Es ist so weit!

Die Idee der Solidarregion im Kontext der globalen Herausforderung

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde,
für die Gelegenheit, die Verleihung des Solidarpreises mit einigen einleitenden Worten zu versehen, möchte ich mich bedanken. Ich denke, die Wahl ist dabei auf mich gefallen, weil man annahm, dass ich in puncto Globalisierung zunächst mit einer kalten Dusche aufwarte, einer Beschwörung der vielen Gefahren, die heute Solidarität zu einem Gebot der Stunde machen. Mit anderen Worten, ich glaube meine Rolle so verstehen zu können, dass ich unter Ihnen erst einmal für den nötigen Schrecken sorge, damit Sie anschließend der Notwendigkeit jener Zeugnisse von Solidarität umso aufgeschlossener gegenüberstehen, die hier mit Preisen geehrt werden sollen.

Dieser Aufgabe, zunächst einmal für eine kalte Dusche und Schrecken zu sorgen, werde ich mich in einem für zartbesaitete Ohren vielleicht eher schwer erträglichen Maße entledigen. Tatsächlich sind die unseren gegenwärtigen Lebensstandard, ja unseren gegenwärtigen Lebensstil bedrohenden Tatsachen schlicht beängstigend. Und gerade weil sie es sind, und weil der Schrecken lähmt, zumal wenn es keine einfachen Perspektiven des Auswegs gibt, wird Ihnen gewöhnlich so wenig davon gesagt. Ruhe ist die eben die erste Bürgerpflicht. Solange es irgend möglich ist, zieht man es vor, Beunruhigendes zu verdrängen.

Dabei ist Solidarität heute das vorrangige Thema, das einzige, das einen Ausweg verheißt. Unter Solidarität verstehe ich ein verändertes Verhältnis zum Menschen ebenso wie zu allem übrigen uns umgebenden Leben, also auch zur Natur. Solidarität mit dem anderen Menschen bedeutet die Errichtung eines sozialen Umfelds, in dem sich alle zu Hause fühlen. Solidarität mit der Natur heißt Umwelt, in der wir dauerhaft und möglichst gut leben können. Hier sprechen wir gewöhnlich von Nachhaltigkeit.

Fangen wir an mit der Natur:

Wir wissen, dass von Solidarität hier nicht länger die Rede sein kann. Die Wissenschaft hat das nützliche Konzept des ökologischen Fußabdrucks geschaffen. Bis zum Beginn der fossilen Zeitenwende vor dreihundert Jahren hat die Menschheit durch ihre physischen Bedürfnisse weniger vom Planeten verbraucht, als dieser ihr durch nachwachsende Güter Jahr um Jahr zur Verfügung stellte. Der globale ökologische Fußabdruck der Menschheit war bis dahin also kleiner als ein Planet. Wenn der Mensch Wild erlegte oder Getreide pflanzte, so wandte er dafür weniger Energie auf, als er in Form von Nahrung zurückerhielt. Vor Beginn der fossilen Epoche hätte sich ein Wissenschaftler nicht einmal vorzustellen vermocht, dass es jemals anders sein konnte. Doch tatsächlich ist es ganz anders gekommen. Während der letzten dreihundert Jahre hat die Menschheit zu ihrem Erstaunen entdeckt, dass der Globus eine Schatzkammer ist, reich gefüllt mit energiehaltigen Stoffen in festem, flüssigen und gasförmigen Zustand. Mit einem Schlag wurde das bis dahin gültige eiserne Gesetz abgeschafft, wonach uns unsere Nahrung mehr Energie liefern muss, als wir vorher zu ihrer Gewinnung verausgabt haben. Seitdem können wir zehn Energieeinheiten bei der Erzeugung verwenden, auch wenn wir nur eine einzige davon zurückerhalten. Die unterirdischen Schätze machen es möglich. Tatsächlich besteht heute im Schnitt etwa dieses Verhältnis: 10 Energieeinheiten input sind nötig, um eine Energieeinheit output zurückzugewinnen.

Und damit sind wir wieder beim ökologischen Fußabdruck. Hatte die Menschheit noch vor dreihundert Jahren weniger als einen Planeten benötigt, um auf diesem auskömmlich leben zu können, so braucht sie inzwischen wesentlich mehr, dann nämlich, wenn ihr die fossile Energie ausgeht, wie das jetzt schon für die kommenden Jahrzehnte absehbar, spätestens aber für unsere Enkel eine unabwendbare Entwicklung ist. Bei vorsichtiger, also eher untertriebener Schätzung verbraucht die Menschheit gegenwärtig insgesamt um ein Drittel mehr Ressourcen als die Natur bei nachhaltiger Bewirtschaftung bereitstellen kann. Viel schlimmer steht es noch, wenn wir unseren Blick auf Europa richten. Würden alle Länder so viel natürliche Ressourcen benötigen wie etwa Deutschland und Österreich würde die Menschheit zweieinhalb Planeten benötigen.

Solange die fossilen Schätze unerschöpflich schienen, brauchten wir uns darüber keine Gedanken zu machen. In der Tat hat sich auch bis zur Studie des Club of Rome im Jahre 1973 fast niemand darüber Gedanken gemacht. Im Gegenteil, die Verheißung auf unendlichen Reichtum wurde inbrünstig geglaubt, und der fossile Segen hatte unmittelbare demographische Folgen. Seit 1940, als das universal einsetzbare Öl zur vorherrschenden Energiequelle wurde, hat sich die Zahl der auf dem Planeten lebenden Menschen mehr als verdoppelt.

Was wird auf einem Planeten geschehen, den wir in absehbarer Zeit so leer gequetscht haben werden wie eine Zitrone? Meines Erachtens kommen überhaupt nur drei Möglichkeiten in Betracht. Die erste besteht in Wundern der Wissenschaft, zum Beispiel in der Entwicklung von Fusionsreaktoren, die alle Probleme der Energie mit einem Schlage beseitigen würden. Warum ich darin eine nicht nur trügerische sondern gefährliche Hoffnung sehe, werde ich noch begründen. Die zweite besteht in radikalem Verzicht. Da die Weltbevölkerung insgesamt um ein Drittel mehr verbraucht als der Planet ohne fossile Quellen herzugeben vermag, müsste sie auf genau dieses Drittel verzichten. In spätestens dreißig Jahren darf sie also nur noch zwei Drittel der heutigen Energiemenge verbrauchen und muss um ein Drittel weniger Umweltgifte absondern als heute. In Europa wären wir aber darüber hinaus zu noch viel weiter reichenden Verzichtsmaßnahmen gezwungen. Da wir jetzt den Gegenwert von zweieinhalb Planeten verbrauchen, müssten wir unsere Ansprüche um den Faktor 2,5 reduzieren, also den Verbrauch fast auf ein Drittel des heutigen reduzieren bzw. ihn auf erneuerbare Quellen umstellen. Sollten wir dazu nicht in der Lage sein, dann bliebe nur noch die letzte und dritte Möglichkeit. Die Bevölkerung müsste weltweit um ein Drittel schrumpfen, nur dann würde ihr ökologischer Fußabdruck in der postfossilen Epoche wieder der Leistungsfähigkeit des Planeten entsprechen. Bei uns in Europa müsste sie sogar von derzeitig 491 Mio. auf knapp 200 Mio. Einwohner sinken, damit diese sich denselben üppigen Lebensstandard wie zuvor genehmigen könnten. Ich brauche nicht zu betonen, dass in der Vergangenheit eine derartige Reduktion der Bevölkerung immer nur gewaltsam erfolgte: durch Kriege und andere Katastrophen.

Werfen wir einen kurzen Blick auf die hervorstechendsten Bereiche der Überbeanspruchung des Planeten. Da begegnen wir zunächst der Problematik des Wassers. Von der Wasserknappheit im Vorderen Orient und in Afrika haben die meisten von Ihnen zweifellos schon gehört. Ebenso sehr muss es beunruhigen, dass diese inzwischen auch zu einem Hauptproblem für eine kommende Großmacht geworden ist. In China sind Dreiviertel aller Seen vergiftet und die Hälfte alles zur Verfügung stehenden Grundwassers ist für menschlichen Genuss nicht länger geeignet. Trotz allen äußerlich sichtbaren Fortschritts sind dort also bereits die Lebensgrundlagen bedroht. Manche werden vielleicht der Meinung sein, dass die Zustände im fernen China uns wenig angehen müssen. Immerhin können wir uns der besonderen Qualität der meisten heimischen Wasservorkommen rühmen. Aber die Zustände im fernen Osten gehen uns sehr wohl etwas an. Sie beruhen nämlich wesentlich darauf, dass wir einen so bedeutenden Teil unserer heimischen industriellen Produktion, und zwar gerade ihre schmutzigsten Bereiche, von Europa nach China verlagert haben. Vor dieser Auslagerung war auch das Wasser in China sauber. Nebenbei bemerkt haben wir auch keinen Grund uns darüber zu freuen, dass die Bilanz der Umweltvergiftung z. B. durch CO2 bei uns wesentlich günstiger ausfällt – auch diesen Vorteil verdanken wir vor allem der Auslagerung, die in diesem Fall natürlich auch zerstörerisch für uns selbst ist. Mit dem Gift in ihren Gewässern müssen die Chinesen selbst fertig werden, der wachsende CO2-Ausstoß ihrer Industrien, der den des bisherigen Spitzenreiters USA in absoluten Zahlen bereits übertroffen hat, ist aber für das Weltklima insgesamt und damit für alle Erdbewohner eine akute Bedrohung, zumal er mit jedem Tag wächst und China 70% seiner Energie aus stark schwefelhaltiger Kohle gewinnt: dem ärgsten Umweltverschmutzer.

Wasser ist auch indirekt als Nahrungsquelle bedeutsam, nämlich als Lieferant von tierischem Protein. Hier macht sich der ungeheure Druck einer in kurzer Zeit explosionsartig angewachsenen Weltbevölkerung inzwischen besonders bemerkbar. Nicht weniger als ein Viertel der Fischbestände sind existenzbedroht, fünfzig Prozent bis an die Grenze ausgebeutet. Die unkontrollierte Schwarzfischerei hat in den letzten Jahrzehnten so stark zugenommen, dass sich der Fang jeden dritten Fisches mittlerweile jeder Kontrolle entzieht. Wenn es nicht gelingt, in den kommenden Jahren hier die Notbremse zu ziehen, sehen Wissenschaftler einen Kollaps dieser für viele Völker lebenswichtigen Nahrungsquelle voraus.

Dass die derzeitige Produktion von Nahrungsmitteln mit einem Verhältnis von zehn zu eins für Input zu Output keine Zukunft hat, davon war schon die Rede. Wir essen Öl. Ohne Öl (bzw. Gas) werden wir wieder gezwungen sein, Landwirtschaft in weit arbeitsintensiverer Form zu betreiben. Und das ist noch keinesfalls alles. Auf Kosten der Landwirtschaft geht in Deutschland, um nur ein Beispiel zu nennen, eine Emission von 133 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten – fast ebensoviel wie auf den gesamten Autoverkehr mit 152 Mio. Tonnen. Der Hauptverursacher dieser Klimabelastung ist unserem Luxus geschuldet, nämlich der Tierhaltung, die daran einen Anteil von drei Vierteln trägt. Rinder geben hinten und vorn Methan von sich, und das ist 21-mal klimaschädlicher ist als CO2. Schlimmer ist aber, dass die für ihre Ernährung erforderlichen Düngemittel Lachgas absondern, ein Umweltkiller, der ganze 310-mal klimaschädlicher ist als CO2. Diese Problematik haben wir, nebenbei bemerkt, zusätzlich noch dadurch verschärft, dass wir fast sämtliche Sümpfe trocken legten – die größten Saugkissen für CO2.

Nicht nur Nahrung ist überlebenswichtig, sondern in unseren Gesellschaften ist es inzwischen ebenso die Mobilität. Wir haben die Produktions- und Versorgungsstätten (sprich Supermärkte) soweit von unseren Wohnstätten fortgerückt, dass sie weitgehend nur noch mit dem Auto erreichbar sind. Weltweit fließen daher an die 60 Prozent des geförderten Öls in den Verkehr. Und dieses Modell einer auf Mobilität angewiesenen Gesellschaft wird gegenwärtig auch auf China und Indien und bald den Rest der Welt übertragen. Die Folgen sind schon jetzt zu spüren: Ein Run auf die letzten Ressourcen hat eingesetzt, begleitet von überall drohender Kriegsgefahr. Weitsichtige Politiker und Philosophen wie Kurt Biedenkopf oder Friedrich von Weizsäcker hatten schon vor Jahrzehnten davor gewarnt, dass das westliche Modell des Individualverkehrs nicht verallgemeinerungsfähig sei. Niemand hat damals auf die warnenden Stimmen gehört.

Diese unsere Verdrängungsbereitschaft angesichts unmittelbar bevorstehender Bedrohungen hat einen Klimawandel in Gang gesetzt, der sich neuerdings in dramatischem Tempo vollzieht. Das Schmelzen des Grönlandeises, schon einmal vor 100 000 Jahren bezeugt und damals von einem um drei bis fünf Meter höheren Meeresspiegel begleitet, schreitet gegenwärtig in solchem Tempo voran, dass selbst die Prognosen vom vergangenen Jahr sich als hinfällig erweisen: Alles scheint darauf hinzudeuten, dass Grönland bereits in zehn Jahren völlig eisfrei sein wird. Es ist daher jetzt schon abzusehen, dass in wenigen Jahren fast die Hälfte von Bangladesh unter Wasser steht. Etwa fünfzig Millionen Menschen werden dann auf der Flucht sein.

Lassen Sie mich zum Thema Solidarität mit der Natur abschließend noch von den realen oder vermeintlichen Wundern der Wissenschaft reden. Im Einzelnen hat es eine ganze Reihe spektakulärer Verbesserungen gegeben. Unsere Autos und Flugzeuge, unsere Leuchten und Elektrogeräte verbrauchen im Vergleich zur Vergangenheit nur noch einen Bruchteil der Energie. Pro Einheit Volkseinkommen setzen die modernen Unternehmen Europas viel weniger Energie ein. Das ist die gute Nachricht, die schlechte besteht erstens darin, dass ein bestimmtes Minimum an Energie nicht weiter abgesenkt werden kann, und dass zweitens – und das ist entscheidend – all diese qualitativen Einsparungen durch quantitative Ausweitung mehr als wettgemacht werden. Unsere Autos verbrauchen weit weniger Sprit als früher, aber immer mehr von ihnen rollen auf einem immer dichteren Straßennetz und fast alle, die es sich leisten können, bevorzugen stärkere Motoren. Allen Fortschritten zum Trotz, die im Einzelnen erreicht worden sind, nimmt, global gesehen, die Umweltbelastung nicht ab, sie nimmt im Gegenteil auf erschreckende Weise zu.

Die Wunder zunehmender Energieeffizienz sind also global gesehen völlig verpufft. Umso mehr rechnen viele Menschen mit dem eigentlichen Wunder. Sie verstehen schon, was ich meine. Sie hoffen auf das Wunder einer unbeschränkten Energieversorgung durch Kernfusion. Die Aussichten dafür stehen vielleicht gar nicht so schlecht, zumal die westliche Welt gewaltige Mittel in die entsprechende Forschung pumpt. Allerdings, um es geradeheraus zu sagen: Ich glaube, diese Perspektive ist nicht nur trügerisch, sie wäre sogar die gefährlichste von allen. Natürlich nicht in kurzfristiger Sicht, da würde die Energiebonanza im Gegenteil viele Probleme beseitigen. Kein Mangel an Energie würde uns dann noch daran hindern, jede beliebige Menge an Maschinen und Apparaten zu erzeugen. Ein solches Füllhorn würde aber unausweichlich zur Folge haben, dass sich Umsatz und Verbrauch aller übrigen Rohstoffe auf rasante Art ausweiten und beschleunigen. Mit anderen Worten: Der auf programmierter Nicht-Nachhaltigkeit beruhende Kollaps würde sich zwar etwas verzögern, aber am Ende nur umso dramatischer ausfallen.

Damit komme ich abschließend zur Solidarität als Verhältnis zu Mensch und Gesellschaft. Auf internationaler Ebene sieht es damit gegenwärtig eher schlecht aus. Die Rohstoffproduzenten, vor allem Russland, werden als Gegenleistung für unsere Abhängigkeit nicht mehr nur unsere Waren kaufen, sondern den Zugriff auf unsere Industrien verlangen. Dann sind es nicht nur, wie jetzt schon, die Regeln eines globalen Kapitalismus, die bei uns über Lohn und Arbeit entscheiden, sondern politische Mächte, die uns ihren Willen aufzwingen. Auch dass der Westen gegenüber schwächeren Ländern die Sicherung seines Rohstoffbedarfs unter Einsatz militärischer Mittel betreibt ist für den Frieden sicher die schlechteste Lösung. Wenn die Kriegsgefahr nicht weiter anwachsen soll – was sie mit zunehmender Knappheit unfehlbar tut – dann gibt es nur einen Ausweg: die schnellstmögliche Befreiung von Öl- und Gasabhängigkeit durch den Übergang zu erneuerbaren Energien.

Man hat mich darum gebeten, auch über die gegenwärtige Finanzkrise einige Worte zu sagen. Die angelsächsische Finanzlotterie hat sich zu unserem Glück in Kontinentaleuropa bisher nicht voll durchsetzen können, aber die Auswirkungen der Krise werden in den kommenden Jahren auch bei uns schwerwiegend sein. Der in den USA bereits eingeleitete Konjunktureinbruch bedroht uns mit Wirkungen, die denen vom Ende der zwanziger Jahre durchaus vergleichbar sein könnten. Und auch die Ursachen sind den damaligen erstaunlich ähnlich. Kein Geringerer als der erste Mann nach dem amerikanischen Präsidenten, Marriner Eccles, der damalige Notenbankchef unter Roosevelt, hat die Finger in die Wunde gelegt. Er sagte, was man bis heute bei uns nicht sagen darf, weil man damit angeblich die Neiddebatte schürt. Ich zitiere:

Bis 1929 und -30 /also bis zum Beginn der Weltwirtschaftskrise hatte eine gewaltige Saugpumpe einen zunehmenden Anteil des erzeugten Reichtums in wenige Hände umgeleitet… und so die Kaufkraft aus den Händen der Mehrheit genommen… Die Massenproduktion /der modernen Industriegesellschaft/ beruht aber auf einem Massenkonsum, und dieser setzt die Verteilung des Reichtums voraus… um die Menschen mit einer Kaufkraft auszustatten, die der Menge der von der Wirtschaft produzierten Güter und Dienstleistungen entspricht.

Zitatende. Genau dieselbe gigantische Umverteilung von unten nach oben findet bei uns seit Jahrzehnten statt. In Deutschland erreicht sie, wie ich in meinem Buch »Das Pyramidenspiel« zeigte, ziemlich exakt die Höhe der größten Massensteuer, also der Steuer auf Löhne. Ohne dass die meisten auch nur davon ahnen, zahlen sie die größte Steuer in Wirklichkeit zweimal, einmal an den Staat und das zweite Mal an die reichsten zehn Prozent der Mitbürger ihres Landes. Genau dieselbe gigantische Umverteilung von unten nach oben hat dazu geführt, dass einerseits die Zahl der prekären Arbeitsverhältnisse mit dürftigen Löhnen wächst, andererseits die großen Flugunternehmen die Nachfrage nach Privatjets nicht mehr befriedigen können. In Österreich allein gibt es an die zwanzig Superreiche, die ihre eigenen Airbusse fliegen, wohlgemerkt Airbusse nicht etwa nur kleine Privatjets.

Man hat die Menschen seit Jahrzehnten dazu konditioniert, an die wohltuenden Auswirkungen der Ungleichheit zu glauben. Macht die Reichen noch reicher, hieß es, dann fallen die Brosamen von ihren Tischen in die offenen Münder der Armen. Wie das Zitat des amerikanischen Notenbankchefs beweist und ebenso meine Untersuchungen im Pyramidenspiel trifft genau das Gegenteil zu. Die Armen und Arbeitslosen müssen sich mit Brosamen begnügen, weil die Reichen an üppig gedeckten Tafeln speisen.

Wir müssen endlich zu der Einsicht gelangen, dass eine Ökonomie, die derartige ökologische und soziale Verwerfungen produziert, keine Zukunft hat und keine mehr haben darf. Die Therapie kann meines Erachtens nur darin bestehen, dass wir bei uns die Grundlagen für ein besseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystem errichten. Wir haben der Welt ein falsches Modell angeboten – eines das in absehbarer Zeit die schlimmsten Katastrophen beschwört. Jetzt sind wir aufgerufen, ein besseres, nachhaltiges und menschlicheres zu entwickeln. Wohlhabend genug sind wir dazu auch jetzt noch. Es muss ein Modell sein, das andere übernehmen können, weil es im Unterschied zum jetzigen verallgemeinerungsfähig ist. Wenn Europa, ein Quell des Ideenreichtums in seiner ganzen Geschichte, hier einen neuen Beginn setzt, dann braucht es auch nicht länger eine Festung zu sein, denn Nachhaltigkeit muss so beschaffen sein, dass jeder größere Wirtschaftsraum unabhängig von anderen das Auskommen mit den eigenen erneuerbaren Ressourcen erlangt.

Trotz aller pessimistischen Daten, die ich Ihnen zu Anfang in reichlichem Maße präsentieren musste, glaube ich, dass wir angesichts der Alternative eines langfristig zerstörerischen oder eines zukunftsfähigen Lebensstils den letzteren wählen werden. Die uns bis heute beherrschende fossile Wirtschaft konnte es sich leisten, den Menschen einzutrichtern, dass Egoismus eine ökonomisch und daher auch sozial wertvolle Eigenschaft sei: produziere und konsumiere soviel du nur kannst, bereichere dich ohne Rücksicht auf andere, damit dienst du dir selbst und letztlich genauso den anderen. Damit ist es vorbei. Die Philosophie des Egoismus, die mit Adam Smith und der Ausbeutung fossiler Schätze vor gut dreihundert Jahren ihren Siegeszug antrat, ist heute ein Wegweiser in den Abgrund. Um diesem Abgrund zu entkommen, sind freilich gute Ideen gefragt oder, um es noch einmal auf den zentralen Punkt zu bringen: Solidarität mit Mensch und Natur.

Einige solcher Ideen zur Solidarität werden hier ausgezeichnet. Wenn sich überall in Österreich und darüber hinaus die Überzeugung verbreitet, dass Solidarität und nicht der Egoismus einer vergangenen Epoche das Gebot dieser Stunde ist, dann haben wir einen wichtigen Schritt vorwärts getan. Ich danke Ihnen.