Welcher Liga gehört Herr Christoph Steskal an? Betrachtungen über einen Lektor des Propyläenverlags

Einem Spitz verzeiht man, dass er hin und wieder die Statuen großer Männer anpinkelt, das liegt nun einmal in der Natur dieser Tiere, aber wenn er den Mond anbellt, dann begreift jeder, dass sich der Winzling an einem zu hohen Ziel vergreift. Hör auf, rufen wir dem kleinen Kerl zu. Der Mond geht dich nichts an. Das ist nicht deine Liga!

Man hat es mir keineswegs übelgenommen, ja, ich vermochte Topexperten wie Bert Rürup und Gerhard Scherhorn – beide „Wirtschaftsweise“ – mit Büchern wie „Die Arbeitslose Gesellschaft“ und „Das Pyramidenspiel“ auf Anhieb zu überzeugen. Aber nun – ja nun bedroht mich offensichtlich der Größenwahn – vielleicht eine atypische Alterserscheinung?

Wissen Sie denn überhaupt, in welcher Liga Sie da mitspielen?“, empörte sich Herr Dr. Steskal vom Propyläenverlag, als ich ihn fernmündlich über mein Manuskript „Auf der Suche nach Sinn und Ziel der Geschichte“ befragte. Nein, die Liga hatte ich nicht bedacht. Die entscheidende Frage, so war ich eigentlich überzeugt, hätte für einen Lektor doch lauten müssen, ob das Buch sachkundig und lesbar geschrieben, gut recherchiert, in den Thesen überzeugend und einem gebildeten Publikum zumutbar sei. Auf die Lesbarkeit scheint so ziemlich Verlass zu sein. Meinhard Miegel, der selbst mit so bildhafter Eindringlichkeit zu schreiben versteht, attestiert mir in freundlicher Übertreibung einen „brillanten Stil“. Alfred McCoy, ein bekannter amerikanischer Historiker, sprach von „well written“, nachdem er die letzten zehn Seiten meiner englischen(!) Übersetzung des Buches gelesen hatte. Herr Steskal denkt darüber offenbar anders. Breitbeinig pflanzt er sich vor dem Walhalla der vermeintlichen Götter seines Verlages auf, um mir den weiteren Zugang in das Heiligtum zu verwehren. Seiner Meinung nach hatte ich mich in der Liga vergriffen.

Von seinem Standpunkt aus betrachtet hat der Mann sogar recht. Hätte er sich nämlich dazu entschlossen, nicht mich, sondern die Sache selbst zu bewerten, also Sachkunde, Lesbarkeit, Überzeugungskraft und die Aufnahme durch ein gebildetes Publikum zu bewerten, dann wäre er dabei auf  die eigene Urteilskraft und  den eigenen Verstand angewiesen. Mit anderen Worten, er selbst würde Risiko und Verantwortung tragen. So viel Charakterstärke ist aber ein eher seltenes Phänomen. Da geht man lieber auf Nummer sicher: Trägt ein Sachbuchautor einen Professorentitel oder ist er gar in einem renommierten Institut verankert, dann ist der Lektor jedenfalls aus dem Schneider: Seine Hände kann er in Unschuld waschen. Nach der Liga braucht er dann gar nicht zu fragen. Soviel Mittelmaß das von ihm verlegte Buch auch besitzen mag: Die Verantwortung trägt nicht der Lektor, die tragen Autor, Institut und Titel.

Hätten Sie sich die Mühe gemacht, sehr geehrter Herr Steskal, das Manuskript aufmerksam zu lesen, dann wäre Ihnen sofort aufgefallen, dass diese historisch-soziologische Expedition in die Geschichte von Sammler-Jägern bis zu den heutigen Supermächten zunächst einmal ein Kompendium ist, das einige der wichtigsten und faszinierendsten wissenschaftlichen Erkenntnisse der vergangenen Jahrzehnte zusammenfasst. Ich weiß nicht, wie groß ihr historischer Wissensstand ist, aber sicher nicht von so überragender Weite, dass Ihnen diese Erkenntnisse sämtlich bekannt sein könnten: Ich habe sie immerhin aus den Werken von Dutzenden zeitgenössischen Autoritäten geschöpft. Schon deswegen hätte sich eine sorgfältige Lektüre möglicherweise auch für Sie persönlich gelohnt.

Nein, sagen Sie jetzt bitte nicht, dass eine solche Zusammenfassung – horribile dictu – nichts als Populärwissenschaft sei, der man in Ihrem Verlag keinen Platz einräumen wolle. Sie wären froh, Herr Steskal, einen Mann wie Yuval Noah Harari unter ihre Autoren zählen zu dürfen, den man sicher als genialen Kompilator bezeichnen könnte. Es kommt darauf an, was ein Autor aus den unzähligen Anregungen und Fakten macht, die er zu einem Buch gestaltet. In meinem Fall sind es vor allem gewisse grundlegende Gedanken Max Webers, die der Arbeit ihre besondere Richtung und vielleicht auch ihre Bedeutung geben. Obwohl die neuere anthropologische, historische und wirtschaftswissenschaftliche Forschung weitgehend angelsächsischer Provenienz ist und Deutschland sich nicht nur politisch, sondern auch in intellektueller Hinsicht in die Rolle eines Satelliten abdrängen ließ, sind die großen Gedanken dieses Mannes immer noch richtungsweisend. Jedenfalls haben sie auf dieses Buch einen maßgeblichen Einfluss ausgeübt.

Wie kann jemand größenwahnsinnig werden, sich in der Liga irren, wenn er über Sapiens schreibt, dessen Größe so zweifelhaft ist, weil er nur selten Engel war, viel öfter dagegen ein Teufel? Selbstbewusst bin ich trotzdem, weil ich auf etwas gestoßen bin, das eine Perspektive der Hoffnung öffnet: Selbst in der Rolle des Teufels hat der Mensch immer noch ein Gewissen, ja gerade dann äußert sich dieses mit erkennbarer Evidenz. Schon den frühesten historischen Zeugnissen ist zu entnehmen, dass Menschen gerade für die grausamsten Taten vor sich selbst und anderen nach Rechtfertigung suchen. Eine Geschichte der moralischen Rechtfertigung ist aber bisher noch nicht geschrieben worden. Hier liegt einer der Angelpunkte meiner Arbeit – ich nehme an, dass Sie, Herr Steskal, diese Wahrheit schlicht übersehen haben. Dennoch ist gerade sie überaus wichtig, liefert sie doch den empirischen Beweis, dass Sapiens seit mindestens 50 000 Jahren nicht nur in seiner genetischen Ausstattung von damals bis heute derselbe geblieben ist, sondern eben auch in moralischer Hinsicht.

Diese historisch bezeugte Identität leitet dann über zu unserer Gegenwart und in die Zukunft. Ist es vermessen, das Ziel der Geschichte so zu sehen wie Immanuel Kant, H. G. Wells, Arnold Toynbee, Bertrand Russell, Albert Einstein? Bin ich Ihrer Meinung nach nicht befugt, deren Überzeugungen zu übernehmen?

Sehr geehrter Herr Steskal, ein Autor – vermutlich jeder Autor – neigt zur Überschätzung seiner selbst und seiner Leistungen. Insofern gelingt es wohl kaum einem von ihnen, bis in die Liga aufzurücken, wo er sich selbst gern sehen würde, aber ein Lektor, der danach strebt, auf Nummer sicher zu gehen – also nicht nach der Sache fragt, sondern nach den Referenzen des Autors – wird mit Sicherheit selbst immer nur dem Mittelmaß zugehören. Um es in Ihren Worten zu sagen, „Sinn und Ziel“ fiel nicht in Ihre Liga. Denn da hätten Sie mitdenken, mitwissen, verantwortlich entscheiden müssen. Das aber liegt offensichtlich nicht in Ihrer Natur.

(Das deutsches Original meines Buches liegt jetzt bei einem anderen Verlag, aber die englische Übersetzung ist – zeitweilig zumindest – über das Netz verfügbar:  “In Search of Meaning and Purpose in History„.http://www.gerojenner.com/mfilesm/MandP.pdf))