Schuldenbruchlandung II – was kann der Staat tun?

Schuldenbruchlandung II – was kann der Staat tun?

Die Eurozone wird von einem selbstverschuldeten Übel zerrissen, einer leichtsinnigen und über die Jahre ungebremst betriebenen Politik der Staatsverschuldung – nicht von Wallstreet, der City of London oder korrupten Rating-Agenturen, obwohl transatlantische Rivalitäten immer auch eine Rolle spielen. Die folgenden Überlegungen sind als ein Beitrag gedacht, wie sich ein Staat aus der Mechanik der Schulden befreit. Ich werde diese Frage in acht verschiedenen Vorschlägen erörtern und zu beantworten versuchen.

1 Wenn er so wirtschaften würde wie jeder normale Haushalt immer schon wirtschaften musste

Die einfachste Art der Schuldenvermeidung besteht zweifellos darin, dass der Staat sich den normalen Haushalt zum Vorbild nimmt: Er gibt gerade so viel aus, wie er an Steuern einnimmt. Dieses Ideal wurde nur selten verwirklicht. Es gab immer Gründe, warum es außer Kraft gesetzt wurde. Zu den Hauptgründen gehörten in der Vergangenheit Kriege. Der Staat nahm bei seinen Bürgern Kredite auf, um eine Zeit der Not durchzustehen. Waren die Kriege verloren, so blieben die Bürger – wie in Deutschland nach den beiden vergangenen Kriegen – auf wertlosen Schuldscheinen sitzen.

Nach Mitte des vergangenen Jahrhunderts trat zum militärischen Wettbewerb zwischen den Staaten ein zusätzlicher Verschuldungsgrund: der Wettbewerb um die größere ökonomische Macht. Von Kriegen blieben Europa und die westliche Welt seit einem halben Jahrhundert glücklich verschont. Der Wettbewerb um die größere wirtschaftliche Macht aber lief auf vollen Touren. Es ging und geht um das bessere Sozialsystem, die bessere Infrastruktur, die besseren Universitäten, die höheren Sozialleistungen etc. All dies wird weltweit regelmäßig in Zahlen gefasst und verglichen. Jeder Staat sieht seinen Ehrgeiz darin, auf der Liste der international besten oder zumindest honorigen Staaten möglichst weit oben zu stehen. Sobald ein Staat über die Stränge schlägt, weil er sich mehr leistet als seine Einnahmen ihm ermöglichen, verschafft er sich Vorteile. Das ermuntert die anderen, es ihm darin gleich zu tun. So kommt es sehr schnell dazu, dass kein Staat seine Investitionen noch aus laufenden Einnahmen bezahlt: Alle verschulden sich. Verschuldung wird geradezu zur Routine und gilt nun – da es ja alle tun – beinahe als selbstverständlich. Es ist kein Zufall, dass sich der Grad der Verschuldung bei sämtlichen frühen Industrienationen in etwa gleicher Höhe bewegt.

2 Schulden in Zeiten der Rezession und Rückzahlung in Zeiten des Aufschwungs?

Ist es erst einmal dazu gekommen, dass ein Staat im Wettrennen der Nationen um die größere militärische und ökonomische Macht auf Verschuldung nicht länger verzichten will oder kann, dann sollte er zumindest so verfahren, dass seine Handlungsfähigkeit nicht darunter leidet. Das tut sie aber, wenn eine ständig anschwellende Zinslast einen wachsenden Teil des Budgets wegfrisst und die Bevölkerung in Arm und Reich polarisiert. John Maynard Keynes sah diesen Fall offenbar voraus, deshalb riet er dazu, in Zeiten des Aufschwungs die Schulden zurückzuzahlen.

Wie realistisch ist dieser Vorschlag? Die Frage beantwortet sich mit einem Blick auf die Tatsachen. Bekanntlich hat sich keine Regierung und keine Partei jemals an das Rezept des großen englischen Ökonomen gehalten. Vor die Alternative gestellt, den Schuldenberg in einer Phase der Hochkonjunktur wieder abzubauen, oder sich frisches Geld zu borgen, um die Wirtschaft noch mehr anzukurbeln bzw. die Bürgern mit weiteren Geschenken zu verwöhnen, hat noch jede von ihnen den zweiten Weg beschritten. Keynes Forderung nach einer Begleichung der Schulden in Zeiten des Aufschwungs hatte nie eine Chance.

Im Grunde hat auch keine Partei und keine Regierung jemals geglaubt oder ist gar davon ausgegangen, dass die jährlich steigenden Schulden je zurückgezahlt werden. Jede wusste und weiß, dass ein Staat, der dies ernsthaft versuchen würde, unter den Bedingungen eines globalen Wettlaufs so sehr im Nachteil wäre, dass ihm die eigenen Bürger augenblicklich den Laufpass gäben.

Manchmal kommt die Wahrheit aus Versehen ans Licht

Jede Partei und jede Regierung weiß dies, aber es gehört zu den ungeschriebenen Gesetzen, dieses Wissen wie ein Tabu zu verschweigen. Nach außen hin wird mit größtem Nachdruck behauptet, dass der Staat unter allen Umständen für seine Schulden gerade stehe. Dass dies bei einer gegenläufigen Entwicklung von Schulden und Wirtschaftswachstum selbst dann nicht möglich wäre, wenn Politiker es tatsächlich wollten, habe ich im ersten Teil ausgeführt. Aber sie können es nicht einmal wollen.

Manchmal sind Politiker ehrlich – oder vielleicht auch nur leichtsinnig? – genug, offen über die Unmöglichkeit staatlichen Schuldenabbaus zu reden. So geschehen in einem Interview, das der amtierende Bundeskanzler Werner Faymann dem Wiener Stadtmagazin Falter gab (5. August 2009): „Die europäische Verschuldung, bei der wir immer im Mittelfeld liegen, wird in zwei, drei Jahren um ein paar Prozent höher sein. Ich glaube nicht daran, dass irgendein Staat das zurückbezahlt.“

Der Bundeskanzler hat die lautere Wahrheit gesagt und zugleich ein Tabu gebrochen, denn man braucht diese Erkenntnis ja nur etwas anders zu formulieren, um eine Staatskrise auszulösen. De facto hat er den Gläubigern nämlich eine ungeheuerliche Botschaft ausrichten lassen. Sie hätten sich doch, bitte schön, damit abzufinden, dass der Staat sie um ihr Eigentum prellen werde. Der Bundeskanzler hätte ebenso gut ankündigen können, dass derselbe Staat, der laut Verfassung mit Polizei und Justizapparat ein Garant des Eigentums ist, einen Teil seiner Bürger willkürlich enteignen werde, indem er ihre Immobilien, Grundstücke usw. zum Besitz der Allgemeinheit erklärt. 2009 war die Zeit für eine Staatskrise noch nicht reif. Jetzt, zwei Jahre später, steht sie unmittelbar vor der Tür.

3 Privatisierungen

Staaten können ihre Schulden abtragen, indem sie ihr Eigentum an die Gläubiger abtreten. Dann verkaufen sie Eisenbahnen und Gleisanlagen, privatisieren Staatsunternehmen und Krankenhäuser, treten Wasserkraftwerke ab und verscherbeln am Ende selbst noch das Bildungswesen. Privatisierungen sind in bestimmten Sektoren durchaus von Vorteil, in manchen richten sie großen Schaden an, aber ihre Wirkung bei der Abtragung von Schulden ist zwangsläufig begrenzt: Staatseigentum kann nur einmal versilbert werden.

Auf jeden Fall haben sie nichts gegen das stetige Anschwellen der Schuldenlawine auszurichten vermocht. „Die Staatsverschuldung der Euro-Staaten hat sich – allen Regelungen zum Trotz – seit 1997 nahezu verdoppelt, allein den letzten drei Jahren ist sie um knapp zwei Billionen Euro gestiegen, um 30%“ (Der Spiegel 2011/39. S. 72). Wenn Wachstum nicht in Sicht ist, und ein Staat sich vom Schuldendoping nicht mehr zu befreien vermag, dann hilft ihm nichts mehr aus der Staatskrise heraus. „Kein Kredit dieser Welt, und wäre er noch so groß, wird Griechenland retten, auch Portugal nicht und sehr wahrscheinlich auch nicht Irland, und man muss sich auch in Italien große Sorgen machen“ (Kenneth Rogoff in: Der Spiegel 2011/39. S. 73).

4 Auslandsschulden setzen die staatliche Souveränität aufs Spiel

Unter den herrschenden Bedingungen globalen Wettrennens treiben sich die Staaten gegenseitig in die Verschuldung und damit gegenseitig in eine Entwicklung, die sie zwangsläufig in den Systembruch treibt, denn irgendwann spielen die Gläubiger nicht mehr mit. Irgendwann begreifen sie, dass man sie prellt und sie enteignen wird. Aber ein Staat hat immerhin die Wahl, sich bei seinen eigenen Bürgern zu verschulden oder im Ausland – und das macht einen gewaltigen Unterschied. Auslandsverschuldung kann in Ausnahmefällen sinnvoll sein, z.B. dann, wenn sich ein Staat, wie heute China, in rasantem Wachstum befindet und seine Schulden daher problemlos begleichen kann. Doch die Geschichte zeigt, dass es für Staaten im Allgemeinen keinen gefährlicheren Weg als den der Auslandsverschuldung gibt. Er riskiert die Enteignung seiner Bürger durch die Gläubigermächte. Eine Grundregel sollte lauten, dass er sich, wenn überhaupt, grundsätzlich nur bei den eigenen Bürgern verschuldet. In einer Notsituation kann er diese zu Verzicht und Solidarität aufrufen, eine ausländische Macht dagegen ermuntert er zu schwer wiegenden Sanktionen bis hin zu militärischem Eingriff.

Ein militärisch und ökonomisch unbedeutender Staat muss bei Zahlungsunfähigkeit damit rechnen, unter ausländische Kuratel gestellt zu werden, oder sein Vermögen (richtiger: das der Bevölkerung) wird unter Androhung von Gewalt konfisziert. Ausgenommen von dieser Regel sind nur Supermächte nach Art der USA. Nur sie können sich ungestraft nach außen verschulden, solange ihre Gläubiger ihnen gegenüber ohnmächtig sind. Kenneth Rogoff (Der Spiegel, 2011/39. S. 62) benennt den Kern des Problems, wenn er einen wesentlichen Grund für die Gefährdung des Euro in der Außenverschuldung europäischer Staaten sieht. Nur weil sich Europa von ausländischen Gläubigern abhängig machte, sieht es sich jetzt (anders als das fast nur binnenverschuldete Japan) dem Druck und den Diktaten der Ratingagenturen ausgeliefert.

Deswegen sind auch der Rettungsschirm ESFS und sein Nachfolger, der EMS, so verhängnisvolle Fehlkonstruktionen. Den Schutz der eigenen Staaten bezahlt Europa hier mit dem Geld, das es auf den globalen Finanzmärkten aufnimmt. Damit macht sich eines der reichsten Staatengebilder der Erde von äußeren Mächten abhängig, und zwar noch stärker als dies ohnehin schon seit Jahrzehnten der Fall ist. Leichtfertig setzt es die eigene Zukunft aufs Spiel, nämlich Handlungsfähigkeit und Souveränität. Hätten die einzelnen Staaten Europas und die Union insgesamt nur im Inland Schulden aufgenommen, dann wäre dieses Unheil vermieden worden. Es sei hinzugefügt, dass selbst die Monetarisierung der Schulden durch die Europäische Zentralbank und die daraus nach einiger Zeit zwangsläufig resultierende Inflation immer noch ein kleineres Übel sind als die in Zukunft zu erwartende Abhängigkeit und Bevormundung durch ausländische Mächte.

5 Die unvollständige Therapie der Geldreformer

Im ersten Teil meiner Analyse habe ich gezeigt, dass die ganze Dramatik der Staatsverschuldung auf der Zahlung von Zinsen beruht. Im gegenwärtigen Rolloversystem könnte sich der Staat gratis verschulden, wenn er seinen Gläubigern keine Zinsen zu zahlen hätte. Staatsverschuldung wäre hinfort kein Problem, zu einem weiteren Auseinanderdriften von Arm und Reich würde es gar nicht erst kommen. Die Geldreformer in der Gefolgschaft von Silvio Gesell haben daher eine solche Wunderkur ins Auge gefasst. Sie wollen eine Umlaufgebühr einführen, die das bloße Halten von Geld (z.B. in einem Haustresor) mit einer Abgabe bestraft (Schwundgeld). Um dieser Abgabe zu entgehen, würde ein Investor auch dann noch ein unmittelbares finanzielles Interesse an der Veranlagung seines Geldes in Staatsobligationen haben, wenn er dafür keine Zinsen erhält. So scheint das uralte Problem der Zinsen durch eine im Prinzip äußerst einfache Maßnahme gelöst.

Im Hinblick auf das Geldsystem würde eine derartige Reform die Erwartungen in der Tat erfüllen. Doch leider bildet das Geldsystem nur eine von mehreren Säulen unserer heutigen Wirtschaftsordnung. Bewusst habe ich daher den einzigen Investor, der an die hundert Prozent des BIP dem Staat auf Dauer geliehen hat und dafür eine zeitlich unbegrenzte Rendite in Gestalt von Zinsen erhält, mit dem Eigentümer von Immobilien verglichen, der statt solcher Zinsen eine Miete bezieht. Es ist klar, dass kein Investor auch nur einen Tag länger bereit sein wird, weitere Schuldscheine vom Staat zu erwerben, wenn dieser ihm keine Zinsen mehr zahlt. Er wird dann in Immobilien oder andere Sachwerte oder auch in Derivate, Devisenspekulationen etc. flüchten – mit anderen Worten, er steigt aus der Geldwirtschaft im engeren Sinne aus, um in die Real- und Finanzwirtschaft umzusteigen. Und natürlich bleibt ihm auch immer die Möglichkeit, aus dem Inland auszusteigen und sein Geld überhaupt im Ausland anzulegen, wo man ihm weiterhin Zinsen bezahlt. Die von vielen (und eine Zeitlang auch von mir selbst) so inbrünstig verteidigte Geldreform ist zwar – isoliert betrachtet – logisch unanfechtbar und würde im engeren Geldbereich auch zweifellos eine heilsame Wirkung entfalten, doch im Hinblick auf die Gesamtwirtschaft wäre ihre Wirkung gleich Null. Es genügt nicht, in einer Badewanne ein Loch zu stopfen, wenn das Wasser durch zwei andere weiterhin abfließen kann.

Dieser Befund ist besonders schmerzlich, denn die besten Analysen zur Problematik der Schulden sind den Geldtheoretikern zu danken, allen voran Silvio Gesell und Helmut Creutz. Auch Bernd Senf und Margrit Kennedy verdienen in diesem Zusammenhang Erwähnung. Zusammen mit Helmut Creutz haben Erhard Glötzl und ich zeigen können, dass die Akkumulation von Schulden bei nachlassendem Wachstum jeden Staat irgendwann zwangsläufig in den Kollaps treibt. Einsichten wie diese, die von der akademischen Wissenschaft geflissentlich ignoriert worden sind, werden ausführlich in meinen Büchern Das Pyramidenspiel sowie in Wohlstand und Armut behandelt.

6 Die heilsame Wirkung einer Vermögensobergrenze

Ein österreichischer Bundeskanzler hat mehr Offenheit an den Tag gelegt als die akademische Wissenschaft. Er ist zu der Erkenntnis gelangt, dass der Staat seine Gläubiger prellen und sie enteignen wird. Was er nicht gesagt hat, obwohl es eigentlich noch unbedingt hätte gesagt werden müssen, damit die gegenwärtige Situation in ihrer ganzen Dramatik erkannt wird: Bei gleichbleibenden Forderungen der Gläubiger und nachlassendem Wachstum ist die Enteignung der Gläubiger ein Ereignis, das mit mathematischer Gewissheit und Notwendigkeit über uns hereinbrechen muss. Genau diese Wahrheit haben die Gläubiger inzwischen begriffen, und deshalb stufen die großen Rating-Agenturen nacheinander die am stärksten verschuldeten Staaten herab. Mit anderen Worten, sie sind zur Flucht gerüstet. Sie stoßen ihre Papiere ab, die Banken sitzen auf faulen Krediten, die Aktienkurse brechen ein, der Staat zieht überall die Daumenschrauben an, und schließlich geht die Realwirtschaft in die Knie.

Die Geldreform ist kein wirksames Heilmittel gegen die zunehmende Verschuldung der Mehrheit und eine damit einhergehende Aufblähung der Guthaben bei einer Minderheit. Wir müssen nach einer anderen Lösung suchen. In welcher Richtung diese zu finden ist, gibt uns die Krise selbst zu erkennen. Sie führt nämlich ihre eigene Lösung herbei: Enteignungen, welche zugleich die Schulden der Mehrheit und die bei einer Minderheit konzentrierten Guthaben aufheben bzw. vernichten. Diese Entwicklung können wir wie ein unabwendbares Fatum passiv erleiden. Dann wird das Übel Staat und Gesellschaft wie in den 30er Jahren zerfressen und möglicherweise zu neuen Kriegen führen. Oder wir stellen uns an die Spitze dieses Prozesses und übernehmen dabei seine Steuerung. Dann können wir ihn in erträgliche Bahnen lenken. Eine demokratisch bestimmte Vermögensobergrenze von der Art, dass persönliche Guthaben nur dem aufgeschobenen Konsum, aber nie (über jeden Konsum hinaus) der Demonstration und Ausübung von Macht dienen dürfen, würde eine wirksame Abhilfe schaffen (siehe Macht, Macht – und abermals Macht). Auch sie führt Enteignungen herbei, aber von kontrollierter Art. Sie enteignet Vermögen, das jenseits allen sinnvollen Konsums nur zu Zwecken der Macht angehäuft wird.

Sogar die vollständige Beseitigung des Schuldenproblems ist dadurch möglich

Die Gesamtmenge von Schulden und Guthaben lässt sich dadurch nicht begrenzen, aber die Konzentration der Guthaben in wenigen Händen wird auf diese Weise verhindert und stattdessen eine breite Streuung der Vermögen bewirkt. Von dieser Streuung würde höchst bemerkenswerte Wirkung ausgehen. Im Idealfall nämlich, also dann, wenn alle in etwa gleich hohe Guthaben besitzen, wäre das Schuldenproblem restlos beseitigt. Jeder würde in diesem Fall nämlich zur gleichen Zeit Schuldner und Gläubiger sein – und die Zinsen damit ihre polarisierende Wirkung verloren. Zinsen führen ja nur dann zu sozialer Spaltung, wenn die einen sie zahlen und die anderen sie empfangen. Dagegen wird ihre Wirkung sofort aufgehoben, wenn jeder mit der linken Hand, also mit seinen Zinsen, in etwa den gleichen Betrag einnimmt, den er mit der rechten in Gestalt von Steuern bezahlt! Eine möglichst breite Streuung von Vermögen, die man durch eine obere Begrenzung erreicht, würde unter den Bedingungen des heutigen globalen Wettbewerbs die Schuldenproblematik weitgehend entschärfen!

Doch die Einführung einer Vermögensobergrenze setzt voraus, dass der Staat den Kapitalverkehr neuerlich kontrolliert. Andernfalls würde die bloße Ankündigung eines derartigen Schrittes eine massenhafte Kapitalflucht bewirken.

7 Stationäre Wirtschaften – ein künftiges Ideal

Die Einführung von Vermögensobergrenzen entschärft das Problem der Staatsverschuldung, sie wäre deshalb eine Maßnahme von großer Bedeutung, um aus der gegenwärtigen Misere herauszufinden. Doch sie allein richtet noch nichts gegen den Wachstumszwang aus. Dazu bedarf es einer grundsätzlichen Neuorientierung. Wir müssen das globale Wettrennen beenden. Das Problem der Verschuldung und eines für die Natur tödlichen Wachstumszwangs würde mit einem Schlag hinfällig werden, wenn die Welt wieder jenen Zustand einer stationären Wirtschaft verwirklicht, wie er die längste Zeit der bezeugten Geschichte etwa in den Hochkulturen Indiens oder Chinas bestand. Diese Kulturen hätten noch Tausende von Jahren fortbestehen können, vor allem im klassischen Indien ist eine perfekte Symbiose zwischen Mensch und Natur gelungen. Unsere Zivilisation hat dagegen vielen Menschen unglaublichen Reichtum verschafft, aber um den Preis, dass der Globus ausgequetscht, vergiftet und in Meer, Luft und Erde beschädigt wurde. Ein großer Theoretiker der politischen Ökonomie, John Stuart Mill, hatte ein solches stationäres Wirtschaftsmodell schon im 19. Jahrhundert als wünschenswertes Endziel betrachtet, also zu einer Zeit, wo noch niemand die Gefahr einer Selbstvernichtung menschlicher Zivilisation voraussehen konnte. Heute spricht einiges für die These, dass wir nur dann eine Chance auf Überleben haben, wenn wir den Güterumsatz so weit reduzieren, dass wir in einer dauerhaft nachhaltigen Wirtschaft der Natur allenfalls so viele Rohstoffe entnehmen, wie diese nachzuliefern vermag oder wir durch Wiederverwertung dauerhaft nutzen. Nur Ersatzinvestitionen wären dann noch erforderlich, aber keine Neuinvestitionen zu Zwecken des Wachstums, wie sie Staat und Unternehmen heute zur Aufnahme von Krediten zwingen. Ersatzinvestitionen aber sind von Staat und Unternehmen mühelos aus laufenden Einnahmen zu finanzieren.

Das ist zunächst nichts als eine Vision, und man darf sie nicht missverstehen. Es versteht sich von selbst, dass gerade in einer nachhaltigen Wirtschaft die persönliche Initiative, der heilsame Wettbewerb und die wissenschaftliche Forschung besonderer Förderung bedürfen. Nur unter Einsatz aller Ressourcen an Intelligenz wird es überhaupt möglich sein, einer so viel größeren Weltbevölkerung ein materiell gesichertes Leben zu bieten. Vorerst sind wir jedenfalls noch weit von stationär wirtschaftenden Nationen und Wirtschaftsblöcken entfernt. Statt sich einzig an einer nachhaltigen Symbiose mit der Natur zu orientieren, setzen die Staaten nach wie vor ihren ganzen Ehrgeiz darein, den Nachbarn, wenn nicht mit militärischer, so doch mit ökonomischer Macht zu übertrumpfen. Dennoch gibt es Zeichen der Hoffnung, dass immer mehr Menschen angesichts drohender Umweltkrisen zu einer grundsätzlichen Wende bereit sind. Der Friede mit der Natur würde uns auch den sozialen Frieden bringen.

8 Was ist von anderen Maßnahmen zu erwarten?

In diesem Zusammenhang sollte man sich besser nichts von Maßnahmen erhoffen, von denen keinerlei Wirkung auf die Eingrenzung der Schulden ausgeht. Eine Tobin-Taxe ist längst überfällig, aber sie wird keinen einzigen Staat an weiterer Verschuldung hindern. Die Begrenzung der Börsenspekulation und des Derivatenhandels sowie eine Eigenkapitalerhöhung der Banken gehören ebenfalls zu den dringenden Erfordernissen, aber mit der Staatsverschuldung haben auch sie nichts zu tun. Die Finanzkrise, auf deren Bewältigung solche Maßnahmen zielen, ist zwar nach Auffassung der Süddeutschen Zeitung „der größte Betriebsunfall der neueren Wirtschaftsgeschichte“ (29. September 2011), aber dieser Betriebsunfall hätte die Eurozone ganz gewiss nicht zerrissen. Dieses Unheil geht erst von der Staatsschuldenkrise aus – und die letztere ist ein angekündigter Unfall. Er war schon vorauszusehen, als sämtliche Politiker und fast alle akademischen Ökonomen sich darin einig waren, solche Warnungen als realitätsfremde Phantasterei zu belächeln oder zu ignorieren. Nur die wenigen Historiker unter ihnen blieben von dieser Blindheit verschont. Sie wissen, dass Staatsbankrotte zu den regelmäßig auftretenden Unfällen der Wirtschaftsgeschichte gehören. Allein im vergangenen Jahrhundert hat Deutschland zwei solcher Unfälle durchlitten.

Werner Faymann, der österreichische Bundeskanzler, hat uns die Wahrheit gesagt. Kein europäischer Staat wird seine Schulden begleichen: Griechenland und Portugal sowieso nicht, das hochverschuldete Italien ebenso wenig, aber auch Österreich, Frankreich und Deutschland nicht – und zwar aus einem einfachen Grund. Sie können es gar nicht. Solange die Mär vom ewigen Wachstum in aller Munde war, wollte das niemand glauben. Jetzt ist es damit vorbei, und auf einmal begreifen die Gläubiger, dass es um ihr Eigentum geht, ein Eigentum, das die Verfassung ausdrücklich schützt und dessen Sicherheit der Staat garantieren sollte – und das er nicht mehr zu garantieren vermag. Das ist die Krise und der wirklich größte Betriebsunfall.