Ja, ich habe sie endlich gefällt, die Entscheidung, und ich darf sagen, dass das keineswegs leichtfertig geschah. Die üble Nachrede und den giftigen Neid – das alles habe ich natürlich vorausgesehen. Aber wenn es um die eigene Zukunft, um die ganze Zukunft geht, wie ich in diesem Fall mit vollem Recht behaupten kann, dann setzt man sich eben über die kleinen und kleinlichen Einwände hinweg. Dann kommt es nur noch auf eines an: auf das eigene Heil.
Nun gut, das hört sich reichlich bombastisch an. Man könnte mir vorwerfen, in einen klerikalen Ton zu verfallen, was gewöhnlich nicht meine Art ist. In diesem Fall geht es aber wirklich um mein persönliches Heil. Da kann ich es keinesfalls dulden, dass Neider und Besserwisser aller Couleurs – an diesen leidet unsere Welt gewiss keinen Mangel – also da darf ich doch nicht gestatten, dass mir ein Fußvolk missgünstiger Krakeeler den Weg verstellt!
Gern gebe ich zu, dass mir die Entscheidung nicht leichtgefallen ist. Ich habe darum mit allen meinen Kräften gerungen – vor allem mit mir selbst gerungen, da lehne ich es mit aller Entschiedenheit ab, mich auch noch in unnütze Scharmützel mit der großen Menge von Pletis und Kretis zu verstricken. Ich allein bin mir schon ein furchterregender Gegner, das wusste schon meine Mutter. Immer wieder hat sie darüber geklagt, dass mich der Zorn, der pure, rote, stiernackige Zorn, manchmal so überwältigte, dass sie als meine liebenden Eltern – so drückte sie sich tatsächlich aus! – dagegen nur noch mit kaltem Wasser ankamen. Dann brauchtest du eine Abkühlung, sagte sie. Vater und ich haben dich gemeinsam zur Pumpe geschleppt, während du mit Beinen und Armen gestrampelt hast und immer so laut geschrien, als würden wir dich auf die Schlachtbank führen. Dein Vater hat deinen Kopf niedergedrückt, und ich musste pumpen. Da hat sich dann das Gequietsche des hundert Jahre alten Geräts mit deinem Geschrei vermischt. Es ist mir sehr schwergefallen, aber es musste sein. Das war die einzige Medizin, um mit deinem Riesenzorn fertigzuwerden.
So, liebe Leute, da habe ich euch ganz nebenbei auch noch die Wahrheit über meinen Charakter verraten. Vielleicht begreift ihr jetzt, welch gewaltigen Kampf ich gegen den eigenen Zorn ausfechten musste, um meine Entscheidung am Ende zu fällen. Um es euch ganz genau zu schildern: diesmal habe ich mich ohne äußeren Zwangs, also freiwillig unter die kalte Dusche geschleppt und hätte dabei am liebsten geschrien, um mir über meinen Zorn klar zu sein. Das habe ich getan, damit ihr seht, welch unendliche Dummheit ihr begeht, wenn ihr – ohne mich und meine Angelegenheiten im Geringsten zu kennen – dennoch keine Bedenken habt, mich der Leichtfertigkeit zu verdächtigen. Natürlich ist mir sehr wohl bewusst, dass es kein Ruhmesblatt ist, von der Natur mit so einem roten, stiernackigen Zorn geschlagen zu sein. Darüber hätte ich auch lieber geschwiegen, man muss die eigenen Fehler ja nicht an die große Glocke hängen. Diese wenig lobenswerte Eigenart meines Charakters erwähne ich überhaupt nur aus dem einzigen Grund, damit jeder begreift, dass ich meine Entscheidung nach langem Kampfe und in vollem Bewusstsein ihrer weitreichenden Folgen getroffen habe. Wenn jemand dabei gegen den furchtbarsten Gegner, nämlich gegen sich selbst antritt, dann hat er jedenfalls die großen Lehrer der Menschheit auf seiner Seite. Ihr seid alle viel gebildeter als ich, daher wisst ihr, dass ein gewisser Sokrates die Selbsterkenntnis und den Sieg über das eigene Ego als allergrößte und die der Bewunderung werteste Leistung gepriesen hat. Diese Leistung nehme ich in aller Unbescheidenheit auch für meine Person in Anspruch und weise das Gemäkel der ewigen Nörgler mit einem Hohnlachen zurück.
Für den Fall aber, dass ihr es immer noch nicht glaubt und vielleicht sogar für unmöglich haltet, betone es hier ein weiteres Mal: meine Entscheidung ist endgültig und unwiderruflich. Ich weiß, ihr Weicheier und Starrköpfe erzittert bei dem bloßen Gedanken. Feigheit ist euch weit sichtbar auf die Stirn geschrieben. Ihr lasst euch besiegen, ihr denkt nicht einmal an Widerstand. Glaubt ihr, ich hätte nicht längst bemerkt, dass euch die Kopfhaare ausfallen, ja, bei einigen von euch der Kopf schon eine baumlose Wüste ist? Eure Schädel sehen aus wie heiße und frisch geschälte Kartoffeln, aber viel weniger glatt, denn die Falten haben sich bei euch tief in Wangen und Stirn gegraben, lauter Abflussgräben für die Tränen, die ihr über den eigenen Verfall vergießt. Es ist eine Schande, dass ihr euch mit diesen abstoßenden Hülsen für eure geschrumpften Hirne überhaupt noch auf die Straße wagt und so die Landschaft mit eurem Anblick optisch heillos vergiftet. Zumal es ja um das Innere von euch lebenden Zombies keinesfalls besser steht. Ganz im Gegenteil, bei manchem von euch sind die Hirnwindungen so unrettbar verkalkt, dass die Rede stockend und der Gang schwankend und unsicher ist. Der brave Herbert, einst unser gefeierter Professor der Germanistik, vor dessen bösartigem Witz und scharf-stacheligem Verstand wir alle erzitterten, muss sich inzwischen vor jedem kantigen Stein auf dem Fußweg fürchten – er könnte darüber stolpern. Aber am allerschlimmsten ist es, dass er die eigenen Witze nicht mehr versteht. Nun ja, so steht es um euch und noch viel schlimmer, aber ihr redet nicht darüber, das nennt ihr dann beschönigend euer „vornehmes Schweigen“. Aber jeder, der Eure dürftigen Körper und versehrten Seelen ins Auge fasst, weiß, woran ihr in Wahrheit leidet: an animalischer Angst und unheilbarer Feigheit. Angst und Feigheit sind der wahre Grund, warum ihr selbst zu meinem, will sagen, zu einem so außerordentlichen Entschluss, ganz und gar unfähig seid. Den Mut zur Umkehr bringt unter euch keiner auf.
Es lohnt sich ja nicht, so höre ich euch jammern. Es lohnt und lohnt sich doch wirklich nicht!
Wie sehr ich euch für diese Litanei verachte! Es lohnt sich nicht, sagt ihr und seid euch nicht einmal bewusst, wie sehr ihr das Sein verleumdet, wenn ihr mit stockender und weinerlicher Stimme diese Ungeheuerlichkeit über die Lippen bringt. Habe ich gerade vom Sein gesprochen? Ja, ihr habt richtig gehört. Ich kann nicht umhin, mich auch einmal philosophisch auszudrücken, wie sonst nur unsere großen Denker. Denn eure bösartige Verleumdung des Seins, diese furchtbare Nestbeschmutzung bringt ihr immer wieder zu eurer Rechtfertigung vor. Es kommt euch nicht in den Sinn, wie sehr ihr euch damit gegen Gott und die Welt versündigt. Hat ER, der Herrgott, an den ihr aus lauter Blasiertheit schon längst nicht mehr glaubt, hat ER nicht am siebten Tage feierlich sich selbst und das eigene Werk gelobt? Habt ihr vergessen, dass er seine siebentägige Arbeit am Ende mit großer Zufriedenheit mit dem Wort „gut“ gekrönt und geadelt hat? Gut sei ihm das siebentägige Werk geraten – gut und richtig. So etwas habe ich aus eurem Munde kein einziges Mal gehört. Stattdessen beschwert und beklagt ihr euch und setzt sein großes Werk auf diese Weise herab.
Ich habe mich nie beschwert, und es fällt mir nicht ein, mich zu beklagen, da schleppe ich mich vorher lieber noch unter die kalte Dusche. Dabei weiß ich so gut wie ihr – wer wüsste das nicht? – dass es auf dieser Welt Mücken gibt. Ich führe das nur als ein Beispiel an, Mücken, die in einer schwülen Sommernacht durch das offene Fenster dringen, die mich stechen und anschließend mit ihrem Kreissägesummen beharrlich und böse am Schlafen hindern. Aus diesem Grund haben einige von euch sich darauf versteift, die Schöpfung für unvollkommen zu halten. Sie behaupten, dass sie an Gottes Stelle auf die Erschaffung von Mücken verzichtet hätten. Diese Meinung bringen sie mit sichtbarem Hochmut hervor, da sie sich in solchen Momenten einbilden, klüger als selbst der Herr dieser Welt zu sein. Aber wisst ihr auch, welchen blasphemischen Unsinn ihr da von euch gebt, und zwar aus lauter dummdreistem Besserwissen? Ich sage euch, wenn euch die Steckmücken nicht passen, dann müsstet ihr auch die dürre Trude vertreiben. Ich weiß, ihr kennt sie nicht, ihr Name tut auch nichts zur Sache, es geht mir allein um das Prinzip. Also diese Trude bringt mit ihrem Lästermaul das ganze Viertel gegen sich auf, und außerdem hat sie die Haare zu einem strohigen Dutt auf ihrem halbkahlen Schädel gebündelt und eine Warze verunstaltet ihre Nase – sie ist eine Hexe in Menschengestalt. Wollt ihr sie auch noch abschaffen? Warum nehmt ihr dann nicht auch gleich noch die Tapire mit ihren lächerlichen Rüsselmäulern dazu und natürlich die Schlangen und Spinnen, bei deren Anblick unsere zartbesaiteten Damen Zustände bekommen?
Ich verstehe schon: mit einer solchen Allergie gegen die Welt kann euch das Leben wenig gefallen. Da stellt sich dann zwangsläufig Feigheit ein, man duckt und fürchtet sich und will das furchtbare Jammertal lieber heute als morgen verlassen. Mit einer solchen Gesinnung – wie solltet ihr da jemals zu einem großen Entschluss wie dem meinen imstande sein? Während ihr die Welt lästert und mit dementem Kopf und kraftlosem Körper widerstandslos in die Grube torkelt, richte ich mich auf und überlege alles in der Mittagshelle meines Bewusstseins. Ich frage mich zum Beispiel, wie eine Welt ohne Mücken und ohne das Lästermaul – vom Namen dieser Person sehe ich jetzt absichtlich ab, denn es geht ja allein um das Prinzip – wäre eine Welt ohne Mücken und ohne Lästermäuler, so frage ich, wäre eine solche Welt noch wert, dass der Schöpfer sich am Ende der sieben Tage die Hände reibt, sich selbst sozusagen mit Lob auf die eigene Schulter klopft und sein Werk mit dem abschließenden Urteil krönt: Das habe ich gut gemacht, jetzt ist es vollbracht und meine Arbeit vollkommen?
Nein! antworte ich mit aller Entschiedenheit und füge zu eurer Aufklärung gleich noch eine zweite Einsicht hinzu. Man muss, so sage ich, ein nichtswürdiger Wicht und lästerlich von sich selbst überzeugter Meckerer, man muss ein die eigene Intelligenz maßlos überschätzender Esel sein, um die Geister mit einem so abwegigen Gedanken zu verwirren. Denn seid doch nur einmal ehrlich – was würdet ihr mit eurem Leben anfangen, wenn ihr euch nicht in fortwährendem Kampf um das Gute und Bessere zu bewähren hättet? Nehmt alle Mücken, alle Truden (aber der Name tut wirklich nichts zur Sache), nehmt alle Tapire, Schlangen und Spinnen weg, beseitigt alle Hindernisse auf eurem Weg, was bliebe euch dann noch zu tun? Gar nichts, zu ewiger Untätigkeit verdammt würde euch nie endender Müßiggang lähmen und alle Lebenslust augenblicklich vergehn. Ihr würdet nichts mehr wissen, nichts mehr erkennen wollen. Regungs- und willenlos würdet ihr Tage und Nächte nur noch vor der Glotze verbringen: faulende Coachpotatoes in Menschengestalt. Einfach wegtreten würdet ihr, wegfaulen, wegschimmeln und euch am Ende in ein pures und übelriechendes Nichts auflösen. Weil alles Wissen und Kennen doch allein dazu dient, um Hindernisse zu überwinden. Dazu seid ihr gemacht, und deswegen muss es die Mücken geben und die Tapire und auch die bewusste Person, deren Namen ich hier absichtlich verschweige.
Aber ich fürchte, meine Perlen … na ja, es ist eben völlig zwecklos, euch aufzuklären. Nein, nicht nur zwecklos. Im Grunde will ich auch gar nicht, dass auch ihr die Entscheidung vollzieht, um mir auf gleichem Wege zu folgen. Dann hätte ich euch ja zu meinen Begleiter gemacht – ihr wäret allezeit um mich. Was müsste ich da täglich erdulden? Das habe ich bereits ausgesprochen: eure kahlen Schädel hätte ich um mich und in deren Inneren die fortgeschrittene Verkalkung – gar nicht zu reden von all den Furchen, die sich in eure Stirnen und Backen so tief wie Abflussrinnen eingraben. Rundheraus erkläre ich, dass mich euer Anblick zutiefst beleidigt. Jeder sieht euch schon von Weitem an, dass ihr ein lebender Protest gegen Schönheit, Geistesfrische und Lebenslust seid, weil ihr unsere schöne Welt mit ihren tausend Farben und Düften missachtet, meidet, geringschätzt, ja, vielleicht sogar schon aus tiefstem Herzen hasst. Nein, ich will euch gar nicht mehr um mich haben, beeilt euch nur, dorthin zu gehen, wohin es euch schon so mächtig zieht, nämlich in die kalte Grube unter der Erde, ins Grab. Ihr habt es nicht besser verdient!
Eure und meine Wege trennen sich hier an dieser Stelle, und zwar für immer. Je größer eure Feigheit und schmähliche Flucht, desto unbeugsamer ist mein Entschluss, seitdem ich endlich zur Wahrheit gefunden habe.
Die Welt ist vollkommen, so wie sie ist – das ist meine Wahrheit.
Nachdem ich in härtester philosophischer Anstrengung zu dieser erlösenden Einsicht gelangt bin, ohne mich dabei im Geringsten von den vielen Krümelgelehrten und moralischen Spießbürgern beirren zu lassen, die beharrlich das Gegenteil verkünden und dabei so viel Zweifel an der Heiligen Schrift und so viel Unruhe und Unzufriedenheit in die Welt gebracht haben und weiterhin bringen; also nach dieser gewaltigen Anstrengung und Selbstüberwindung fasse ich heute am Tage meines hundertjährigen Geburtstags und im Vollbesitz meiner geistigen und nahezu auch meiner physischen Kräfte in aller Form den großen unwiderruflichen Entschluss, dem ihr nicht einmal in Augen zu sehen wagt – ich entschließe mich zur Unsterblichkeit.