Weltkrieg um Wohlstand – Kommentar zum Spiegelartikel von Gabor Steingart

Der Chef des Berliner Spiegelbüros, Gabor Steingart, hat in einem Artikel von großer stilistischer Brillanz und überzeugender Faktenpräsentation (Der Spiegel 73/06) und seinem darauf folgenden Buch „Weltkrieg um Wohlstand“ die Gefahr der asiatischen Billiganbieter, vor allem die von China ausgehende ökonomische Bedrohung unseres Wohlstands, beschworen. Jemandem, der schon 1997 (Die Arbeitslose Gesellschaft, S. Fischer) vor der Erosion des westlichen Lebensstandards durch einen gefährlichen Freihandel warnte, kann es natürlich nur Genugtuung bereiten, auch den Spiegel und einen seiner prominenten Redakteure endlich in der Rolle von Warnern auftreten zu sehen. Allerdings liegt darin eine auffallende Inkonsequenz. Der Spiegel war und ist ein Sprachrohr neoliberaler Tendenzen. Ziemlich unmissverständlich hatte er sich bisher für die Globalisierung und ihre vermeintlich heilsamen Auswirkungen ausgesprochen. Auch durch Ihren Beitrag, Herr Steingart, hat sich das nicht grundlegend geändert. Man muss Ihnen vielmehr den Vorwurf machen, nur einen verengten Ausblick auf die Wahrheit zu bieten. Dazu einige Bemerkungen.

In Ihrer Optik sind es die Chinesen, die uns bedrohen. Diese missachten die elementaren Standards der Arbeit, zahlen Hungerlöhne, kopieren rücksichtslos westliche Erfindungen usw. Nach der Lektüre hat der Durchschnittsleser ein klares Feindbild gewonnen. Ich nehme an, so entspricht es auch Ihrer Absicht. An den empörten Leserbriefen ist klar zu erkennen, dass der Artikel auch so verstanden wurde. Wir, die Deutschen und der Westen in seiner Gesamtheit, sind aufgerufen, uns gegen die Chinesen und ihren unfairen Handel zur Wehr zu setzen.

Diese Optik ist nicht nur irreführend, sie ist ganz eindeutig falsch. Die Chinesen waren und sind selbst heute noch, trotz ihrer inzwischen durchaus beachtlichen ökonomischen und militärischen Stärke, völlig unfähig, dem Westen ihren Willen und ihre Waren aufzuzwingen. Die Billigattacke ist kein Werk der Chinesen, sie wurde vom Westen selbst inszeniert, genauer gesagt, von jenen ca. zehn Prozent reicher Anleger in unseren Ländern, die für die neoliberale Politik der vergangenen zwanzig Jahre verantwortlich sind. Als in den achtziger Jahren die westlichen Wirtschaften aufgrund der Marktsättigung immer weniger wuchsen und sich Investitionen daher weniger lohnten, entdeckten sie, dass man jenseits der eigenen Grenzen, vor allem in China, noch jene fabelhaften Renditen holen konnte, die eine gesättigte Wirtschaft nicht länger erbringt. Dort legten sie deshalb ihr Geld für die Gründung von Unternehmen an, die ihre Waren dann vor allem auf westlichen Hochlohnmärkten absetzten, denn damit erwirtschaftete man den größten Gewinn. Und sie entdeckten zur selben Zeit, dass selbst heimische Firmen wieder hoch rentabel wurden, wenn sie ihre Produkte nicht von Deutschen, sondern von Chinesen herstellen ließen, also immer größere Teile der Fabrikation nach Fernost verlagerten. Unter dieser Bedingung war das deutsche Kapital auch wieder bereit, in heimischen Firmen zu investieren. Diese von Ihnen verschwiegenen Tatsachen rücken die Attacke der Chinesen in ein anderes Licht.

Das Feindbild wird in Ihrem Artikel noch auf andere Art verstärkt. China respektiere weder unsere Vorstellungen von Demokratie noch von Menschenrechten, es missbrauche die eigene Bevölkerung, um die Märkte der führenden Industriestaaten zu erobern. Sie vergessen dabei, dass es von uns genau dazu gezwungen wird. Unsere Exporteure drängen sich auf den chinesischen Markt, von dem sie sich hohe Profite versprechen. Begleitet von Politikern und Wirtschaftsbossen, buhlen die Konzerne mit Airbussen, Elektrizitätswerken etc. um Aufträge der Chinesen. Für die Modernisierung ihrer Wirtschaft sind diese vorläufig noch auf westliche Lieferungen angewiesen, aber da sie nicht mit Rohstoffen zahlen können (die sie selbst vielmehr in großer Menge importieren), kommen als Gegengeschäft aber nur industrielle Fertigprodukte in Frage. Diese werden bei uns jedoch bereits produziert. Die Chinesen müssen also ihre Waren so billig anbieten, dass sie die bei uns vorhandenen Industrien und Arbeitsplätze vernichten. Mit anderen Worten: es ist unser Export, der diesen Billigimport erzwingt. Wir selbst haben den Verdrängungshandel in Gang gesetzt! Die eingeführten Produkte aus China müssen so unschlagbar kostengünstig hergestellt werden (unter Vernachlässigung von Umweltstandards und Menschenrechten), dass unsere Spediteure, unsere Lizenzgeber und unser Handel an diesen Importen immer noch groß verdienen kann und dass unsere Kreditgeber, wenn sie Fabriken in China errichten, die von ihnen verlangten, fabelhaften Renditen bekommen. Auch das wird von Ihnen wohlweislich verschwiegen.

Wenn schon ein Feind gesucht werden soll, dann findet man ihn woanders. Niemand wird ernsthaft behaupten können, dass ein ökonomisch und militärisch vor zwanzig Jahren noch völlig unbedeutendes Land wie China uns den Handel hätte aufdrängen können. Die Chinesen sind keine »Angreifer« gewesen, weil sie dazu (bisher) gar nicht die Mittel hatten. Nicht die Chinesen sind nach Europa und die USA, sondern Europäer und Amerikaner sind nach China ausgeschwärmt. Es waren unsere großen Konzerne, unsere Politiker, unsere dem Neoliberalismus und Shareholdevalue verpflichteten Magazine (der Spiegel ganz vorn), die von China als dem Hoffnungsmarkt schwärmten und die Unternehmen dazu aufriefen, den chinesischen Markt zu erobern (»anzugreifen«). Der Verdrängungshandel, der uns heute existenziell bedroht, wurde von interessierten Kreisen bei uns und generell im Westen in Gang gesetzt. Die wirtschaftliche Elite unserer Länder wollte um jeden Preis (auch den des von Ihnen so eindringlich beschriebenen allgemeinen Wohlstandsverfalls) verdienen. Das hat sie für sich selbst auch erreicht. Die Kluft zwischen Arm, und Reich hat sich eben deshalb so stark erweitert. Der Weltkrieg gegen den Wohlstand, war in Wirklichkeit ein Weltkrieg gegen den Wohlstand der Mehrheit, aber ein Sesam-öffne-Dich für Anleger und Konzerne. Er war Bereicherung einer Minderheit auf Kosten der Mehrheit.

Diese Wahrheit, Herr Steingart, wird von Ihnen ganz unterschlagen. Sie finden es im Gegenteil völlig natürlich, dass „der Kapitalist… nun einmal dahin /geht/, wo die Verzinsung seines Kapitals am höchsten ausfällt.“ Aber das ist eben alles andere als natürlich. Nach Ende des zweiten Weltkriegs hatten die Staaten die Verheerungen eines sich selbst überlassenen Kapitalismus noch in traumatischer Eindringlichkeit vor Augen. Sie führten deshalb eine Reihe von Restriktionen ein, unter anderem Kapitalverkehrskontrollen, die genau das verhindern sollten, nämlich dass Leute mit überflüssigem Geld dies so verwenden, dass sie sich selbst zwar enorm bereichern, dem Rest der Bevölkerung aber schaden (so hatte es auch Adam Smith nicht gewollt). Bis in die siebziger Jahre wurde die Ellenbogenfreiheit des Kapitals eingeschränkt, nicht nur durch die Kontrolle von Devisenausfuhren durch den Staat, sondern zusätzlich auch noch durch fixe Wechselkurse.

Sie erwähnen die Sozialpflichtigkeit des Eigentums, welche in der deutschen Verfassung unter dem Eindruck der Vergangenheit verankert wurde. Es sollte eine soziale Marktwirtschaft entstehen, eine Marktwirtschaft, die allen nützt. Dieser Vorsatz hat sich auch etwa drei Jahrzehnte behaupten können. Das waren die »drei goldenen Dekaden«. Doch seit den achtziger Jahren begannen Shareholderinteressen die der Bevölkerungsmehrheit, also der Stakeholder, zu übertrumpfen. Und seit Beginn der neunziger Jahre strömte dann deutsches Kapital in breitem Strom nach China, nicht weil es dem Land helfen wollte, dann hätte man auch nach Afrika gehen können, sondern weil man sich dort fabelhafte Renditen versprach und sie auch erhielt.

Man ging auch nicht etwa, um den Markt in China von dortigen Niederlassungen aus leichter beliefern zu können – diese Begründung war nur ein Vorwand, um Proteste in Deutschland abzuwehren -, sondern um mit ungeheurem Profit Billigwaren für den deutschen Hochlohnmarkt herzustellen. Ihr Blatt, Herr Steingart, das nicht zum Wenigsten von den Anzeigen der ökonomischen Elite abhängig ist, hat diese Zusammenhänge stets klein geredet oder verschwiegen.

Nur so erscheint es mir auch verständlich, warum Sie das Verhalten der Geldgeber ganz natürlich finden und es vorziehen, den Schuldigen in einem anderen Lager zu suchen, nämlich bei den kleinen Leuten, also der Mehrheit. Sie drücken es wieder sehr einleuchtend aus: „Der normale Käufer bei Karstadt, Metro oder Lidl ist ein regelrechter Globalisierungsfanatiker, der Preis und Leistung vergleicht, aber nicht Nationen und ihre sozialen Sicherungssysteme.“

Ich bitte Sie, Herr Steingart, was soll er denn auch anderes tun? Etwa beim Golf unter die Haube blicken, um herauszufinden, was darin alles im Ausland produziert worden ist? Werbung und Propaganda von oben sorgen doch seit Jahren dafür, den Konsumenten selbstständiges Denken abzugewöhnen. Überdies haben Wirtschaft und Politik, angefeuert noch dazu von den journalistischen Fürsprechern des Neoliberalismus, alles getan um Auslagerung und weltweite Konkurrenz als allein selig machendes Credo hinzustellen (»Pensée unique« nach den Worten eines der wenigen wirklich kritischen Journale, der Monde Diplomatique). Und jetzt wird der kleine Mann auch noch verhöhnt, indem man ihm die Schuld in die Schuhe schiebt!

Und was schlagen Sie nun vor, um die Demontage unseres Wohlstands aufzuhalten? Was können Sie vorschlagen, wenn Ihre Analyse zwar die Wirkungen erkennt, aber die eigentlichen Ursachen sorgfältig ausspart? Ihre Vorschläge sind merkwürdig zahm. Sie befürworten eine engere transatlantische Zusammenarbeit, eine Freihandelszone zwischen Europa und Nordamerika. Abgesehen davon, dass die WTO auf Betreiben vor allem der Vereinigten Staaten diese Freihandelszone unter allen westlichen Staaten und darüber hinaus ja ohnehin fast vollendet hat, drängt sich hier gleich eine weitere, von Ihnen ebenfalls verschwiegene Tatsache auf. Der Neoliberalismus und die Billigattacken in seinem Gefolge wurden nicht in Deutschland erfunden, sie sind zu uns aus den Vereinigten Staaten übergeschwappt, über den von Ihnen propagierten Freihandel nämlich. Die USA haben bei uns die Deutschland-AG zerschlagen und den Stakeholder- durch den Shareholdervalue ersetzt. Nicht die Billigattacke der Chinesen, die in Ihrem Artikel ausschließlich berücksichtigt wird, hat die deutsche (und übrigens auch die japanische) Wirtschaft grundlegend umgekrempelt, sondern die Billigattacke amerikanischer Unternehmen, weil ihre Produkte mehr und mehr Komponenten aus Niedriglohnländern enthielten. Chinas »Angriffe« hätte Europa mühelos zurückschlagen können (mit Schwellenländern verfuhr und verfährt man heute so unnachsichtig wie früher mit Kolonien), aber die kaschierte Billigattacke aus den USA war nicht abzuwehren, ohne schwerste politische Verstimmung zwischen Verbündeten zu riskieren. Die Japan- und die Deutschland-AG, diese bewährten Konsenskulturen, wurden von den Vereinigten Staaten aufgebrochen, auch das verschweigen Sie in Ihrem Artikel. Die US-Amerikaner taten das natürlich nicht aus Böswilligkeit – in diesem Punkt müssen wir uns vor vorschnellen Urteilen hüten -, sondern weil selbst so intelligente Wirtschaftskenner wie Robert Reich sich die verheerenden Auswirkungen der neoliberalen Politik nicht vorzustellen vermochten.

Für eine demagogische Kritik an asiatischen Ländern eignet sich diese Erkenntnis natürlich wenig. Eine eingängige Halbwahrheit findet mehr Zuspruch als die komplexe Wahrheit. Aber es ist nun einmal so: Die Angreifer auf unseren Wohlstand stammen aus unserer Mitte. Wenn US-amerikanische Konzerne weiterhin Produkte nach Europa verkaufen, die teilweise oder ganz aus asiatischen Billigkomponenten bestehen, oder Europa jetzt ebenso gegenüber den USA verfährt, dann ist der Krieg gegen den Wohlstand nicht zu beenden. Wie Sie in Ihrem Artikel eindringlich beschreiben, leiden jetzt auch die Amerikaner (richtiger gesagt, die Bevölkerungsmehrheit) unter dieser verfehlten Politik. Dennoch bleibt das Wort »Protektionismus« für die Minderheit der Globalisierungsgewinner nach wie vor ein verbissen bekämpftes Unwort. Genau wie bei uns leidet eine Mehrheit unter der neoliberalen Globalisierung, während eine Minderheit immer noch von ihr profitiert.

Sie haben Mut gefordert, Mut zu handeln. Dazu gehört aber erst einmal der Mut zur Erkenntnis. Der wahre Riss verläuft nicht zwischen Europa, Japan und den USA auf der einen und den asiatischen Angreifern auf der anderen Seite. Die eigentliche Kluft verläuft dies- und jenseits des Atlantiks zwischen der Mehrheit in den westlichen Ländern und einer durch die Globalisierung zu phantastischem Reichtum gelangten Minderheit. Von dieser unangenehmen Wahrheit findet der Leser nichts im Spiegel – und trotz Ihrer Forderung nach mutigem Handeln genauso wenig bei Ihnen. Aber solange Amerikaner und Europäer und die veröffentlichte Meinung hüben und drüben die Wahrheit verschweigen, nützt uns auch eine gemeinsame Handelspolitik sehr wenig. Denn es ist ja die von uns gemeinsam betriebene neoliberale Handelspolitik, die den Ausverkauf unserer Industrien und unseres Wohlstands zu verantworten hat.

Im Grunde wissen Sie auch darüber besser Bescheid, als Sie zugeben wollen oder als Mitarbeiter eines neoliberalen Blattes zugeben dürfen. Sie wagen sich ohnehin schon ziemlich nahe bis an die Grenze vor, wo der Spiegel das Missfallen der wirtschaftlichen Elite riskiert. Wenn Deutschland das Richtige täte, so sagen Sie, würden „Länder /wie China/ nicht länger mit Zollpräferenz verwöhnt.“ Europa und die USA wären „nach außen hin eine Festung, zumindest für jene, die sich bewusst ihren Werten verweigern oder diese gar mit Füßen treten.“

Wie gesagt, die Argumentation dieses Satzes ist zumindest zur Hälfte falsch, China wurde zu seinem Verdrängungshandel viel mehr von uns aus gezwungen, als es uns hätte zwingen können (in Zukunft könnte das freilich anders werden). Aber es ist richtig, dass wir uns dagegen zur Wehr setzen müssen, und das können wir nur tun, indem wir die Billigattacken an unseren Grenzen abwehren. Dazu müssen wir, wie Sie selbst es sagen, Zollpräferenzen aufheben und natürlich auch Zölle einführen, die unseren Industrien eine Chance geben und sie wieder aufleben lassen. Wir müssen im Westen für eine Vorortproduktion sorgen, also unsere vernichteten Industrien neu errichten. Dazu bedarf es genau jenes Schutzes (Protektion), den Japan, die asiatischen Tiger und heute China mit größter Selbstverständlichkeit für sich selbst in Anspruch nehmen. Ganz einleuchtend bemerken Sie in diesem Zusammenhang: „Den einfachen Beschäftigten… verweigert Europa heute jene Protektion, deren sie bedürfen.“

Bis dahin gehen Sie immerhin, nur setzt schon an diesem Punkt die innere Zensur wieder ein. Denn Sie wissen natürlich nur zu gut, dass die Begriffe Protektion und Protektionismus zu jenen ideologisch verfemten Unwörtern gehören, bei welchen den „Männern der Wirtschaft der Kamm schwillt“ und die Politiker „mit den Augen rollen.“ Unwörter, welche die mächtigen und immer noch tonangebenden Förderer Ihres Magazins auf keinen Fall hören wollen. Deswegen sind Sie bemüht, sich umgehend nach der anderen Seite hin abzusichern. Statt Protektionismus sagen Sie managed trade, und managed trade sei „nicht zu verwechseln mit Protektionismus. Denn eine Außenhandelsdoktrin, die schützende Zollmauern und strenge Einfuhrquoten vorschreibt, ist ähnlich unsinnig und mindestens genauso schädlich wie die Lehre vom unbedingten Freihandel.“

Unter Umständen ist das ja richtig, dann nämlich wenn der Handel zwischen gleichrangigen Wirtschaftspartnern mit etwa gleichem Lebensstandard stattfindet und keine Billigkomponenten eingeschleust werden, aber gewiss nicht, wenn die eigene industrielle Basis in beschleunigtem Tempo abgewrackt wird und man die Bevölkerung in die Arbeitslosigkeit treibt. In diesem Fall ist managed trade nichts anderes als Protektionismus und kann, wenn man sich von ihm Wirkung verspricht, auch nichts anderes sein.

Sie haben Recht: eine transatlantische Handelspolitik wäre das Gebot dieser Stunde. Europa und die USA teilen viele gemeinsame Werte. Es ist gar nicht solange her, dass die USA der Welt noch als Vorbild galten. Vielleicht gelingt es besonnenen Kräften, an diese Tradition wieder anzuknüpfen. Die Gemeinsamkeit zwischen den USA und Europa müsste sich dann aber zunächst einmal in innerer Gemeinsamkeit manifestieren. Darin, dass die Interessen der Mehrheit wieder eine Chance gegen die einer Minderheit hüben und drüben erhalten. Wenn der jetzt bestehende innere Riss gekittet ist, dann werden wir auch an eine wirksame äußere Gemeinsamkeit, eine effektive Handelspolitik, denken können.

Dass dies alles nicht ohne schwerwiegende Konflikte zu haben ist, liegt auf der Hand. Unsere jetzt noch wettbewerbsfähigen Großindustrien werden lautstark Protest anmelden, wenn ihre Exporte geschmälert werden. Das ist ja unweigerlich der Fall, wenn wir die Importe aus Asien, womit die Asiaten sie jetzt noch bezahlen, mit Schutzzöllen reduzieren. Aber auch die Bevölkerung, die ihre Computer, Haushaltsgeräte und vieles andere mehr nur deshalb so billig bekommt, weil dies alles in Asien ganz oder teilweise hergestellt wird, wird zunächst mit Protest reagieren. Diese ganze Problematik unterschlagen Sie, wohl wissend, dass man mit dem Hinweis auf unvermeidliche Konflikte keine Leser gewinnt. Aber es führt dennoch kein Weg daran vorbei, dass wir, um zu gesunden, uns zunächst einmal ins eigene Fleisch schneiden müssen. Anders lässt sich der Tumor nicht mehr beheben.

Ihr Artikel, Herr Steingart, ist Wirtschaftslyrik auf höchstem Niveau. Sie haben darin die leicht erregbaren Gefühle des Publikums angesprochen, aber sich sorgsam gehütet, irgendjemandem Weh zu tun. So ist leider nur eine halbe Wahrheit herausgekommen, eine allzu einfache und teilweise demagogische Wahrheit. Eine wirkliche Änderung wird es nicht geben, solange der Mut dazu fehlt, die ganze Wahrheit auszusprechen.