der Natur – allen Menschen gleichermaßen zugänglich ist, da sie dem Denken selbst zugrunde liegt.
Das ist der eine, der eher oberflächliche Grund. Ein tieferer liegt zweifellos in der schon mehrfach angesprochenen Tatsache, dass auch unsere Intelligenz immer von Gefühlen und Bedürfnissen gesteuert bleibt. Die Wissenschaft will das Netz menschlicher Herrschaft über Natur und Mensch weiter und weiter spannen. Wenn sie aber neben den Gesetzen den Zufall als zweite Dimension des Wirklichen akzeptiert, dann sieht sie sich zu dem Eingeständnis genötigt, dass diese Herrschhaft immer begrenzt und letztlich prekär bleiben wird. Auch wenn Wissenschaft und Technik uns mehr und mehr Apparate liefern, um auf strikt berechenbare Art punktuell auf die Wirklichkeit einzuwirken, so werden wir doch niemals imstande sein, diese Berechnung auf die Wirklichkeit insgesamt zu übertragen. Wie die Gesamtheit solcher punktueller Veränderungen die Wirklichkeit von morgen oder gar nach hundert Jahren aussehen lässt, das werden wir niemals wissen.
Und wir sind sogar zu weiteren Zugeständnissen genötigt. Nein, nicht zu solchen des Mythos oder gar der Esoterik, die beide zu Unrecht darauf pochen, im Besitz eines positiven Wissens zu sein, über das sie in Wahrheit durchaus nicht verfügen. Es ist die Wissenschaft selbst, die sich trotz ihres immensen Erfolgs zur Bescheidenheit genötigt sieht, denn sie kann uns nie mehr liefern als die Aufdeckung gesetzmäßiger Zusammenhänge zwischen konkreten Einzelerscheinungen. Es sind immer nur isolierte Stränge von Gesetzhaftigkeit, welche die Wissenschaft in einem unendlichen Feld von Erscheinungen ermittelt, von denen sie aufgrund empirischer Beobachtung niemals zu sagen vermag, ob sie nicht rein zufällig koexistieren. Nie hat ein Wissenschaftler die Gesamtheit aller Erscheinungen im Blick haben können oder gar ihre gesetzmäßige Verbindung zu beweisen vermocht. Da wir es weder beweisen noch widerlegen können, ist es sehr wohl möglich, dass die meisten koexistenten oder aufeinander folgenden Ereignisse so unverbunden nebeneinander stehen wie im menschlichen Bereich meine Gedanken und die meines Nachbarn.
Damit erweist sich die erste Grundannahme der modernen Wissenschaften als falsch. Die Grundannahme einer unendlichen Intelligenz, für die es den Zufall nicht geben würde, verträgt sich nicht mit einer Logik der Wissenschaften, die Sinn und Zweck für den Menschen hat. Die klassische Physik hat zusammen mit Albert Einstein den Zufall überhaupt geleugnet oder ihn mit Heisenberg aufgrund des Arguments relativiert, dass wir eine durchgehende Gesetzmäßigkeit sehr wohl erkennen könnten, wäre unsere Intelligenz nur in der Lage, den Zustand der Welt insgesamt zu erfassen. Die Aussagen von Laplace und Heisenberg im Hinblick auf eine unendliche Intelligenz sind aber rein spekulativ, anders gesagt, setzen sie sich souverän über alles empirisch Beweisbare hinweg. Alternativ können wir auch formulieren, dass Wissenschaft nur dann einen Sinn ergibt, wenn Freiheit neben der Notwendigkeit als zweite ontologische Dimension existiert.
Eine zweite Grundannahme müssen wir gleichfalls als falsch ablehnen. Das mögliche Wissen über die Welt ist zwar von unendlicher Extension, aber es ist falsch, dass wir damit unser grundsätzliches Unwissen aufheben. Der Zufall und damit unser prinzipielles Unwissen ist ebenso grenzenlos – und dieses Unwissen ist wie der Zufall selbst unaufhebbar. Im Gegensatz zu allem Wissen, das immer einen positiven Inhalt besitzt, hat der Zufall (den wir beim Menschen als Freiheit bezeichnen) keinerlei naturgesetzlichen Inhalt. So gesehen ist er reine Negation oder Abwesenheit allen Wissen. Die Annahme, dass alles menschliche Unwissen grundsätzlich durch Wissen ersetzt werden kann, ist mehr als eine Illusion – sie ist nachweisbar falsch. Auch Karl Popper, der große österreichische Philosoph, zweifelte an einer Episteme, einem abschließenden Wissen über die Wirklichkeit (1980, 317). Aber den Grund dafür hat er nicht benannt. Es ist der Zufall als eine ontologische Dimension von der gleichen unendlichen Extension wie das Gesetz, dann eine solche Episteme grundsätzlich verbietet.
Damit eröffnet sich eine verwandelte Weltanschauung, die nicht etwa antiwissenschaftlich ist. Es existiert ja kaum eine besser bewiesene Tatsache als die, dass jede weitere Entdeckung von Naturgesetzen unser empirisches Wissen und unsere partielle Herrschaft über die Natur erweitert. Doch müssen wir nun akzeptieren, dass auch das Wünschen und Wollen lebender Wesen zu den Triebkräften gehören, welche seit Beginn der Geschichte Zukunft gestaltet haben und weiter gestalten werden, und zwar auf unberechenbare Art und Weise. Damit entlarven wir eine dritte Grundannahme der modernen Wissenschaften als falsch. Der Gang der Welt (die Evolution) lässt sich nicht ausschließlich durch das Wirken unpersönlicher Kräfte (Naturgesetze) erklären, sondern es liegen ihm ebenso rein subjektive Faktoren zugrunde – eben das Wollen und Wünschen lebender Wesen, welche berechenbare Ereignissequenzen auslösen können oder auch nicht. Der dritte Grundirrtum der Wissenschaften besteht demnach in der Annahme, dass wir die Wirklichkeit allein mit Hilfe objektiver, unpersönlicher Gesetze zu erklären vermögen. *2*
Anders gesagt, müssen wir uns – der Logik der Wissenschaften und ihres Wahrheitsanspruchs folgend – zu einem überwissenschaftlichen Weltbild bekennen, worin Zufall und Freiheit, Wollen und Wünschen als Gegenstand der empirischen Erkenntnis eine gleichrangige Bedeutung aufweisen. Das Weltbild der Wissenschaften ist nur dann korrekt, wenn wir die drei genannten Grundannahmen als falsch deklarieren.
Zum Schluss sei noch angemerkt, dass ein überwissenschaftliches Weltbild Ausblicke eröffnet, die unter „seriösen“ Wissenschaftlern seit drei Jahrhunderten auf entschiedene Ablehnung stoßen. Der Spott der Aufklärer hat bekanntlich den Wundern gegolten, die nach religiöser Vorstellung den Gang des Geschehens jederzeit zu durchbrechen vermögen. Nun hat zwar niemand beweisen können, dass ein gesetzmäßiger Vorgang wie z.B. das Verdampfen von Wasser bei hundert Grad plötzlich nicht mehr in Geltung ist, wenn ein Mensch, ein Geist oder ein göttliches Wesen das so beschließt. Der Spott der Wissenschaften an solchen Behauptungen erscheint heute so berechtigt wie damals. Aber wenn wir das Wunder so definieren, dass es mit der Logik der Wissenschaften in Einklang bleibt, nämlich als die Möglichkeit von Erscheinungen, die einem Zufall geschuldet sind, den wir nicht voraussehen, geschweige denn vorausberechnen können, dann war die Welt schon immer voller Wunder und wird es auch bleiben. Und zusammen mit dem großen amerikanischen Denker William James, der davon in seinem richtungsweisenden Werk The Varieties of Religious Experience ausgiebig handelt, sind wir zu der Einsicht genötigt, dass Religion – wie jede andere Weltanschauung – zu den die Wirklichkeit verändernden Kräften gehört, sofern sie menschliches Wünschen und Wollen prägt. Das ist eine empirische Tatsache, die ganz unabhängig vom Glauben an überweltliche Mächte besteht.
*1* Die Gesetze, welche die Babylonier an den Bewegungen der Planeten beobachteten, bilden da nur eine scheinbare Ausnahme. Nach damaliger Auffassung bestimmten diese Bewegungen das Handeln und den Charakter der Menschen. Man musste sie daher kennen, um die eigenen Handlungen richtig zu planen. In diesem Zusammenhang verdient die Aussage eines herausragenden Physikers besondere Beachtung. Vor mehr als einem Jahrhundert hat Ludwig Boltzmann die Wahrheit der wissenschaftlichen Weltsicht mit ihrem praktischen Erfolg begründet. „Nicht die Logik, nicht die Philosophie, nicht die Metaphysik entscheidet in letzter Instanz, ob etwas wahr oder falsch ist, sondern die Tat. Darum halte ich die Errungenschaften der Technik nicht für nebensächliche Abfälle der Naturwissenschaft, ich halte sie für logische Beweise. Hätten wir diese praktischen Errungenschaften nicht erzielt, so wüssten wir nicht, wie man schließen muss. Nur solche Schlüsse, welche praktischen Erfolg haben, sind richtig“ (1990). Der praktische Erfolg erklärt, warum die Vorstellungen der Babylonier inzwischen nichts mehr gelten und die moderne Naturwissenschaft den ganzen Globus eroberte.
*2* Popper hat sehr wohl gesehen, dass die Evolution mit unpersönlicher Kausalität allein nicht zu erklären ist. „Aufgrund seiner Handlungen und Neigungen, trägt das Lebewesen teilweise dazu bei, die Bedingungen für den Selektionsdruck herzustellen, der auf ihn und seine Nachkommen einwirkt. Auf diese Weise vermag er aktiv auf die Richtung Einfluss zu nehmen, welche die Evolution einschlagen wird S. 180) … Wir müssen nicht davon ausgehen, dass diese Neigungen bewußter Art sind. Aber sie können sehr wohl bewusst werden; zunächst einmal, wie ich vermute, nach Art von Zuständen des Wohlseins oder des Leidens“ (Popper, 1980; S. 179).
