Was ist Wirtschaftsphilosophie?

In der ‚Offenen Gesellschaft und ihre Feinde’ vertrat Karl Popper mit großer Entschiedenheit die Position, dass größere Eingriffe in die Wirtschaft, vor allem solche ideologisch motivierter Art, meist unheilvoll und deshalb zu vermeiden seien. Popper schrieb sein berühmtes Werk gegen Ende der dreißiger Jahre. Da standen ihm einerseits die verheerenden Auswirkungen einer von Textbuchideologen gesteuerten Zentralwirtschaft vor Augen, wo ein Politbüro die arbeitenden Massen in das Korsett einer Zwangswirtschaft schnürte, andererseits war sich Popper aber auch der Gefahren eines Kapitalismus bewusst, der dazu tendierte, die Interessen einer Handvoll von Monopolisten über die der Gesamtbevölkerung zu stellen. Demgegenüber propagierte Popper ein Modell der kleinen Schritte, nämlich eines ‚social engineering’, das jeden vorausgegangenen ökonomischen Eingriff genauestens im Hinblick auf seine Auswirkungen untersucht, bevor es einen weitere Maßnahme wagt. Bei seiner Warnung hatte Popper vermutlich die Wirtschaft als einer Art hoch-komplexer Maschinerie vor Augen. Wenn ein Laie dort eingreift, richtet er gewöhnlich die größten Schäden an.

Poppers Haltung beruhte auf einer gesunden Skepsis. Im Bereich von Politik, Gesellschaft und Ökonomie ist unser Wissen begrenzt. Wir müssen ständig mit einer Vielzahl von Faktoren rechnen, deren Einfluss auf die Gesamtheit des Geschehens wir in der Regel nur ungefähr abschätzen können. Die Zukunft ist daher grundsätzlich offen (das war die Botschaft, um die es Popper eigentlich ging). Wer glaubt, sie mit Hilfe von Patentrezepten in eine bestimmte Bahn zwingen zu können, bewirkt in der Regel mehr Unheil als Nutzen.

Dem gleichen Aufruf zur Vorsicht begegnet man bei einem neueren Autor, dem Historiker Joachim Radkau. Er hat die Vorschläge Poppers – ohne diesen ausdrücklich zu nennen – in zehn Geboten sozusagen in Stein gemeißelt. Ein Historiker würde sich in der Tat mit Prophezeiungen über die Zukunft lächerlich machen. Wird die deutsche Demokratie in zehn Jahren von einer Plutokratie abgelöst oder wird sie im Gegenteil basisnäher als heute sein? Ist eine Demontage des Sozialstaats für die kommenden Jahre zu erwarten oder wird die derzeitige Vollbeschäftigung im Gegenteil dessen Ausbau ermöglichen? Wird Deutschland in den kommenden Dekaden von linken oder von rechten Parteien regiert? Auf so komplexe Fragen vermag eine seriöse Wissenschaft keine verlässliche Antwort zu geben.

Wirtschaftsphilosophie

geht viel grundsätzlicher vor – wie dies ja überhaupt zum Wesen der Philosophie gehört. Sie stellt nämlich die entscheidende Frage, wohin all die kleinen Schritte führen? Vorsicht kann aus ihrer Sicht nur dann als Tugend gelten, wenn sie den Horizont berechtigter Fragen nicht mit einem Feuerwall verbarrikadiert. Mit Popper ist sie sich darin einig, dass die Zukunft grundsätzlich offen ist, und kühne Prophezeiungen von der eben genannten Art keine wissenschaftlich vertretbaren Antworten erlauben. Sie beharrt aber darauf, dass wir sehr wohl seriöse Wenn-Dann-Aussagen über zukünftige Entwicklungen treffen können.

Ob Europa zum Beispiel in den kommenden Jahren zu einer Einheit zusammenwächst oder wieder in Einzelstaaten zerfällt, hängt in erster Linie ganz gewiss davon ab, ob die führenden Politiker dies wollen, d.h. ob sie Maßnahmen zur Förderung der europäischen Einheit beschließen und ob sie darüberhinaus in der Lage sind, die Bevölkerung dabei als Bundesgenossen auf ihre Seite zu bringen.

Auf den Unterschied von kleinen zu großen Schritten kommt es dabei gar nicht wesentlich an. Eine die Zukunft bewusst gestaltende Planung, welche die Bevölkerungsmehrheit auf ihrer Seite weiß, braucht bei kleinen Schritten nicht stehen zu bleiben. Im Gegensatz zu angelsächsischen Ländern, wo oft nur von einem Quartal zum nächsten geplant worden ist, haben die Unternehmen der einstmaligen Deutschland AG und die Konzerne Japans nach Ende des Krieges keine Politik der kleinen Schritte, sondern im Gegenteil eine der langfristigen großen Planung betrieben – wie man weiß, überwiegend mit durchschlagendem Erfolg. In den Zeiten seiner größten wirtschaftlichen Expansion hat das demokratische Inselreich darüberhinaus die gesamte Ökonomie überaus wirksam gesteuert. Die Zukunft war in diesem Fall keineswegs offen, denn sie wurde durch das Wollen der einflussreichsten Akteure bewusst in eine ganz bestimmte Richtung gelenkt.

China, ein autoritäres Regime, verdankt seinen erstaunlichen Aufstieg einer ebensolchen Politik der langfristigen Planung, d.h. einer Politik der sehr großen Schritte. Die Planer gehen dort nach der Maxime vor: Wenn wir für bestimmte Rahmenbedingungen sorgen, dann wird die ökonomische Wirklichkeit mit großer Wahrscheinlichkeit in fünf oder zehn Jahren unseren Erwartungen entsprechen. Die grundsätzliche Offenheit der Zukunft wird dadurch zwar keineswegs in Frage gestellt oder gar aus der Welt geschafft. Soziale Unruhen, Seuchen, Kriege und viele andere Faktoren können die besten Planungen durchkreuzen, aber sicher wäre es eine Dummheit, wenn die Regierungen dieser Länder, nur weil sich eine solche Gefahr nie endgültig bannen lässt, auf sie verzichten würden. Im besten Fall gelingt ihnen durch eine zielgerichtete Planung des Kommenden, dessen Offenheit wesentlich zu begrenzen.

Die Grenzen des Wachstums

Die Grundfrage einer Wirtschaftsphilosophie: Wohin denn all die kleinen und weniger kleinen Schritte der sozial-ökonomischen Planung am Ende führen?, ist letztlich von ausschlaggebender Bedeutung. Unternehmen oder Staaten, die sich bei jedem folgenden Schritt ausschließlich daran orientieren, ob der ihm jeweils vorangegangene denn auch den gewünschten Erfolg erzielte, können zwar sicher sein, den Weg des geringsten Widerstands zu beschreiten, aber dieser kann sie sehr wohl in den Abgrund führen. Manche Kassandras unserer Zeit behaupten ja in der Tat, dass die industrielle Ökonomie genau diese Gefahr beschwöre. Die Philosophie der Wirtschaft konfrontiert die kurzfristigen Auswirkungen ökonomischen Handelns daher mit dessen langfristigen Folgen. Es gehört zu den Paradoxien menschlichen Handelns, dass die jeweiligen Bewertungen sich grundlegend unterscheiden können.

Fragen nach den langfristigen Auswirkungen ökonomischen Handelns sind keineswegs neu, aber es bedeutete einen Durchbruch, als die 1972 veröffentliche Studie über ‚Die Grenzen des Wachstums’ sie zum ersten Mal für die Entwicklung des Globus als ganzem stellte. Dieses Werk und sein damaliger Sensationserfolg, der einerseits in öffentlichem Beifall, andererseits in kaum verhehlter Empörung bestand, bleibt bis heute exemplarisch. ‚Die Grenzen des Wachstums’ erhellen zur gleichen Zeit die Motivation, die Widerstände und die Gefahren, welche mit einer solchen grundsätzlichen und langfristig angelegten Art der Wirtschaftsanalyse – eben einer Wirtschaftsphilosophie – unausweichlich verbunden sind.

I. Die Motivation

ist dieselbe, die allem menschlichen Denken über die Wirklichkeit von jeher zugrunde liegt: unser Wünschen und Hoffen. Aber es sind in diesem Fall nicht die mächtigen, gegenwartsbezogenen Erwartungen, wie sie den Alltagskonsum und das Wachsen der Wirtschaft beflügeln. Die meisten Menschen, vor allem natürlich jene aus den Entwicklungsstaaten, wünschen sich nichts sehnlicher als den Besitz all jener das Leben erleichternden Produkte, die ihnen eine starke und wachsende Wirtschaft verheißt.

Das war nicht das Thema von Donella und Dennis Meadows. Dennoch waren sie von nicht weniger elementaren Wünschen und Hoffnungen beseelt, als sie ihr Werk verfassten. Nur waren es in ihrem Fall Hoffnungen, die weniger der Gegenwart als der Zukunft der Menschheit galten. Sie wünschten sich einen Globus, auf dem auch unsere Enkel und deren Nachfahren noch menschenwürdige Bedingungen vorfinden würden. Die Motivation für ihr Buch lag in der Befürchtung, dass wenig Grund zu dieser Hoffnung bestehe, wenn die Menschheit ihre Ressourcen weiterhin im gewohnten Tempo verprasst.

II. Die Widerstände,

denen sich ‚Die Grenzen des Wachstums’ bald nach ihrem Erscheinen ausgesetzt sahen, erklären sich aus dem Zusammenprall zweier mächtiger Erwartungsströme, die jede ein völlig anderes ökonomisches Handeln erfordern. Wer die Hoffnungen auf Wachstum befriedigen wollte, und zwar im Hier und Jetzt, der scherte sich nicht um die Warnungen des Club of Rome, wie gut diese auch begründet sein mochten. Wer dagegen die Zukunft der Enkel und späteren Nachfahren im Auge hatte, für den waren diese Warnungen bitterer Ernst, während die Fixierung auf den gegenwärtigen Nutzen als reine Frivolität erschien. Denn eines mussten ja auch die größten Zweifler als evident akzeptieren. Es gibt unüberschreitbare Grenzen des materiellen, quantitativen Wachstums; kein Baum schießt bis zum Himmel empor. Der Grundgedanke des Buches war über jeden Zweifel erhaben, ganz unabhängig davon, ob alle Daten richtig bestimmt und die Folgerungen aus ihnen in jedem Fall unanfechtbar waren.

Dennoch zeigte sich sehr schnell, wer in diesem Streit der Erwartungen den Sieg davontragen würde: Die Gegenwart mit ihren drängenden Wünschen nach umgehender Befriedigung im Hier und Jetzt? Oder die Zukunft, die man für kommende Generationen erhalten wollte? Die Wegblicker, die Vertuscher und Opportunisten, also die überwiegende Mehrheit, triumphierte, als man den ‚Grenzen des Wachstums’ einige zu pessimistische, sachlich nicht gerechtfertigte Voraussagen nachweisen konnte. Manche hielten das Problem damit überhaupt für erledigt.

III. Die Gefahren,

denen sich diese wie jede andere Wirtschaftsphilosophie stellen muss, lassen sich exemplarisch an derartigen Reaktionen ablesen. Sie liegen in der Offenheit der Zukunft, genauer gesagt, liegen sie darin, dass es fast immer mögliche Alternativen gibt, die übersehen werden, manchmal auch solche, die man nicht sehen kann, weil es sich dabei um zukünftige Erfindungen handelt. So ist es zum Beispiel denkbar, dass die Kernfusion eines Tages mehr Energie zur Verfügung stellt, als der Mensch überhaupt zu verbrauchen vermag; in diesem Fall wären alle Sorgen über die Vergiftung der Umwelt durch CO2-Emissionen von einem Tag auf den anderen gegenstandslos. Eine solche auf menschlicher Intelligenz beruhende Offenheit der Zukunft ist niemals auszuschließen, andererseits müssen wir aber auch dann mit der Möglichkeit rechnen, ein Danaergeschenk zu erwerben, weil der Globus den Wärmetod stirbt und ein solches energetisches Füllhorn den Umsatz der noch verbliebenen Rohstoffe so sehr in die Höhe schraubt, dass wir die Grenzen des Wachstums außerhalb des Energiebereichs noch weit schneller erreichen.

Offene und geschlossene Alternativen

Die entscheidende Neuerung, welche die Wissenschaften und die darauf begründete Technik seit drei Jahrhunderten in die Geschichte einführten, ist die größere Verlässlichkeit menschlicher Planung. Zehntausende von Flugzeugen sind an jedem Tag zu einem Ziel irgendwo in der Welt auf dem Weg, in der Regel erreichen fast alle ihren Bestimmungsort. Inzwischen gilt das sogar für Raketen zum Mars – eine langfristige Planung, denn sie treffen dort ja erst ein halbes Jahr später ein. Angefangen beim Handy bis zur Rakete beherrschen die Planungen der Technik unser gesamtes Leben. In ihrem jeweiligen Anwendungsbereich erlauben diese Geräte ein gerechtfertigtes Vertrauen in die Zukunft, denn sie verhalten sich im allgemeinen so wie geplant.

Wissenschaft und Technik – diese Subsysteme menschlichen Handelns – unterscheiden sich allerdings dadurch von der sie umgreifenden politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Realität, dass sie mit geschlossenen Alternativen operieren. Eine flugfähige Rakete zum Mars trifft an ihrem Bestimmungsort ein oder nicht. Es gibt nur diese zwei Möglichkeiten. Eine dritte von der Art, dass ein Engel die Rakete trotz eines Aussetzens der Triebwerke oder einer falschen Berechnung der Bahn doch sicher ans Ziel geleitet, werden gläubige Menschen nicht völlig ausschließen wollen, aber üblicherweise werden auch sie zugeben, dass auf ein Wunder per definitionem wenig Verlass ist. Bei einem Handy ist die Sache offenbar weniger einfach. Es gibt mehr Alternativen als nur das völlige Versagen auf der einen und fehlerfreies Funktionieren auf der anderen Seite. Aber auch in diesem Fall sind die möglichen Alternativen geschlossen – wäre die Menge an Fehlern unendlich, würde jede sinnvolle Planung ergebnislos sein.

Ganz anders verhält es sich, wenn es um die globalen Auswirkungen technischer oder sozialer Neuerungen geht. Da sind die denkbaren Alternativen in den seltensten Fällen geschlossen. Genau hier liegt der Grund, warum eine seriöse Wirtschaftsphilosophie nur selten zu eindeutigen Voraussagen in der Lage ist. Sie muss sich darauf beschränken, ihre Aussagen über die Zukunft in Wenn-Dann-Sätzen aufzustellen.

Zum Beispiel: Wenn biologisch nicht abbaubarer Plastikmüll in gleichen Mengen wie bisher in die Meere gelangt, dann ist mit einem ökologischen Kollaps zu rechnen, auch wenn wir gegenwärtig nicht wissen, ob dieser in zwanzig oder in zweihundert Jahren eintreten wird.

Oder: Wenn westliche Staaten den Schuldenberg weiterhin jährlich erhöhen und ihn durch entsprechendes Wachstum nicht länger abtragen können, dann werden entweder die Gläubiger eines Tages die Schuldner völlig zu Boden drücken oder es werden umgekehrt die Schuldner die Gläubiger enteignen. Mehr als diese beiden geschlossenen Alternativen, die in der Regel zu schweren sozialen Kämpfen führten, hat es in der bisherigen Geschichte des Menschen niemals gegeben. Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt hat auch niemand zu zeigen vermocht, dass neben diesen beiden Möglichkeiten noch andere, bisher übersehene existieren.

Ebenso hat im Hinblick auf ein Wachstum, das keine Grenzen kennt, bis zu diesem Tag niemand zeigen können, wie wir den dadurch beschworenen Gefahren entgehen. Wenn wir der Umwelt immer mehr nicht-erneuerbare Ressourcen entnehmen und es für eine Reihe von ihnen zweifelsfrei nachweisbar ist, dass sie nur in begrenztem Umfang vorhanden sind, dann sind wir zu der Prognose gezwungen, dass sie uns in Zukunft – in manchen Fällen wie bei Phosphor oder Kupfer schon in naher Zukunft – nicht mehr zur Verfügung stehen.

Dennoch sind Voraussagen, die auf solchen Sätzen gründen, mit großer Unsicherheit behaftet, weil die Prämissen eben keinesfalls mit Notwendigkeit zu erwarten sind. Wir haben es nicht länger mit geschlossenen Alternativen zu tun. So stellt die Prognose, dass die Menschheit der Umwelt auch künftig immer mehr knappe Rohstoffe entnehmen wird, eine durch nichts zu beweisende Behauptung dar. Im ungünstigsten Fall könnte ein negatives Wachstum, d.h. ein Schrumpfen der Wirtschaft, den Verbrauch massiv reduzieren, im besten Fall kommt eine radikal umgestaltete Wirtschaft bei gleichem Lebensstandard mit einem Bruchteil der Ressourcen aus. In solchen Fällen gelangt die Wirtschaftsphilosophie über mehr oder weniger plausible Annahmen nicht hinaus, andernfalls würde sie sich in unbeweisbaren Spekulationen verlieren.

Die doppelte Wurzel der Prophetie

Dabei ruht die Vorhersage der Zukunft auf zwei ganz unterschiedlichen Säulen, nämlich einerseits auf dem technischen Stand der Entwicklung zu einer bestimmten Zeit und andererseits auf dem menschlichen Wollen, wie es sich aus Wünschen und Hoffnungen speist.

Zweimal in der Geschichte des Menschen haben die Erfindungen der Technik die größten sozialen Umwälzungen bewirkt. Das erste Mal in der Zeit vor etwa zehntausend Jahren, als der Mensch, statt seine Nahrung weiterhin zu jagen und einzusammeln, damit begann, diese in eigener Regie herzustellen bzw. zu hegen. Das zweite Mal kam es zu einer ebenso radikalen Wende, als mit der industriellen Revolution eine Epoche des materiellen Überflusses begann. Alles scheint darauf hinzudeuten, dass sich die Menschheit seit Ende des zwanzigsten Jahrhunderts neuerlich vor einem nicht weniger einschneidenden und folgenreichen Umbruch befindet: der Digitalen Revolution.

Technische Erfindungen können das Leben auf grundlegende Art umgestalten, ohne dass selbst die kühnsten Propheten vor ihrer tatsächlichen Anwendung die damit verbundenen Auswirkungen vorauszusehen vermochten. Im Rückblick und über den Verlauf der gesamten Geschichte betrachtet, ist der materielle Fortschritt, den sie bewirkten, ein unbestreitbares und in seinem Ausmaß atemberaubendes Faktum.

Damit erweitert sich der Horizont möglicher Planung. Unsere durch Wissenschaft und Technik geprägte Epoche zeichnet sich vor allen vorangehenden dadurch aus, dass sie zukünftige Ereignisse – sofern sie unabhängig von menschlichem Wollen und Wünschen sind, also den Naturgesetzen gehorchen -, in immer weiterem Umfang und größerem Detail in beiden Richtungen der Zeit voraus und zurück zu berechnen vermag. Das gilt für die Bahnen der Planeten wie für den Beginn des Universums oder das Erlöschen des nuklearen Sonnenfeuers.

Und es gilt auch für eine Ökonomie, die sich des technischen Instrumentariums zur Daseinsbeherrschung in steigendem Maße bedient. Der öffentliche Verkehr in der Luft, auf Gleisen und auf den Autobahnen, die tägliche Versorgung mit Energie in allen Formen, der nahezu unendliche Informationsfluss zur gegenseitigen Ab- und Angleichung der Handlungsabläufe – all das muss in einer modernen Wirtschaft mit der Präzision eines Uhrwerks funktionieren, sonst würde das ökonomische Räderwerk augenblicklich ins Stottern oder Stocken geraten. Normalerweise ist der tägliche, jährliche, ja selbst der Zehnjahrestakt einer Wirtschaft weitgehend prognostizierbar. Die ökonomische Maschinerie funktioniert nur soweit und auch nur solange, wie eine sorgfältig geplante Zukunft eben gerade nicht offen ist.

Das Fundament der Ökonomie – menschliches Wollen

Die Grenzen der Planung sind dennoch auch hier evident. Selbst wenn sich eine moderne Wirtschaft durchgehend auf technische Mittel stützt, die sämtlich auf Gesetzen beruhen, die unabhängig von menschlichem Wollen und Wünschen bestehen, so haben die Planungen selbst doch nichts anderes zu ihrer Voraussetzung als eben dieses menschliche Wollen. Zu behaupten, dass die schöpferische Vernunft, also das Wollen, unabhängig von menschlichem Wollen sei, wäre absurd (auch wenn eingefleischte Deterministen eben diese Absurdität begehen, indem sie auch das Wollen selbst in Naturgesetzen verankern). Prophetie bleibt auch in einer modernen Wirtschaft auf schwankendem Boden errichtet.

Allerdings darf man sich die Abhängigkeit der Wirtschaft von menschlichem Wollen nicht so einfach vorstellen, als würden wir nur aufgrund eines veränderten Bewusstsein und einer darauf beruhenden Neuorientierung eine grundsätzlich veränderte Wirtschaft gleichsam aus dem Nichts zaubern können. Gegenwärtige Erwartungen spielen immer nur eine vergleichsweise geringe Rolle neben allem vergangenen Wollen, das sich bereits zu Institutionen verfestigt hat. Derjenige Teil der Wirtschaft, mit dem wir leben müssen – oder leben dürfen -, weil ihn unsere Vorfahren so geschaffen haben, ist unendlich groß gegenüber demjenigen Teil, den die heutige Generation gerade erschafft oder in ihrem Sinne neu gestaltet. Damit verhält es sich nicht anders als mit der Sprache. Die meisten Wörter und die ganze Grammatik übernehmen wir von den uns vorangegangenen Menschen, nur einen kleinen Teil trägt die jeweils lebende Generation ihrerseits zu diesem Erbe bei. Zwar ist die Feststellung völlig richtig, dass alle wirtschaftlichen Institutionen ihren Ursprung in menschlichem Wollen und Wünschen haben, aber der größte Teil dieses Wollens existiert in kristalliner Form in Gestalt von etablierten Institutionen, die dem Wollen der jeweils lebenden Generation ebenso große Hindernisse entgegensetzen (bzw. ebenso große Chancen gewähren) wie die Ordnung einer äußeren Natur, mit deren Gesetzen sich der Mensch abfinden muss.

Deshalb ist es völlig richtig, dass Umstellungen gewöhnlich in kleinen Schritten erfolgen – gewaltsame Eingriffe in eine gewachsene Ordnung bringen gewöhnlich nur Chaos hervor. Das Denken allerdings kann und soll auch noch die größten Schritte wagen. Wirtschaftsphilosophie darf sich von der naturgegebenen Trägheit gewordener Institutionen nicht einschüchtern lassen. Ihre Aufgabe ist es, stets nach den letzten Konsequenzen ökonomischen und sozialen Handelns zu fragen und auf ihrer Grundlage die Richtung zukunftsfähiger Entwicklung zu bestimmen.

Dennoch kann der Glaube Berge versetzen,

zum Beispiel, indem er ein Land wie China, das wenige Jahrzehnte zuvor noch eine rein agrarische Wirtschaft war, gleichsam über Nacht zu einer ökonomischen Großmacht aufsteigen lässt. Umgekehrt kann der mangelnde Glaube an bestehende Institutionen zuvor intakte Zivilisationen wie das römische Weltreich gründlich zerstören. Im sogenannten ‚menschlichen Faktor’ entspringt die größte Sicherheit ebenso wie die größte Unsicherheit im Hinblick auf die Bestimmung der Zukunft.

Spätestens seit Deng Xiao Ping ist China bestrebt, seiner Bevölkerung für die Zukunft ein besseres Leben zu bieten. Inzwischen reicht der Ehrgeiz des aufstrebenden asiatischen Giganten aber noch weit darüber hinaus. China macht gar kein Hehl daraus, dass es zur wirtschaftlich stärksten Macht des Globus aufrücken will – ein Ziel, das heute schon beinahe erreicht worden ist. Solange die Mehrheit der Bevölkerung den festen Willen hegt, dieses Ziel zu erreichen, wird sie alle Energien in dessen Verwirklichung investieren. Prophetie ist in diesem Fall sehr wohl möglich, weil das kollektive Wollen nicht schwankend und unsicher ist, sondern im Gegenteil eine die ganze Gesellschaft mächtig vorantreibende Kraft. Es ist kollektiver Optimismus, der die Gestaltung der Zukunft zu einer selbsterfüllenden Prophetie werden lässt. Auch vorübergehende Wirtschaftseinbrüche, die man aufgrund der hohen Verschuldung der chinesischen Provinzen keinesfalls ausschließen kann, werden das fernöstliche Reich von seinem selbstgesteckten Ziel kaum mehr abbringen können.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit dürfen wir deshalb sagen: China wird schon während der kommenden zwei Jahrzehnte zur Weltmacht Nr. 1 aufsteigen. Dabei ist es keinesfalls die Technik, die dieses Wunder bewirkt, denn die musste China beinahe zu hundert Prozent bei seinen Konkurrenten kopieren (erst neuerdings ragt es auch durch eigene Forschung und technische Leistung hervor). Es ist der ‚menschliche Faktor’, der Wille zu Macht und Selbstbehauptung, der die entscheidende Rolle spielt.

Kleine Schritte als Zeichen der Verunsicherung

Dagegen erweist sich ein mangelnder Glaube, sei es an den eigenen Erfolg oder an ein gemeinsames Zukunftsbild, als wirksamster Faktor, um die Zukunft in Ungewissheit zu hüllen. Spätestens seit der großen Wirtschaftskrise von 2008 leiden die Staaten des Westens unter einem Mangel an Zielen, für die sie die Mehrheit ihrer Bevölkerung mobilisieren können. Die Hoffnung auf eine auch in Zukunft noch heile Umwelt ist zwar für viele ein dringendes Anliegen, aber sie prallt unversöhnt mit gegenwartsbezogenen Ansprüchen auf wachsenden materiellen Wohlstand zusammen. Welchen Schritt Unternehmen oder Politiker auch setzen, in den seltensten Fallen können sie mit dem Beifall einer Mehrheit rechnen.

Dadurch kommt es zu einer Aufsplitterung von Erwartungen und Hoffnungen, die der Politik gar nichts anderes mehr erlaubt als ein Dahinkriechen in kleinen und kleinsten Schritte – eine Politik der äußersten Vorsicht, die man auch als Verzagtheit bezeichnen kann und die sehr oft geradezu in Ratlosigkeit übergeht. Social engineering als eine Methode, die ein beständiges Rücksichtnehmen auf alle möglichen Einsprüche erfordert, wird dann zum Kennzeichen tiefgreifender Verunsicherung. Es drückt sich darin nicht etwas Stärke aus, wie sie in der Bejahung allgemein akzeptierter Ziele zum Ausdruck gelangt, sondern wir haben es im Gegenteil mit einer Politik der Schwäche zu tun, weil es nicht länger möglich erscheint, die Bevölkerung für gemeinsame ökonomisch-soziale Vorhaben zu gewinnen.

Darin liegt eine akute Gefahr, denn der Mensch mit seinen Erwartungen ist und bleibt nun einmal in allen Gleichungen das letzte nie ganz zu berechnende und oft geradezu völlig unberechenbare Element. Die Zivilisation Roms – bis zur industriellen Revolution des achtzehnten Jahrhunderts ein Gipfelpunkt in der Geschichte des Menschen – brach nach dem fünften Jahrhundert sang- und klanglos zusammen, obwohl alle materiellen, organisatorischen und geistigen Voraussetzungen zum Zeitpunkt dieses Zusammenbruchs den dortigen Bewohnern, aber auch den einfallenden ‚Barbaren’ noch bekannt und gewärtig waren. Doch diese Menschen verbanden mit dem alten ‚System’ keine Hoffnungen mehr, anders gesagt, glaubten sie nicht mehr daran, sondern erwarteten sich ein besseres Leben nur noch von einer radikal andersartigen Welt. Für viele lag diese schon nicht mehr im gründlich entwerteten Diesseits.

Eine solche Verlagerung der Hoffnungen genügte, um eine kurz zuvor noch florierende Zivilisation für mehr als ein halbes Jahrtausend zum Verschwinden zu bringen. Tausenddreihundert Jahre sollten vergehen, bis eine gleich große Höhe der materiellen Entwicklung im 18ten Jahrhundert neuerlich erreicht worden ist (siehe Morris, Wer regiert die Welt?).

Digitale Revolution

Wirtschaftsphilosophie spricht über Grenzen, aber genauso auch über Chancen. Die Grenzen sind offensichtlich, sie traten durch die Veröffentlichung des Club of Rome und die großangelegte Studie ‚Global 2000’ ins öffentliche Bewusstsein, aber es ist mindestens ebenso wichtig, die Chancen sichtbar zu machen, denn sie sind es ja, welche nicht nur Gefahren beschwören, sondern auch Hoffnung beleben. Im Gegensatz zu vielen anderen sehe ich eine zukunftsweisende Chance in der sich vor unseren Augen gerade vollziehenden digitalen Revolution. Richtig gesteuert, bietet sie nicht weniger als ein Rezept gegen die Gefahren des zunehmenden Ressourcenverschleißes und der damit einhergehenden Umweltvergiftung.

Diese Behauptung mag auf den ersten Blick paradox erscheinen. Was soll die Lenkung der industriellen Produktion durch künstliche Intelligenz an der Ausbeutung der Ressourcen ändern? Ist nicht im Gegenteil eine zusätzliche Erhöhung der Produktion wahrscheinlich, wenn Maschinen vierundzwanzig Stunden am Tag laufen können, ohne auf die Bedienung durch fehl- und ermüdbare Menschen angewiesen zu sein?

Dieser Einwand lässt außer Betracht, dass es die Massen der in den produzierenden Industrien beschäftigten Menschen sind, welche ihr gewohntes oder gar ein wachsendes Einkommen nur unter der Voraussetzung beziehen, dass sie fortlaufend neue Produkte in immer schnellerem Tempo erzeugen. Nicht die Maschinen sind gefräßig – denen ist es im Prinzip völlig gleich, ob sie nur eine einzige oder vierundzwanzig Stunden am Laufen sind. Es sind die Menschen an den Maschinen, die auf weit mehr als die Erfüllung ihrer Bedürfnisse drängen. Sie sind es, welche das größte Übel der industriellen Ära, die Wegwerfgesellschaft, am Leben erhalten. Auf lange Sicht bedarf die soziale Ordnung einer fundamentalen Neugestaltung, damit diese Menschen ihren Lebensunterhalt auf andere Weise erwerben.

Eine Wirtschaftsphilosophie, die ihren Namen verdient

Wirtschaftsphilosophie setzt sich zum Ziel, die Chancen ebenso wie die Gefahren der künftigen ökonomisch-sozialen Entwicklung auf grundsätzliche Art aufzuzeigen. Sie prophezeit nicht, dass wir die Probleme der Zukunft lösen werden – es ist sehr wohl möglich, dass die Menschheit vor dieser Aufgabe versagt. Sie spricht sich auch nicht gegen eine Politik der kleinen und vorsichtigen Schritte aus, sofern diese in die Richtung einer zukunftsfähigen Entwicklung weisen.

Sie sieht es aber als ihre Aufgabe an, die Gründe dafür zu finden, warum zielgerichtetes Planen unter bestimmten Bedingungen gelingt, z.B. in den Dekaden der Deutschland-AG, in Japan und im heutigen China, aber manchmal außerordentlich schwierig oder beinahe unmöglich erscheint. Offenbar hängt hier alles vom ‚menschlichen Faktor’ ab, denn in technologischer Hinsicht sind die westlichen Staaten der restlichen Welt nach wie vor überlegen. In China lässt sich ein gemeinsames Wollens mobilisieren, weil und solange es dem Land mit jedem Jahr etwas besser geht.

In Deutschland und den Ländern des Westens, wo der materielle Lebensstandard bereits einen Plafond erreichte, der längst in bloßen Wegwerfkonsum überging, ist die Bereitschaft zum Verzicht durchaus vorhanden. Der Wegwerfkonsum muss nicht jedes Jahr noch weiter gesteigert werden. Aber es scheint unmöglich zu sein, ein gemeinsames Wollen in Richtung einer zukunftsfähigen Entwicklung zu mobilisieren. Hierin liegt das eigentliche Problem. Eine Wirtschaftsphilosophie, die ihren Namen verdient, hat sich diesem Problem zu stellen. Wie kommt es, dass so viele den Ernst der Lage durchaus begreifen, aber nur die wenigsten die Bereitschaft aufbringen, entsprechend zu handeln?

Alte und neue Wirtschaftsphilosophie

Ich denke, dieser Widerspruch hängt damit zusammen, dass der Verzicht vor allem von einer Bevölkerungsmehrheit gefordert wird, während eine politisch und ökonomisch privilegierte Minderheit ihre Vorrechte weiter vergrößert. Es ist nicht wahr, dass die Bevölkerungsmehrheit jeden Gedanken an die Zukunft verdrängt, weil sie im Verzicht auf den Wegwerfkonsum eine Zumutung sehen würde. Aber es scheint durchaus wahr zu sein, dass man der Bevölkerungsmehrheit keinen Verzicht aufnötigen kann, wenn eine Minderheit sich zur selben Zeit auf ihre Kosten bereichert. Ein solches soziales Ungleichgewicht schafft Ressentiments, die ein gemeinsames zielgerichtetes Handeln sehr schwierig machen.

Auch diese Einsicht entspricht der Wirtschaftsphilosophie – einer längst bekannten, denn sie ist so alt wie menschliche Ungleichheit, auch wenn sich ihre bedeutendsten Vertreter erst mit dem Aufkommen der industriellen Revolution zu Wort gemeldet haben. Hier ist natürlich von Denkern wie Rousseau, Proudhon, Marx bis hin zu John Rawls die Rede. Zwei durchaus unterschiedliche Arten der Wirtschaftsphilosophie stehen inzwischen Seite an Seite.

Die neuere von beiden, die erst in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts entstand, befasst sich mit dem Verhältnis von Mensch und Natur. Die existenzielle Bedrohung durch eine unzureichend beherrschte Technik nehmen in ihr eine zentrale Stellung ein. Die ältere beleuchtet das Verhältnis der Menschen untereinander, sie hat es in erster Linie mit den Auswirkungen einer Ungleichheit zu tun, welche als ungerechtfertigt und ungerecht abgelehnt wird.

Diese beiden Arten der Philosophie sind grundlegend für das Verständnis unserer gegenwärtigen Situation. Es ist nicht etwa mangelndes technologisches Können, es ist der ‚menschliche Faktor’, welcher die Lösung des einzig wirklich existenziellen Problems unserer Zeit, eine zukunftsfähige Entwicklung, so ungeheuer schwierig erscheinen lässt, und zwar auch in den reichen, technisch fortschrittlichsten Staaten des Westens.