Zu Harald Schumanns neuem Buch: Der globale Countdown

Als Koautor des Bestsellers „Die Globalisierungsfalle“ hat Harald Schumann vor zwölf Jahren über die Grenzen Deutschlands hinaus Aufsehen und berechtigte Besorgnis erregt. Seine Hauptthese führte die schon im Titel enthaltene Warnung aus: Globalisierung droht zur Falle zu werden. Unter anderem beschworen Schumann und Martin die dramatischen Folgen für den deutschen Arbeitsmarkt. Die damalige Massenarbeitslosigkeit würde sich noch um vieles verschärfen, gelänge es nicht, die Globalisierung rechtzeitig mit verschiedenen Maßnahmen zu bändigen. Die beiden Autoren schlugen damals unter anderem vor, Sand ins Getriebe des Welthandels zu werfen, indem die EU von ihren ökonomischen Partnern die Einhaltung sozialer und ökologischer Mindeststandards verlangt.

Nun, etwas mehr als ein Jahrzehnt später, stellt Schumann (gemeinsam mit Christiane Grefe) sein neues Buch vor: »Der globale Countdown«. Es gibt zu denken, dass dieses fast eine Gegenposition zur ursprünglichen These vertritt. Vielleicht ist der Verfasser inzwischen klüger geworden und vermag seinen Sinneswandel überzeugend zu begründen? Das ist die eine Möglichkeit, es kommen jedoch auch andere Erklärungen in Betracht. Schriftsteller, gleichgültig ob Romanciers oder Sachbuchautoren, werden von recht unterschiedlichen Motiven bewegt. Sie schreiben einerseits um der Sache willen, etwas pathetischer würde man sagen, um der Wahrheit willen, die sie so und nicht anders sehen, andererseits aber haben sie oft auch so nebensächliche Rücksichten im Kopf wie etwa den Verkaufserfolg ihres Buches oder die Kritik an den Auffassungen eines ungeliebten Konkurrenten.

Dieser Verdacht drängt sich auf. »Der globale Countdown« redet die einst von Schumann als als verhängnisvoll charakterisierte ökonomische Globalisierung gar zu auffallend schön. Hatte das erste Buch noch zu ihrer Eindämmung aufgerufen, so wird Globalisierung nun als unabwendbare Tatsache hingestellt. Die Verflechtung durch den Welthandel sei inzwischen so groß, dass kein Weg mehr zurückführen werde.

Dieser Sinneswandel muss umso mehr überraschen, als gerade in jüngster Zeit mehr und mehr Tatsachen gegen eine solche Unabwendbarkeit sprechen. Vor zwölf Jahren, als die Globalisierungsfalle erschien, war die Ressourcenknappheit, die heute nicht nur die energetischen Rohstoffe sondern noch viele weitere mehr betrifft, nur unter Experten ein Thema. Heute hingegen muss die Aussicht, dass der Welthandel sich in wenigen Jahren derart verteuern könnte, dass seine Intensität nicht mehr zunehmen sondern im Gegenteil abnehmen wird, als durchaus real erscheinen. Mit größter Wahrscheinlichkeit sind wir gegenwärtig dabei, nicht nur Peak Oil sondern ebenso auch Peak Globalization zu durchlaufen.

Doch selbst dann, wenn der Autor dieses Argument übersieht, bliebe seine Behauptung immer noch aus der Luft gegriffen, dass die Dinge nur deshalb so bleiben müssten, weil sie bereits so weit gediehen sind. Schon einmal – nämlich vor 1914 – war die ökonomische Globalisierung unter Führung Großbritanniens so intensiv und weit gediehen wie heute. Auch Schumann weiß, dass dieser Umstand nicht zu verhindern vermochte, dass die damalige internationale Verflechtung innerhalb kürzester Zeit zerstört worden ist – damals zunächst durch einen Krieg, dann ein Jahrzehnt später durch eine Weltwirtschaftskrise, die in Wahrheit eine Finanzkrise war. Daraus sollte ein historisch beschlagener Ökonom die nahe liegende Folgerung ziehen, dass ökonomische Entwicklungen selten zwangsläufig und unumkehrbar sind, schon gar nicht dann, wenn sie statt einer Mehrheit nur den Interessen einer Minderheit dienen.

Es gibt auch zu denken, dass Schumann Ansichten, die er in der Globalisierungsfalle vertrat, heute als ökonomischen Unfug bezeichnet, wie die, dass die Konkurrenz der Chinesen in der deutschen Wirtschaft Arbeitsplätze vernichtet. Für einen Laien mag das in der Tat Unfug sein, denn Deutschland muss soviel an Hochtechnologie nach China und in andere Entwicklungsländer exportieren, wie es an Niedertechnologie von dort bezieht. Daher der naheliegende Schluss, dass uns daraus kein Schaden erwachsen könne. Schumann ist kein Laie, also muss er ein Interesse daran haben, die Tatsachen seinen neuen Thesen gemäß zu interpretieren. Er weiß so gut wie jeder mit den Tatsachen vertraute Wirtschaftswissenschaftler, dass in einem Billiglohnland außer den Löhnen auch die Steuern und die Umweltauflagen weit unter den deutschen Standards liegen. Die Produktion aus chinesischen Fabriken fegt daher weit über ihrem eigenen Wert ein Vielfaches der entsprechenden deutschen Erzeugnisse hinweg. Sie hat dies ja bereits auf vielen industriellen Sektoren getan. Es gibt in den Wirtschaftswissenschaften wenige unumstrittene »Gesetze«. Zu diesen wenigen zählt die Verdrängung der teureren durch die billigere Produktion, wenn die Waren sonst gleichwertig sind. Es handelt sich dabei um einen Vorgang, der innerhalb eines entwickelten Staates auch ausdrücklich erwünscht ist, weil entsprechende soziale und ökologische Standards dafür garantieren, dass die Verbilligung allein durch technologischen Fortschritt erzielt wird und nicht etwa auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung oder der natürlichen Umwelt. Doch zwischen Staaten, die keine gemeinsamen sozialen und ökologischen Standards aufweisen, ist genau das sehr oft nicht der Fall. Die Konkurrenz findet dann über soziales, fiskalisches und ökologisches Dumping statt. Warum übergeht Schumann diese ökonomische Binsenweisheit, die ihm vor zwölf Jahren noch durchaus geläufig war?

Es fällt schwer, hier nicht den Verdacht zu hegen, dass jene scheinbar nebensächlichen Zwecke, von denen ich oben sprach, dabei durchaus eine Rolle spielen. Einen Hinweis gibt Schumann selbst, wenn er bemerkt, dass »ein Politanalyst des „Spiegel“ sich sogar zu der These verstieg, die Aufsteiger aus Fernost hätten einen „Weltkrieg um Wohlstand“ begonnen. Deren neue Stärke führe „zur Schwächung des Westens“ und „ihr Aufstieg“ sei „unser Abstieg“«. Schuhmann mag ja Recht damit haben, dass dies in der Tat eine reichlich reißerische Formulierung ist, aber die darf gerade er seinem ehemaligen Spiegelkollegen Gabor Steingart gewiss nicht zum Vorwurf machen, denn so reißerisch in Thesen und Stil wie »Die Globalisierungsfalle» waren bis dahin kaum andere Wirtschaftsbücher. Und sachlich ist Gabor Steingart jedenfalls im Recht. Weltweit, vor allem in den USA wächst die Angst vor der neuen Weltmacht China, und dort ist man sich sehr wohl bewusst, dass „ihr“ Aufstieg „unser“ Abstieg sei. Ob man den Chinesen nach all den Demütigungen durch den Westen und den gewaltigen gegenwärtigen Opfern diesen Aufstieg nun gönnen mag oder nicht, ist eine andere Frage, aber die Leugnung eines so offenkundigen Sachverhalts scheint mir nur dadurch erklärbar, dass hier Ressentiments gegen einen ehemaligen Kollegen im Spiel sind – genährt wohl zusätzlich durch den Umstand, dass Schumann den Spiegel damals keineswegs freiwillig verließ.

Es bleibt also die beunruhigende Frage, ob da ein Autor wirklich klüger geworden ist, oder ob andere Motive unterschwellig eine Rolle spielen. Gewiss, zwischen Befürwortern und Kritikern der Globalisierung gibt es längst einen heftigen Glaubens- und Interessenkrieg. Man kann beide Positionen vertreten und dabei eine gewaltige Anhängerschaft um sich versammeln. Manche scharfsinnige Einsichten über die Art der heutigen Verflechtung sind dabei zu gewinnen, so z. B., dass die Kriegsausgaben der USA und der Handelsüberschuss Chinas mit diesem Land eine erstaunliche Übereinstimmung aufweisen. »Die Kriege in Irak und Afghanistan«, stellt Schumann fest, »kosteten von 2003 bis Ende 2006 rund 400 Milliarden Dollar amerikanischer Steuergelder. Etwa im gleichen Zeitraum erwarben die Mitarbeiter der Devisenverwaltung am Pekinger Platz der Luftfahrt amerikanische Staatsanleihen und staatliche garantierte Pfandbriefe im Wert von 464 Milliarden Dollar«. Das ist höchst interessant, aber wer wird darin eine Verzahnung sehen, die von Dauer sein wird oder sein sollte?