2008 – Warum all das Elend einer neuen, großen Weltwirtschaftskrise?

In meinem letzten Buch habe ich unser Wirtschaftssystem mit einem Pyramidenspiel verglichen und dessen Zusammenbruch prognostiziert. Darüber hätten Sie vor einem halben Jahr noch den Kopf geschüttelt. Auf die Frage nach den wesentlichen Merkmalen unserer Wirtschaft hätten Sie alles andere nur sicher kein Pyramidenspiel vor Augen gehabt. Wir leben in einer Marktwirtschaft, die auf dem Fleiß arbeitsamer Bürger beruht, von denen jeder Einzelnen seinen oft harten Beitrag leistet, damit alle mit jenen Gütern und Dienstleistungen versorgt sind, die die Gemeinschaft zum Leben benötigt. Jeder von Ihnen wäre zutiefst überzeugt gewesen, dass eine Marktwirtschaft reibungslos funktioniert, solange Millionen arbeitender Menschen ihre jeweiligen Aufgaben verlässlich erfüllen. Der Vergleich mit einem Pyramidenspiel, das plötzlich zusammenbricht, wäre Ihnen aus dieser Perspektive nicht nur undenkbar sondern absurd erschienen. Wenn dieselben Güter jeden Tag aufs Neue hergestellt und ausgetauscht werden, wenn die Menschen heute wie gestern ihrer Arbeit nachgehen, dann erscheint ein Kollaps, der über Nacht erfolgt, eine aberwitzige und völlig irreale Vorstellung zu sein.
Aber genau dieser scheinbare Aberwitz hat sich 1929 ereignet. Irving Fisher, damals unter den Wirtschaftswissenschaftlern eine internationale Kapazität, behauptete noch im Oktober 1929, wenige Tage vor dem bis dahin größten Crash in der amerikanischen Geschichte, dass die Aktienkurse von nun an dauerhaft auf hohem Niveau bleiben würden. Kurz danach hatte er sein ganzes persönliches Vermögen von etwa 10 Millionen Dollar verloren und die vielen Investoren, die ihr Geld seiner Bank anvertraut hatten, um ihr Vermögen gebracht. Mit seinem Renommee als Wissenschaftler war es danach vorbei. Denn drei Jahre später lag Amerika am Boden, jeder dritte US-Bürger war arbeitslos. Heute stehen wir vor einer ähnlichen, möglicherweise schlimmeren Situation. Jeremy Rifkin, ein bekannter US-amerikanischer Wirtschaftsautor, ist überzeugt, dass der Kollaps, auf den wir gegenwärtig zusteuern, den von `29 noch übertreffen wird. Zieht man in Betracht, dass die Gesamtverschuldung der Vereinigten Staaten heute das Doppelte der damaligen beträgt, so spricht vieles für diese düstere Prognose.
Aber wie ist das möglich, werden Sie fragen, wenn doch in der Realwirtschaft die Menschen um keinen Deut weniger arbeiten? Wenn sie im Gegenteil bei uns in den letzten Jahren für weniger Lohn härter arbeiten mussten, immer verzichtbereiter, flexibler und zu lebenslangem Lernen bereit, und ihre Pension dabei immer später hinausgeschoben und spärlicher wurde? Wie kann eine Wirtschaft, die immer mehr und immer billiger produziert, vor dem Zusammenbruch stehen?
Auf diese Frage werden sie keine Antwort finden, solange Sie sich nicht der Tatsache bewusst sind, dass die Realwirtschaft heute zwei Funktionen erfüllt. Die eine habe ich schon beschrieben. Die arbeitenden Menschen versorgen uns alle mit den Gütern und Dienstleistungen unseres täglichen Bedarfs. Das ist die normale, die allgemein anerkannte und die einzige Funktion, von der die Rede ist, wenn man Ihnen die Marktwirtschaft erklärt. Aber dann ist da noch eine zweite Funktion, die man gewöhnlich verschweigt, von dieser Funktion brauchen und sollen Sie nichts erfahren. Diese Funktion besteht darin, dass die Realwirtschaft als Tischlein-deck-dich für eine Minorität von etwa 10 Prozent der Bevölkerung dient, die aus ihr ein Jahr um Jahr größeres leistungsloses Einkommen bezieht. Man spricht entweder gar nicht oder nur ungern von dieser Funktion, weil sie in der Marktwirtschaft eigentlich keinen Platz hat; laut Theorie sollen in ihr ja nur Leistungen gegen andere Leistungen ausgetauscht werden. Ich backe Brot und dafür bekomme ich Milch oder ein Handy. Dass der Bäcker und der Handyhersteller zur gleichen Zeit einen Teil ihres Verdienstes an einen Dritten abgeben, der keinerlei Leistung erbringt, ist dabei nicht vorgesehen. Doch genau das ist heute der Fall. Dieser Dritte im Spiel sind die großen Vermögensbesitzer, d. h. das Finanzkapital, und dieses hat es heute in der Hand, die tägliche Lebens- und Überlebensroutine der großen Masse arbeitender Menschen von einem Tag auf den anderen derart zu stören, dass eine völlig normal funktionierende Realwirtschaft über Nacht kollabiert und zerstört wird – bis hin zu blutigen Kriegen.
Die Realwirtschaft selbst ist kein Pyramidenspiel. Wirkliche Leistungen werden gegen andere ebenso wirkliche getauscht, das war schon immer so und kann ewig so weitergehen, solange wir dabei nicht unsere Ressourcen aufbrauchen. Sobald wir jedoch die Rolle des Finanzkapitals in unserer Wirtschaft ins Auge fassen, ergibt sich ein ganz anderes Bild. Durch die Verbindung von Geldgebern und Realwirtschaft kommt es zu einer Transformation mit gefährlichen, ja explosiven Auswirkungen. Erst in diesem Zusammenspiel entsteht das Pyramiden- oder Kettenspiel.
Den Vorgang muss ich hier in wenigen Sätzen erläutern, weil die uns bedrohende Krise andernfalls nicht zu verstehen ist. Beginnen wir mit der Frage, warum uns das ganze Problem bis gestern so wenig beschäftigt hat. Das hängt damit zusammen, dass es in einer aufstrebenden Wirtschaft noch gar nicht als Problem in Erscheinung tritt. In China zum Beispiel wächst die Wirtschaft immer noch in gewaltigen Raten, nämlich um mehr als zehn Prozent, da stört sich niemand daran, dass große Vermögensbesitzer ihr Geld für fünf Prozent ausleihen. Mögen Millionäre und Milliardäre wie Pilze aus dem Boden schießen – das ist dort gegenwärtig der Fall – man hegt für diese Glückspilze eher Bewunderung als Neid. Ein wachsender Teil der Bevölkerung nimmt ja an diesem erstaunlichen Aufstieg teil. Die Finanzwirtschaft spielt eine Nebenrolle, solange in der Realwirtschaft bei einem Wachstum von 10 Prozent immer noch die bei weitem größten Profite erreichbar sind.
So war es – wenn auch nicht ganz so stürmisch wie heute im Reich der Mitte – auch in Österreich und Deutschland bis Anfang der achtziger Jahre. Arbeit und Leistung in der Realwirtschaft wurden stärker belohnt als das Finanzkapital. Dieser glückliche Zustand hält leider nur begrenzte Zeit an, er geht notwendig und unausweichlich zu Ende, und zwar aus dem einfachen Grund, weil keine Realwirtschaft unbegrenzt wachsen kann. Keine kann über längere Zeit ihren volkswirtschaftlichen Ertrag um 10% steigern. Beginnt ein Land wie China, das noch vor wenigen Jahrzehnten zu den unentwickelten Agrarstaaten zählte, mit seiner Industrialisierung, dann reichen ein paar Dutzend neu gegründete Firmen aus, um auf Anhieb zehn oder mehr Prozent Wachstum zu erzielen, in hochentwickelten Industriestaaten wie Deutschland und Österreich, müsste man Zehntausende neuer Produktionsstätten aus dem Boden stampfen und die letzten noch grünen Flächen verbauen, um die schon gigantische Menge an vorhandenen Fabriken und damit den Ausstoß an Gütern und Dienstleistungen um weitere 10% aufzustocken. Mit anderen Worten, jedes Wachstum (gleichgültig ob quanti- oder qualitativ) geht mit fortschreitender Entwicklung notwendig zurück und tendiert bei Ressourcenknappheit am Ende sogar gegen Null. Es ist wichtig, dass Sie diese Tatsache im Auge behalten. Denn genau deswegen tritt nach einiger Zeit unausweichlich der Fall ein, dass die Ansprüche des Finanzkapitals nicht mehr neidlos bedient werden wie noch in der Aufschwungsphase, sondern sich zu einer unerträglichen Last auswachsen. Dieser Zeitpunkt tritt in dem Augenblick ein, wo die Zinsraten die Rate des Wachstums überschreiten.
Das ist bei uns seit Anfang der achtziger Jahre der Fall. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert holen die großen Vermögensbesitzer – die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung – mehr aus der Realwirtschaft heraus, d. h. von den arbeitenden 90 Prozent der Bevölkerung, als die Wirtschaft selbst durch ihr Wachstum an Mehrwert erzeugen kann. Eine plutokratische Minderheit quetscht die Realwirtschaft zunehmend aus – die folgenden Zahlen können Ihnen eine Vorstellung davon vermitteln, wie sehr das heute der Fall ist. Anfang der 1950er Jahre lagen die Geldvermögen noch bei zwei Dritteln des deutschen BIP, inzwischen haben sie das 3,2-fache der Wirtschaftsleistung erreicht. Oder anders gesagt: Das reale Bruttoinlandsprodukt ist zwischen 1950 bis heute inflationsbereinigt auf das Achtfache gestiegen – eine gewaltige Leistung der arbeitenden Bevölkerungsmehrheit – innerhalb des gleichen Zeitraums haben sich aber die Geldvermögen alle zehn Jahre verdoppelt und sind bis 2005 auf das 45-fache angeschwollen (Helmut Creutz). Aus einem Schneeball ist eine Lawine von astronomischen Guthaben geworden, die für die arbeitende Bevölkerung Schulden sind, die sie mit Zinsen und Dividenden bedienen muss. Mit anderen Worten: der achtfachen Vermehrung der Leistung seit 1950 entspricht ein 45-facher Anspruch des Finanzkapitals an die Leistung.
Diese Zahlen veranschaulichen die Dramatik der Situation. Wenn Sie bisher nicht verstanden haben, warum durchschnittliche Österreicher und Deutsche sich seit Beginn der achtziger Jahre erst langsam dann immer stärker daran gewöhnen mussten, jedes Jahr etwas härter zu arbeiten, etwas weniger Lohn zu bekommen, flexibler zu sein und später in Pension zu gehen, dann sagt Ihnen das genannte Zahlenverhältnis warum. Die Schuldenlast und die darauf beruhenden Ansprüche des Finanzkapitals sind sechsmal schneller gewachsen als die Realwirtschaft. Stellen Sie sich einen jener mitleiderregenden orientalischen Esel vor, die unter ihren Lasten nicht mehr zu sehen sind. Diese Lasten, das sind freilich nicht die Schulden an sich, sondern die leistungslosen Einkommen, die zu ihrer Bedienung erhoben werden.
Nochmals, leistungslose Einkommen sind in der Theorie der Marktwirtschaft gar nicht vorgesehen. Sie geben sich als jene zweite und gewöhnlich vor Ihnen verheimlichte Funktion zu erkennen, die es neben der Realwirtschaft, wo man Leistungen gegen andere Leistungen tauscht, eigentlich gar nicht geben sollte. Viele von Ihnen werden überrascht sein, wenn sie zum ersten Mal von dem tatsächlichen Ausmaß dieser Last erfahren. Sie ist erdrückend. Im Schnitt bezahlt jeder von uns mit dem ihm zur Verfügung stehenden Haushaltseinkommen zu einem Drittel Zinsen und Dividenden, nämlich über die Preise der täglich konsumierten Güter und Dienstleistungen. Wir klagen über die Mehrwertsteuer, aber sie ist unerheblich im Vergleich zu den mehr als dreißig Prozent, die wir für leistungslose Einkommen ausgeben, Einkommen, die zum überwiegenden Teil in die Taschen einer ohnehin schon superreichen Minderheit fließen. Zwar gehören wir alle zu den mehr oder weniger kleinen Sparern, die von diesem Geldsegen einige Krümel erhaschen. Aber es sind wirklich nur Krümel. Die unteren 80 Prozent der Bevölkerung sind Verlierer, weil sie weit mehr Zinsen über die Preise bezahlen als sie von ihrem Sparbuch erhalten, die folgenden zehn Prozent steigen ohne Gewinn und Verlust aus. Die großen Gewinner sind die oberen zehn Prozent. Aufgrund der durch Schulden bedingten Umverteilung ergießt sich ein reißender Geldstrom in der verkehrten Richtung, er fließt nämlich von unten nach oben. Eine einfache Rechnung (Pyramidenspiel, S. 50) liefert den Nachweis, dass 90 Prozent der Bevölkerung, ohne davon auch nur zu ahnen, die Lohnsteuer, also die größte Massensteuer, gleich zweimal zahlen, einmal an den Staat, der sie ihnen in Form von Bildung, Infrastruktur etc. wieder zurückgibt, ein anderes Mal an die reichsten zehn Prozent ihrer Mitbürger, die ihnen nichts zurückgeben, sondern sie im Gegenteil Jahr um Jahr stärker belasten.
Ich bin sicher, dass einige von Ihnen nicht gerne von diesen Wahrheiten hören. Kommen da nicht Sozialneid, Rebellion, Infragestellung unserer Wirtschaftsordnung zu Wort, also höchst unerquickliche Charaktermerkmale? Nein, das Gegenteil ist der Fall, wir müssen die tiefer liegenden Ursachen der Krise begreifen, sonst werden wir sie nie überwinden. Fähigkeit und Mut zur Wahrheit sind heute gefordert. Die ungeheure Belastung der Real- durch die Finanzwirtschaft ist eine unbestreitbare Wahrheit. Erst sie macht begreiflich, warum die Marktwirtschaft zu einem Pyramidenspiel wurde. Erst sie erklärt, warum in diesem Spiel die Kette jederzeit reißen kann, und zwar über Nacht, ohne dass ein Irving Fisher einen Monat zuvor etwas ahnte und ohne dass wir uns das heutige Geschehen noch vor einem Jahr ausmalen konnten.
Diese Unfähigkeit, den plötzlichen Sturz in den Abgrund vorherzusehen, hängt mit einem überaus flüchtigen Gut zusammen: dem Vertrauen. In der Realwirtschaft sind wir beim Austausch von Leistungen gegen Leistung auf Vertrauen nicht sonderlich angewiesen. Es verteilt sich sozusagen gleichmäßig auf Millionen von Menschen. Wenn jeder seine tägliche Arbeit halbwegs zuverlässig verrichtet, sind immer genügend Bäcker, Installateure oder Handyanbieter vorhanden, um die Funktionsfähigkeit der Realwirtschaft sicher zu stellen. Ein plötzlicher Vertrauensschwund, der die Realwirtschaft zum Kollaps bringen könnte, ist praktisch nicht vorstellbar. Anders in der finanzwirtschaftlichen Sphäre. Hier fällt dem Vertrauen eine so dominierende Rolle zu, dass seine Erschütterung unabsehbare Folgen hat. Wenn der Finanzwirtschaft das Vertrauen abhanden kommt, ist das die denkbar größte Katastrophe, und zwar für die Realwirtschaft mit Millionen von arbeitenden Menschen.
Denn hier, an diesem Punkt, macht es sich unmittelbar bemerkbar, dass das Verhältnis von Finanz- zu Realwirtschaft die gefährliche Konstruktion eines Pyramidenspiels aufweist. Wir wissen, das bei einem Kettenspiel nur einer der Spieler laut ausrufen muss: „Ich traue dem Ganzen nicht, ich möchte meinen Einsatz zurück“ – schon kann das dazu führen, dass bei allen Spielern das Vertrauen schlagartig erschüttert wird. Dann reißt die Kette, außer den ersten Spielern haben alle anderen ihren Einsatz verloren. Genau dieser Gefahr ist die Realwirtschaft durch die großen Vermögensbesitzer ausgeliefert. Jahr um Jahr pumpen diese ihre Einsätze über Banken und Börsen in die Wirtschaft. Dort verschwinden sie dann aber auf Nimmerwiedersehen: Das auf Banken oder in Aktien gebunkerte Geld verwandelt sich augenblicklich in Gebäude, Anlagen, Rathäuser, Brücken etc. Das Spiel funktioniert, aber es funktioniert nur solange, wie die Spieler unbedingtes Vertrauen haben, dass die materiellen Anlagen, in die sich ihr Geld verwandelt, nun ihrerseits Geld erzeugen, Geld in Höhe des von ihnen eingesetzten Kapitals, vermehrt um einen ausreichenden Profit. Denn der Sinn dieses Spiels besteht für das Finanzkapital ja einzig und allein darin, aus Geld noch mehr Geld zu machen. Wie gesagt, das Spiel funktioniert genau so lange, wie die Geldbesitzer fest darauf vertrauen, dass die arbeitende Bevölkerung ihren Erwartungen entspricht. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie dazu imstande ist, wird allerdings bei zunehmender Belastung immer geringer. Wenn schon ein Drittel des verfügbaren Haushaltseinkommens aus der Realwirtschaft für leistungslose Einkommen abgeschöpft wird, dann ist sehr schnell der Punkt erreicht, wo die arbeitende Bevölkerung die Last nicht länger zu tragen vermag. Die einen – eine Minderheit – schwimmt im Geld, die anderen haben immer weniger im Portemonnaie. Zu diesen anderen gehört nicht nur die Bevölkerungsmehrheit, sondern ebenso die völlig überschuldeten Gemeinden und ein Staat, der überall sparen muss, angefangen bei den Universitäten bis zu den Pensionen und dem Gesundheitssystem.
In diesem Stadium, wo der Widerspruch zwischen einem auf Wenige beschränkten übermäßigen Reichtum und einer Verarmung der Mehrheit, sich immer mehr zuspitzt, treten typische Fehlentwicklungen ein: die ersten deutlichen Anzeichen für den bevorstehenden Vertrauensschwund und den darauf folgenden Kollaps. Ich sage typisch, weil sie sich 1929 genauso ereignet haben wie bei uns in den vergangenen Jahren. Kurz vor dem Einsturz der Pyramide türmen sich die Guthaben der reichsten zehn Prozent zu einem gigantischen Berg. Nun wird das im Überfluss vorhandene Geld allen, die nur irgendwie kreditwürdig erscheinen, von den Banken aufgedrängt, aufgeschwatzt und manchmal geradezu nachgeworfen. Damals, vor 1929, überschwemmte man den Markt mit Konsumentendarlehen, nach 2000 sowohl damit wie – speziell in Amerika – mit Unmengen an Hypothekenkrediten. Das ist ein deutliches Zeichen, dass die Realwirtschaft das in Unmengen vorhandene und überall nach Anlagen suchende Geld des Finanzkapitals nicht länger zu absorbieren vermag.
Dabei ist die Realwirtschaft – man muss es nochmals betonen – an sich völlig gesund. Die Betriebe funktionieren wie immer, auch wenn die Menschen aufgrund der ihnen aufgebürdeten Last mit jedem Jahr hektischer, gestresster und prekärer als zuvor arbeiten müssen. Die Realwirtschaft ächzt zwar, aber sie steht. Es sind diejenigen, die das leistungslose Einkommen der Anlegerrenditen kassieren, diejenigen also, welche die Kuh »Realwirtschaft« rücksichtslos melken, die ihr nun den Todesstoß geben. Ihre Guthaben sind in der Realwirtschaft eingefroren, es genügt, dass irgendwo ein paar faule Kredite auftauchen – nur etwa zehn Prozent der amerikanischen Hypothekenkredite sind faul – um in ihnen den Verdacht zu erwecken, dass ihre Einsätze verloren sein könnten. Der geringfügigste Anlass genügt jetzt, um das System zu erschüttern. Einer schreit laut: „Unsere Kredite sind verloren“. Das genügt, um das Vertrauen aller anderen Geldgeber zu erschüttern. Sie werden von Panik erfasst. Alles Geld, das sie noch retten können, ziehen sie von Banken und Börsen ab, bzw. lassen kein neues Geld nachströmen. Stattdessen wandeln sie es in dauerhafte Realwerte um (Gold, Öl, Getreide etc.) oder lassen es wie 1929 in Tresoren verschwinden.
Das ist der GAU. Mit dem Kreislauf des Geldes bricht auch der Kreislauf der Güter zusammen. Wenn Staat und Notenbank jetzt untätig bleiben, kommt es zur Deflation: Das Geld wird aus dem Kreislauf gesogen wie in den USA nach 1929 und in Japan in den neunziger Jahren. Greift der Staat aber als letzter Nothelfer ein, um sich der Angst der Plutokraten vor dem Vermögensverlust entgegenzustemmen, so kann er damit zwar vorübergehend neue Kursfeuerwerke entfachen, auf längere Sicht trägt er aber seinerseits zur Vermehrung des Schadens bei, weil der Geldtransfer von unten nach oben jetzt mit Steuergeldern noch zusätzlich aufrechterhalten und die Last auf der Realwirtschaft weiter vermehrt wird. Und natürlich bleibt der Schaden genauso groß, wenn nicht die Steuerzahler bezahlen, sondern die Notenpresse zu rotieren beginnt. Dann werden alle enteignet: kleine wie große Einkommensbezieher und Sparer, aber die kleinen ungleich mehr als die großen: Die Hälfte eines großen Vermögens oder Einkommens durch Inflation zu verlieren, lässt sich verschmerzen. Wer dagegen ein Subsistenzeinkommen besitzt, der geht an einer solchen Entwertung zugrunde.
Die Verstaatlichung der Banken bietet keinen Ausweg aus der Krise. Diese lässt nur eine einzige Lösung zu: den Reset: Die übermäßigen Guthaben = Schulden müssen verbrannt und vernichtet werden. Genau dieses Szenario spielt sich gegenwärtig vor unseren Augen ab. Ungeheure Vermögenswerte werden vernichtet, genauer gesagt, in unproduktiven Anlagen vergeudet. Das Drama könnte uns gleichgültig sein, wenn dabei nur die großen Vermögen ein tragisches Ende nähmen, aber nebenbei wird dabei auch die Realwirtschaft in den Abgrund gerissen und mit ihr jene arbeitende Mehrheit, die an diesem Unglück zwar völlig unschuldig ist aber immer zum eigentlichen Opfer jeder Finanzkrise wird.