Götz Werner in Krems – wie die schöne neue Welt von einem deutschen Realträumer herbeigelacht wird

(auch erschienen in: Heise.de)

Sich selbst bezeichnet Götz Werner als einen „realträumenden“ Menschen. Sicher ist er ein moderner Romantiker und als einer der erfolgreichsten Unternehmer Deutschlands zugleich auch ein Mann der Tat. Die ihm zujubelnden Menschen dürften allerdings mehrheitlich linke Überzeugungen vertreten und sind daher eher durch marxistische Einflüsse als durch die Lehren einer Business-School geprägt. Unternehmer zählen gewöhnlich nicht gerade zu ihren Stars. Doch wenn einer aus dem Klischee herausbricht, von ganz unten nach ganz oben gelangt; wenn einer die Seite wechselt und sich als Milliardär zu ihnen herablässt, ja, den Hartz-IV-Empfänger ganz besonders damit umschmeichelt, dass dieser die Zukunft repräsentiere, weil die Arbeit ja ohnehin am Aussterben sei, dann kommt es zu einer Schubumkehr: Das Feindbild wird zur Ikone. Der Mann von ganz oben, der sich mit den Leuten ganz unten solidarisch erklärt, erweckt Enthusiasmus und Optimismus. So auch am 10. September 2011 im Kloster UND zu Krems, wo der Charismatiker im Gespräch mit dem ORF Journalisten Michael Kerbler seine frohe Botschaft verbreitete. Hier kam überdies noch eine weitere erstaunliche Fähigkeit zum Durchbruch: Diesem Mann gelingt es mit ein paar Zaubertricks, sämtliche Krisen wie traurige Gespenster einfach hinwegzulachen. Der Frohsinn war ansteckend. Die „schöne neue Welt“ des bedingungslosen Grundeinkommens wurde zur Vision, die der Magier einem frommen Publikum offenbarte.

Dieser Drogerieketten-Chef ist ein Meister der demagogischen Beschwörung. Die Leute merken nicht einmal dass und wie sie belogen werden, denn das Genie von Götz Werner besteht eben darin, alle Argumente der diskursiven Vernunft mit Gefühl und Spaß an den Rand zu drängen. Wer kann allen Ernstes etwas dagegen haben, dass wir alle einander immerfort lieben? Gewiss nicht das Publikum in einem Kloster. Und wer kann allen Ernstes Einwände gegen eine monatliche Gratisversorgung erheben? Ich kenne eine ganze Reihe von Menschen, vor allem junge Künstler und Wissenschaftler, denen mit einem bedingungslosen Grundeinkommen außerordentlich geholfen wäre.

Nur liegt hier leider nicht der Kern des Problems. Den sehe ich in der Unehrlichkeit, mit der Götz Werner seine Botschaft begründet.

Kreativität überall

Lüge 1 besteht darin, dass er statt von Leistung zu sprechen nur noch den verführerischen Begriff der Kreativität verwendet, so als wären wir in ein Zeitalter eingetreten, wo die Arbeit nur Freude macht, wo sie reine Spontaneität ist und selbstbestimmte Eigenverwirklichung. Doch das stimmt gerade heute weniger denn je. Nur zu gerne wollen alle tätig sein, sich selbst verwirklichen. Zu Recht spricht Werner hier von einem Grundbedürfnis der menschlichen Natur. Die vielbeschworene Gefahr, dass sich die Menschen, kaum dass man ihnen 1500 Euro aufs Konto schreibt, in die Hängematte begeben, wäre ganz irreal, wenn man ihnen wirklich die Möglichkeit der kreativen Betätigung gäbe. Doch diese Möglichkeit gilt heute nur noch für wenige Menschen. Immer mehr von ihnen werden stattdessen von der Jobpeitsche in den Burnout getrieben. Unbezahlte Überstunden und der weitgehende Verzicht auf ein Familienleben, das doch zu den elementaren Menschenrechten gehört, sind die landesweit erkennbare Folge. Unter diesen Umständen kann die Flucht aus einer Existenz als Arbeitsklave in die eines von der Allgemeinheit erhaltenen Aussteigers sehr wohl als verlockende Alternative erscheinen. Wenn die Menschen in Deutschland ihre Freiheit dadurch verwirklichen dürften, dass sie nur noch tun, was sie wirklich tun wollen, dann wird der Industriestandort Deutschland (Österreich etc.), der das bedingungslose Grundeinkommen doch erwirtschaften soll, vermutlich dicht machen können. Man erinnere sich doch bitte an die 60er Jahre, wo die wohlhabendsten Bürger Europas schon einmal entschieden, dass sie für viele Arbeiten einfach zu gut sind, sich jedenfalls nicht in ihnen verwirklichen wollen. War dies nicht der Grund, warum sie Millionen von Fremden ins Land gerufen haben?

Glückliche Kassiererinnen

Götz Werner ist eine Frohnatur, in deren intellektuellem Dunstkreis sich alle schwierigen Probleme gleichsam in Rauch auflösen. Eine bedrückende, monotone, entmutigende Arbeit scheint es für ihn gar nicht zu geben. Michael Kerbler, sein Gesprächspartner in dem Treffen von Krems, sprach ihn auf die Tätigkeit der Kassiererinnen in den dm-Märkten an. Es war herauszuhören, dass er sich diese nicht gerade als Quell menschlicher Kreativität vorstellen kann. Der Magier hatte auf diese Herausforderung nur gewartet. Oh, das sei im Gegenteil ein überaus interessanter Beruf, den er in der ersten Zeit seiner Karriere selbst mit Begeisterung ausgeübt habe. „Nicht wahr, Herr Kerbler, da sind Sie verblüfft?“ In der Tat, wir alle sind über die Maßen verblüfft, denn kein Wort ist davon zu hören, dass menschliche Kassenwarte in einigen Ländern bereits durch Automaten ersetzt worden sind, weil eine Maschine die für diese Tätigkeit notwendige Intelligenz mühelos übernehmen kann. Gewiss gibt es großartige Frauen, die in jeder Lage, also auch an einer Supermarktkasse, das Beste aus ihrem Leben machen und diese geisttötende Tätigkeit durch Liebenswürdigkeit überwinden. Aber klingt es nicht wie offener Hohn, wenn der dm-Chef den Beruf als angewandtes Menschenstudium preist? „Sag mir, was du kaufst, und ich sage Dir, was Du bist.“ Das könnten seine glücklichen Kassiererinnen bei ihrer Arbeit lernen – und Götz Werner lacht und lacht sein diesmal gar nicht mehr so gewinnendes Lachen. Man fragt sich, ob er auch dann noch lachen würde, wenn seine Kassiererinnen aus dieser Tätigkeit in das bedingungslose Grundeinkommen flüchten, weil sie ehrlicher sind als der Milliardär und zu der Überzeugung gelangen, dass sie sich ihre Selbstverwirklichung so nicht vorgestellt haben?

Teilhabe statt Arbeit?

Lüge 2. Götz Werner verspricht den Menschen Teilhabe statt Arbeit – und diese Teilhabe werde erst durch das bedingungslose Grundeinkommen geschaffen. Wie bitte? Haben wir richtig gehört? Derselbe Mann, der im Gespräch immer aufs Neue betont, dass alles was jenseits der realen Wirtschaft in Finanz und Geldwesen geschehe, nicht mehr sei als Schall und Rauch, verwechselt gesellschaftliche Teilhabe mit einigen Hunderteuro-Scheinen, also mit Schall und Rauch? Sollte ihm wirklich entgangen sein, dass er uns hier eine durch und durch mechanische Lösung für ein tief reichendes soziales Problem präsentiert? Glaubt der Charismatiker allen Ernstes, dass die Jugendlichen in London deshalb gezündelt haben, weil sie hungerten oder man ihnen die elementaren Segnungen unserer Zivilisation vorenthielt (z.B. Handys)? Nein, diese Jugendlichen sind materiell unendlich viel reicher als Millionen von Menschen in Afrika oder Asien, die Jahr für Jahr hungers sterben und so gut wie nie protestieren oder gar zündeln. Den Londoner Halbwüchsigen fehlt etwas ganz anderes als die (umgerechnet) 1500 Euro. Es fehlt ihnen die soziale Einbindung, also die Teilhabe. Sie fühlen sich überflüssig, weil niemand – und wirklich niemand – sie braucht. Hier liegt das eigentliche Problem und das Problem einer Gesellschaft, die es überhaupt soweit kommen ließ. Doch über wirkliche Probleme spricht der Charismatiker nicht. Lieber lacht er sie hinweg und verkauft seine heile 1500-Euro-Welt.

Wer eignet sich den Reichtum an?

Lüge 3 liegt in der Verherrlichung einer Kooperation, die in Wirklichkeit keine ist. Michael Kerbler spricht Werner darauf an, einer der hundert reichsten Deutschen zu sein: Habe er sich mit seinem Unternehmen nicht eine Milliarde an persönlichem Vermögen erwirtschaften können? Diese Frage kommt Herrn Werner gerade recht. Mit lächelnder Überlegenheit pariert er den Stoß. Bitte schön, nicht er habe doch diesen Reichtum hervorgebracht, sondern in erster Linie die vielen Mitarbeiter. Er selbst habe dabei nur vermittelnd, harmonisierend, organisierend gewirkt. Wir sind gerührt. Diesmal sagt der Mann zweifellos die Wahrheit. Man gönnt es ihm in diesem Augenblick gern, wenn nun wieder sein mitreißendes Lachen ertönt. „Da sind Sie verblüfft, nicht wahr Herr Kerbler?“ In der Tat, sind wir alle verblüfft, weil Herr Werner uns nämlich wieder nur die halbe Wahrheit erzählt. Der Interviewer vom ORF war sogar dermaßen verblüfft, dass er nach Worten rang und sie danach kaum noch gefunden hat. Denn in diesem Fall drängt sich doch jedem kritischen Menschen eine nahe liegende Frage auf. Wenn in erster Linie die Mitarbeiter für den Reichtum verantwortlich sind, warum ist dann nur einer, Götz Werner, zum Milliardär geworden, während alle anderen nach Abschluss ihrer Berufslaufbahn von einer bescheidenen Pension leben müssen?

Geld gibt es in Hülle und Fülle

Lüge 4. Wer als Demagoge und Prophet eine Gefolgschaft gewinnen will, muss eine ganz narrensichere Botschaft vermitteln – je einfacher desto besser. Er muss es gerade dann, wenn alle früheren Sicherheiten bedroht sind. Gerade steht unsere Welt nach der großen Depression von 1929 zum zweiten Mal vor einem gefährlichen Abgrund. So wie damals droht die Finanzwirtschaft die gesamte Ökonomie in den Abgrund zu reißen. Und wo liegt die Schuld, wenn wir Götz Werner glauben? Es ist kaum zu fassen. Sie liegt bei uns selbst, weil wir so dumm sind, uns täuschen zu lassen. Er, Götz Werner, könne z.B. von seinem Arbeitsplatz bis zum Mercedeswerk blicken. Da werde von einer Kapitalvernichtung bei den Autoherstellern gefaselt, aber er, Götz Werner, habe durchaus nicht entdecken können, dass unter den Bürotürmen von Mercedes auch nur einer vernichtet sei. Sie ständen da, so unverrückbar wie eh und je, und alle Fahrzeuge aus der Firma laufen immer noch auf ihren vier Rädern. Die Finanzwirtschaft, so seine Botschaft, ist irreal. Wir sollten uns doch nicht vormachen lassen, dass sie irgendeine Bedeutung für die Realwirtschaft habe. Und Götz Werner lacht wieder sein tolles Lachen. „Nicht wahr, Herr Kerbler, da sind Sie verblüfft?“ Oh ja, wir alle sind überaus verblüfft, zumal wenn er dann noch hinzufügt, dass es Geld in Wahrheit in Hülle und Fülle gebe. Das sehe man doch an den immer größeren Rettungsschirmen.

Nein, ich glaube nicht, dass Götz Werner, einer der führenden Unternehmer in Deutschland, wirklich so naiv ist, seinen eigenen Halluzinationen zu glauben. Vielmehr bin ich überzeugt, dass er den Deutschen bewusst die Unwahrheit sagt, weil er weiß, dass er bei ihnen ein elementares Bedürfnis nach schönen Illusionen befriedigt. Das erklärt auch, warum er sich grundsätzlich nicht auf Argumente einlässt. Als echter Prophet horcht er lieber auf seinen Bauch oder besser, er lässt sein Zwerchfell sprechen. Er lacht die schöne neue Welt einfach herbei.

Ein Dutzend Hunderteuro Scheine und schon haben wir die bessere Gesellschaft?

Doch all dies sind ja vielleicht nur die kleinen Fehler eines großen Mannes, die nicht wirklich über Wert oder Unwert seiner messianischen Botschaft entscheiden. Ausschlaggebend ist letztlich die Frage, ob eine bessere oder eine schlechtere Gesellschaft entsteht, wenn der Staat an alle Bürger lebenslänglich ein Grundeinkommen verteilt?

Ich sagte schon, dass kein vernünftiger Mensch ernsthaft behaupten wird, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen seinen Mitmenschen Schaden statt Nutzen zufügen würde. Möglicherweise wird die Schweiz schon bald über die Einführung eines solchen Einkommens eine Volksabstimmung abhalten. Das Land ist reich genug, um sich eine derartige Schenkungsaktion zu leisten. Vorausgesetzt dass die hierzu erforderlichen Mittel überwiegend bei den reichsten zehn Prozent Schweizern erhoben werden, könnte man darin sogar eine Art Umverteilung von oben nach unten erblicken. Ich halte es durchaus für möglich, dass dieses Experiment in dem Sinne ein Erfolg werden könnte, dass eine Mehrheit dabei zufriedener ist als vorher.

Wäre das ein Beweis für die Richtigkeit der Wernerschen Botschaft? Wäre in der Schweiz dann aufgrund des Wernerschen Grundeinkommens eine bessere Gesellschaft entstanden? Das könnte durchaus der Fall sein, wenn die Schweizer ihren Bürgern echte soziale Teilhabe gewähren. Dann nämlich würde jeder, sobald sich ihm dazu die Gelegenheit bietet, wieder in eine Tätigkeit drängen, wo er den anderen so nützlich sein kann wie diese es für ihn – in einer tausendfach verflochtenen Gesellschaft – ja ebenfalls sind. Vielleicht ist diese Bedingung in der Schweiz tatsächlich vorhanden, vielleicht aber auch nicht. Das würde das Experiment erst erweisen. In London jedenfalls war und ist diese Bedingung durchaus nicht erfüllt. Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens hätte nicht das Geringste daran geändert, dass Zehntausende Menschen die Hoffnung verloren haben, je als vollwertige Mitglieder ihrer Gesellschaft Anerkennung zu finden.

Diese elementare Erkenntnis ist dem Realträumer Götz Werner verborgen. Er begreift nicht, dass bloßes Papier – ein Dutzend Hundert Euroscheine – nicht die Voraussetzung für eine bessere Gesellschaft abgeben, jedenfalls nicht, wenn diese über das Stadium des Hungers so weit hinausgelangt ist wie die reichen Staaten des Westens. Diese Voraussetzung liegt ungleich tiefer: Sie liegt in sozialer Bindung, nämlich in dem Bewusstsein der Menschen, von anderen gebraucht und gewürdigt zu werden. Wie ist es möglich, so fragt man sich, dass jemand, für den Finanzen und Geld nach eigenem Bekunden nur Schall und Rauch darstellen, in den primitiven Glauben verfällt, man könne mit etwas mehr monetärer Unterstützung ein Übel abstellen, das seine Ursachen in Wahrheit in einer sozialen Krankheit hat?

Mit Geld freikaufen?

Ich fürchte, dass Götz Werner mit seiner einfältigen Botschaft uns nicht nur keine bessere Gesellschaft in Aussicht stellt, sondern dass er das genaue Gegenteil bewirkt: Wir werden eine schlechtere Gesellschaft bekommen. Ich sage dies, obwohl ich mir sehr wohl bewusst bin, dass es nicht wenige Menschen gibt, die zweifellos profitieren würden. Eine Minderheit würde ganz sicher mit einer bedingungslosen Grundsicherung glücklicher sein als sie es heute ist. Denn Künstler und junge Wissenschaftler sind von ihren jeweiligen Tätigkeiten in der Regel begeistert und sie brauchen sich um spätere gesellschaftliche Teilhabe wenig oder gar nicht zu sorgen. Sie – und generell intellektuelle Kreise – dürften denn auch die Janitscharen der Grundeinkommensbewegung bilden. Doch eben nur sie. Die große Mehrheit hat mir ihr wenig oder gar nichts zu tun. Arbeiter und Kassiererinnen wissen zu gut, dass ihnen nichts geschenkt wird, und dass etwas faul an der Sache sein muss, wenn ihnen jemand dennoch so großartige Geschenke verspricht. Das wirkliche Problem liegt bei jenen Menschen, die nicht zu den „Kreativen“ gehören, sondern von denen man schlicht Arbeit und Leistung verlangt. Es liegt bei all jenen, die wie die rebellierenden Jugendlichen in London zwar arbeiten wollen, aber keine Arbeit mehr finden, weil Politik und Unternehmen die Arbeit nach Asien verlagert haben und man daher für sie schlicht und einfach keine Verwendung mehr hat.

Angenommen, man gibt diesen Menschen, wie Götz Werner es will, das Doppelte von dem, was ihnen heute bereits zur Verfügung steht, so dass sie beinahe so viel an gesichertem Einkommen bekommen wie hart arbeitende Menschen in den schlechtesten Berufen an ungesichertem Einkommen beziehen, so sind die Folgen schon heute abzusehen. Die Boulevardzeitungen werden, wie sie es jetzt schon tun, noch heftiger gegen die Nichtstuer und Parasiten hetzen. Sie werden nicht die geringste Mühe haben, soviel Neid und Hass in der arbeitenden Bevölkerung wach zu rufen, dass der soziale Körper zumal in Zeiten der Krise davon zerrissen wird.

Das ist die eine Gefahr, die andere liegt darin, dass Leute wie der messianische Milliardär dann erst so richtig lachen. Denn sie selbst – die Privilegierten unserer Gesellschaft – haben ihre Hände in Unschuld gewaschen. Sie haben sich mit Geld freigekauft – ja, und das nicht einmal mit ihrem eigenen Geld, denn die Mehrwertsteuer, mit der das alles ja bezahlt werden soll, wird überproportional nicht von ihnen sondern von den unteren 90% aufgebracht. Wieder einmal, wie so oft in der Geschichte, lachen sich die Privilegierten ins Fäustchen. Sie lachen über die Dummen, die sich so einfach in ihren Netzen fangen ließen.