Geldschöpfung

In einem Artikel der Börsenzeitung vom 4. Juni 2011 äußert sich Prof. Dr. Peter Bofinger, Mitglied des deutschen Sachverständigenrates (einer der sogenannten Wirtschaftsweisen), zur Griechenlandkrise und lässt nebenbei eine Bemerkung fallen, die in gewissen Köpfen wie eine Bombe einschlagen wird. Er sagt nämlich „[Geschäfts-]Banken können so lange uneingeschränkt Kredite schöpfen, wie sich das angesichts des Leitzinsniveaus noch rechnet… Das hat nichts mit dem Lehrbuch-Modell zu tun, wo Banken nur dann Kredite vergeben, wenn sie zufällig eine Einlage durch einen Sparer bekommen oder wenn ihnen die Notenbank am Geldmarkt eine Anleihe abkauft.“Ja, ich spreche von einer Bombe, weil damit ein alter Kampf neuerlich aufflammt. Zwischen jenen nämlich, die immer schon wussten, dass die Geschäftsbanken nach Belieben Geld schöpfen können und die genau darin einen wesentlichen Grund für die gegenwärtige Finanzkrise orten, und dem Lager all derer, die eine solche Geldschöpfung für eine Illusion ansehen und daher auch die Krise wesentlich anders interpretieren. Der Riss verläuft manchmal mitten durch ein und dieselbe Person. So hat sich etwa der John Maynard Keynes in seinem Buch Vom Gelde mit großem Nachdruck für die Geldschöpfung ausgesprochen, während er in der General Theory diese Auffassung mit gleicher Entschiedenheit wieder verwarf (siehe mein Buch Wohlstand und Armut. S. 154-156).

Wird diese Auseinandersetzung auf seriöse Weise geführt, dann ist sie kein bloßer Streit um Worte oder akademische Belanglosigkeiten. Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob die Banken eines Landes von sich aus beliebig viel Geld in Umlauf bringen – Geld also aus eigener Kraft erzeugen – oder ob ihnen diese Möglichkeit grundsätzlich verwehrt ist. Im ersten Fall haben die Geschäftsbanken eines Landes die Realwirtschaft gewissermaßen in ihrer Hand. Und nicht nur dies: Aufgrund ihrer Verfügung über die Geldzufuhr entwickeln sie sich außerdem zu unabhängigen Zentren der Macht. Dagegen treten sie im zweiten Fall nur als Dienstleister auf, die fremdes Geld verwalten. Ihre Macht ist nicht größer als die jedes anderen Dienstleisters auch.

Welche Alternative liefert die bessere Beschreibung für die Wirklichkeit unseres heutigen Geldsystems?

Diese Frage werden wir nur dann richtig beantworten können, wenn wir zunächst einmal die klassische Funktion einer Geschäftsbank darstellen, die ausschließlich ihrem Kerngeschäft nachgeht (also keine Investmentgeschäfte betreibt). Eine solche Bank lässt sich als eine Vermittlungsagentur zwischen zwei Arten von Kunden beschreiben: solchen mit einem Überschuss an Geld, das sie nicht für den Konsum ausgeben wollen, und solchen, die für irgendwelche Aufgaben – meist für Investitionen in die Realwirtschaft – Geld gerade dringend benötigen. Alles, was die Bank von den einen an kurz-, mittel- oder langfristigen Einlagen bekommt, leitet sie bis auf einen kleinen Rest, den sie für jederzeit mögliche Abhebungen bereithält, so schnell wir nur möglich als Kredit an die zweite Gruppe. Sie ist dabei zur Eile getrieben, weil sie den Sparern ja Zinsen bezahlt, die sie nur von den Kreditnehmern bekommen kann. Im Idealfall wird alles Geld, das soeben von den Sparern eingezahlt wurde, wie durch eine Drehtür augenblicklich in die Hände von Kreditnehmern weitergereicht. Allerdings muss die Bank ihre Gläubiger vor einer etwaigen Zahlungsunfähigkeit der Kreditnehmer bewahren, denn nicht alle Investitionen erbringen den erhofften Erfolg. Ein Teil der Kredite wird immer zu Zahlungsausfällen führen. Um die Sparer gegen diesen Fall abzusichern, vergibt die Bank einen Kredit nur gegen eine wertgleiche gegenständliche Sicherheit (ein Pfand sozusagen). Im Idealfall reicht diese Sicherheit aus, um bei einem Kreditausfall durch deren Verkauf eine Summe in Höhe des Kredits einzubringen. So befindet sich ein geordnetes Bankensystem – sofern die Sicherheiten nicht ihrerseits an Wert einbüßen – selbst dann noch im Gleichgewicht, wenn sich die meisten Kredite als uneinbringbar erweisen.

Der Run auf die Banken

Doch auch bei einer seriös arbeitenden klassischen Geschäftsbank kann das Gleichgewicht durch unvorhersehbar hohe Abhebungen kurzfristig eingezahlter Einlagen in Gefahr geraten. Denn die Bank geht von einem statistischen Mittelwert der Abhebungen aus. Wird dieser deutlich überschritten, so steht ihr nicht genügend Liquidität zur Verfügung. Angenommen, es würden aufgrund einer Panik sämtliche Geschäftsbanken von den Sparern gestürmt, die ihr Girokonto alle gleichzeitig entleeren, so kann die Geschäftsbank sich nur noch dadurch helfen, dass sie sich frisches Geld von der Notenbank leiht, die stets über ausreichend Geld verfügt, weil sie dieses zur Not in ihren Druckerpressen herstellen kann.

Für die klassische Geschäftsbank lief es jedoch auf einen Verlust hinaus, die Hilfe der Notenbank in Anspruch zu nehmen, weil deren Zinsen für das zeitweilig überlassene Geld über jenen lagen, die sie selbst von ihren Kunden verlangen konnte. Also war sie daran interessiert, einen hinreichend großen Liquiditätspuffer zu besitzen, um nur in einem wirklichen Notfall auf Notenbankgeld angewiesen zu sein.

Noch bis in die neunziger Jahre spiegelte dieser Idealfall weitgehend die Realität und damit auch das Lehrbuchmodell jener klassischen Geschäftsbank, von dem Bofinger spricht. Er spiegelt auch die nüchterne und überlegte Darstellung von Helmut Creutz, der deshalb die Möglichkeit kategorisch ausschließt, dass Geschäftsbanken von sich aus „Geld schöpfen“ können. Das leuchtet unmittelbar ein, denn die Geschäftsbanken traten unter den genannten Voraussetzungen eben nur als die Verwalter und Vermittler von Geld in Erscheinung.

Geschäftsbanken als Schleusen für Notenbankgeld

Allerdings wurde schon in der Idealsituation, wie die Lehrbücher sie beschreiben, den Geschäftsbanken noch eine zusätzliche Funktion aufgebürdet. Diese ist ihnen von Natur aus nicht in die Wiege gelegt, ja, sie sprengt sogar ihre ursprüngliche Rolle als bloße Vermittlungsinstanz zwischen Kreditempfängern und Sparern. Geschäftsbanken dienen nämlich auch noch als Schleusen, durch welche die Notenbank die Wirtschaft mit zusätzlichem (Notenbank-)Geld versorgt, und zwar in dem Umfang, wie es aufgrund steigender Wirtschaftsleistung benötigt wird. Dabei bezeichnet die Versorgung mit zusätzlichem Geld bei steigender Wirtschaftsleistung nur die eine Hälfte dieser an die Geschäftsbanken übertragenen Aufgabe. Sie müssen imstande sein, Geld aus der Wirtschaft auch wieder herauszuziehen, wenn diese einen Prozess der Schrumpfung durchläuft. Mit der Justierung der Geld- im Verhältnis nur Gütermenge wird die Stabilität der Preise gesichert.

Die Bedeutung von Sicherheiten

Bei der Versorgung der Wirtschaft mit Geld geht die Notenbank gegenüber den Geschäftsbanken in ähnlicher Weise vor wie diese selbst gegenüber ihren Kreditnehmern. Sie verlangt nämlich Sicherheiten (Wertpapiere oder auch Fremdwährungen) in der Höhe des verliehenen Geldes und erhebt eine Leihgebühr (Leitzins). Diese Leihgebühr ist, wenn die Wirtschaft zum Wachsen stimuliert werden soll, gerade gering genug, um den Bezug von Notenbankgeld für die Banken zu einem Geschäft zu machen, wenn die Wirtschaft jedoch vor Überhitzung bewahrt werden soll, muss sie groß genug sein, um den Geschäftsbanken einen Anreiz zu bieten, vorhandene Liquidität an die Notenbank wieder zurückzuleiten und im Gegenzug dafür die hinterlegten Wertpapiere wieder entgegenzunehmen.

Die klassische Geschäftsbank ist immer nur eine vermittelnde Instanz

Es ist zu betonen, dass die klassische Geschäftsbank auch in dieser Schleusenfunktion nur als vermittelnde Instanz in Erscheinung tritt. Die Wertpapiere, die sie im Gegenzug für Liquidität von der Notenbank erhält oder an diese wieder zurückgibt, hat sie selbst ja von Kunden erhalten, an die sie das Geld der Notenbank abzüglich einer Gebühr weiterreicht. Mit anderen Worten, dieses Notenbankgeld verwendet sie keinesfalls in derselben Art wie das Geld, das sie von den Sparern erhält, nämlich um es als Kredit weiterzureichen. Im Auftrag ihrer Kunden tut sie nichts anderes, als dass sie einen sachlichen Wert (Wertpapiere oder Devisen) gegen bares Geld eintauscht, und sie nimmt diese zweite und zusätzliche Funktion auch nur deswegen wahr, weil ihre Kunden diesen Tausch nicht direkt bei der Notenbank vornehmen können, obwohl dies im Prinzip durchaus möglich wäre.

Die beiden Funktionen, a) die Vermittlung von Spargeldern an Kreditnehmer bzw. b) die Versorgung mit Geld im Tausch gegen Wertpapiere, bestehen also unabhängig voneinander und haben grundsätzlich nichts miteinander zu tun.

Heute sieht die Praxis vieler Banken ganz anders aus

So jedenfalls lässt sich der Idealzustand beschreiben. Doch mit dem Wegfall der Kapitalverkehrskontrollen im Zuge der Globalisierung hat dieses Ideal seine Geltung weitgehend eingebüßt. Selbst wenn sich eine Geschäftsbank nur ihrem Kerngeschäft widmet – also nicht zusätzlich noch Eigengeschäfte mit Derivaten, Devisen- und Rohstoffspekulationen und generell im Investment betreibt – haben sich ihr seit den neunziger Jahren neue Möglichkeiten eröffnet. Warum das so ist, lässt sich aus dem Vorgesagten ohne weiteres erschließen. Im gleichen Moment, wo eine Geschäftsbank von der Notenbank Geld zu einem niedrigeren Zinssatz bezieht, als sie selbst bei Verleihungen fordern kann, wird sie – ohne sich besonders darum zu bemühen – ganz von selbst zu einem wesentlich erweiterten Geschäftsmodell hingedrängt. Hatte sie zuvor Notenbankgeld nur in Umlauf gebracht, wenn eine höhere Wirtschaftsleistung ihr Vorgehen rechtfertigte, so braucht sie sich um diese Einschränkung nicht länger zu kümmern. Sie holt sich nun Geld von der Notenbank, um dieses sehr wohl auch als Kredit einzusetzen, weil sie nun höhere Zinsen dafür bekommt, als sie selbst an die Notenbank zu entrichten hat. Damit aber überschreitet sie die Grenze zu einem höchst gefährlichen Geschäftsgebaren. Die ursprünglich strenge Trennung zwischen den beiden Funktionen der klassischen Geschäftsbank verliert ihre Geltung.

Willkürgeld und Kreditblase

Das war in den Vereinigten Staaten schon unter Alan Greenspan der Fall und wurde bei uns spätestens seit der Immobilienkrise möglich. Billiges Geld – Willkürgeld, dem keine gestiegene Wirtschaftsleistung entspricht (siehe Wohlstand und Armut, S. 132ff) – ergießt sich seitdem in breiten Strömen in die Wirtschaft, weil die Notenbank bereit ist, es auch gegen Wertpapiere von zweifelhafter Bonität einzutauschen. Die Folge ist eine Kreditblase von gewaltigen Dimensionen, die nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern auch bei uns die gesamte Wirtschaft aus dem Gleichgewicht bringt, zumal dieser Geldüberschuss zum überwiegenden Teil in die Finanzwirtschaft fließt. Keine Zauberei war dazu erforderlich, wie sie gewisse Geldschöpfungs-Esoteriker den Geschäftsbanken andichten. Es genügte der unbehinderte Zugang zu frischem Notenbankgeld. Genau das hatte auch Bofinger im Auge, wie man aus dem weiteren Verlauf seines Interviews ersieht.