Unerträgliche Wahrheit: Menschenflut

Eine von jenen Wahrheiten, welche offenbar als so unerträglich empfunden werden, dass man sie mit aller Kraft verdrängt, verschweigt, wenn nicht rundheraus leugnet, ist den Experten seit zweihundert Jahren bekannt. Der geweihte Priester und Ökonom Thomas R. Malthus hatte sie Ende des 18. Jahrhunderts theoretisch begründet. Die Menschen, so sagte er, vermehren sich in geometrischer Progression, während die Nahrungserzeugung allenfalls arithmetisch wächst. Anders gesagt, sei unsere Art biologisch so überaus erfolgreich, dass sie sich weit über die Tragfähigkeit des Globus hinaus vermehre. Schon damals erkannte Malthus, dass hier ein grundlegendes Problem bestand. Was er zu seiner Zeit noch nicht sehen konnte, war die Fähigkeit der auf ihn folgenden Generationen, dieses Problem auf vorläufige Weise zu lösen. Heute, zu Beginn des dritten Jahrtausends, ernährt der Globus sieben Mal so viele Menschen wie zur Zeit, als Malthus seine beklemmende Lehre verkündete.*1*

Bis heute nicht widerlegt

Das sieht nach einer Widerlegung aus, aber dieser Schluss erweist sich als voreilig. Die Menschenflut von sieben Milliarden vermag der Globus nur deshalb heute noch zu ernähren, weil gegen Ende des 18. Jahrhunderts Verfahren entwickelt wurden, um die erneuerbaren Ressourcen, die einzigen, die man bis dahin nutzte, um gespeicherte zu erweitern – anders gesagt, um den Globus erbarmungslos auszuquetschen. Die seit Äonen von der Sonne im Inneren des Planeten akkumulierten Energiereserven werden seitdem in zunehmendem Tempo verbraucht. Wir leben von Nahrungsmitteln, deren Erzeugung weit mehr an energetischem Input verlangt als wir anschließend an energetischem Output aus ihnen beziehen. Anders gesagt, essen wir Öl – eine auf Dauer unhaltbare Situation. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte lebt die Menschheit von nicht-erneuerbaren Reserven, die sie in absehbarer Zukunft aufgezehrt haben wird. Selbst auf das Grundnahrungsmittel schlechthin: auf das Wasser, trifft diese pessimistische Vorhersage zu. Ja, sie gilt selbst für das Wasser in einem nach eigener Einschätzung wirtschaftlich vorbildlich organisierten Land wie der Bundesrepublik Deutschland. Die unter der Erde befindlichen Süßwasserreserven sind auch dort schon seit Jahren angezapft und gehen in beängstigendem Ausmaß zur Neige. Die Menschenflut, die sich nach Angabe der Demographen bis Ende dieses Jahrhunderts bis auf neun, im schlechtesten Fall bis auf fünfzehn Milliarden vermehrt haben wird, unterspült das sie tragende Fundament, indem sie die eigene Versorgungsbasis aus nicht-erneuerbaren Grundstoffen wie Energie, Wasser und vielen anderen unbekümmert verbraucht. „If everyone consumed resources at the US level – which is what the world aspires to – you will need another four or five Earths. We are wrecking our planet’s life support systems.“ Paul R. Ehrlich, 2017[143]

Sagt es nicht sehr viel aus über die zur Gewohnheit gewordene Kunst der Verdrängung, dass über diese größte Gefahr außer wenigen Experten kaum jemand redet?

Protest der politisch Korrekten: Warum soll man darüber reden und sich unnötig verängstigen lassen? Das ist doch nichts als Panikmache, mit der uns die unverbesserlichen Untergangspropheten und selbsternannten Experten die gute Laune verderben wollen! Der Mensch hat noch immer die richtigen Erfindungen zur richtigen Zeit gemacht. Ein epochaler Durchbruch zur Kernfusion steht unmittelbar bevor. Dann werden wir unbegrenzt über Energie verfügen; Süßwasser gewinnen wir aus dem Meer durch Entsalzung. Das sind doch alles nur technische Probleme, die wir rechtzeitig lösen werden.*2*

Verteilung spielt eine Nebenrolle

Schon jetzt wird die Weltbevölkerung von sieben Milliarden nur halbwegs ernährt: Einige wenige leben in phantastischem Überfluss; die meisten fristen ein Leben voller Entbehrungen; Millionen von Menschen sterben jährlich an Hunger. Hunger und Elend werden gerne der Politik und dem nationalen Eigennutz in die Schuhe geschoben. Es ist dann von Verteilungsproblemen die Rede. Aber das ist bestenfalls die Hälfte der Wahrheit. Zweifellos könnte es eine viel gerechtere Verteilung in dem elementaren Sinne geben, dass man die vorhandenen Ressourcen gleichmäßig an alle Menschen verteilt. Vorläufig wäre das Lebensminimum dann erst einmal für alle gesichert – aber eben nur vorläufig, das grundsätzliche Problem wäre dadurch keinesfalls aus der Welt geschafft. Denn die seit zweihundert Jahren exponentiell angestiegene Menschenflut wird schon seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts nicht länger nachhaltig, d.h. aus erneuerbaren Quellen, ernährt. In Deutschland müsste man, um auf nachhaltige Art zu leben, über drei Planeten verfügen, in den USA würde man sogar sechs von ihnen benötigen. Solche Angaben muss man nicht wörtlich nehmen. Sie unterliegen einer gewissen Schwankungsbreite, aber die Gefährdung selbst ist unumstritten und besteht selbst dann, wenn wir nur mehr verbrauchen als dieser eine Planet hergibt, mit dem wir auskommen müssen.

Der Neoliberalismus trägt einmal keine Schuld!

Das ökonomisch-politische System spielt im Vergleich zur Hauptursache, nämlich der Übervölkerung, eine Nebenrolle. Es ist wichtig, diesen Punkt besonders hervorzuheben, weil die übliche Kritik beinahe immer hier ansetzt, nämlich am falschen „System“. Sicher könnte eine Aufkündigung der neoliberalen Wirtschaftspolitik die schroffen Gegensätze zwischen Arm und Reich wesentlich mildern, dennoch bliebe das eigentliche Problem durch eine solche Reform weitgehend unberührt. Die Erde als Nahrungsbasis macht sich leider nichts daraus, wie Menschen sich organisieren. Ausschlaggebend ist, dass diese ihr in jeder möglichen Form der Organisation wesentlich mehr an Ressourcen entnehmen als sie herzugeben vermag – noch dazu, wenn der opulente Lebensstandard, wie ihn vorerst nur die Länder des Westens genießen, von allen sieben Milliarden Menschen erreicht werden soll. Wie man es auch dreht oder wendet: Das eigentliche Problem besteht in einem sich seit zweihundert Jahren zuspitzenden Missverhältnis zwischen Menschenzahl und Ernährungsbasis. Zu diesem Schluss gelangt jedenfalls eine Studie des United Nations Environment Programme (UNEP) called the Global Environment Outlook[163] which involved 1,400 scientists and took five years to prepare … It „found that human consumption had far outstripped available resources. Each person on Earth now requires a third more land to supply his or her needs than the planet can supply.“

Protest der politisch Korrekten – sehr laut zu hören, da er zur gleichen Zeit von zwei einander entgegensetzten Seiten erfolgt: einerseits von den Religiös-Konservativen und andererseits aus dem Lager der Linken. Religiös-konservative Kreise wollen auf keinen Fall akzeptieren, dass der Liebe Gott etwas falsch gemacht haben könnte, als er seinen Geschöpfen – den Tieren ohnehin, aber eben auch dem Menschen – den natürlichen Drang einpflanzte, sich nach Kräften zu vermehren. Eine Geburtenbeschränkung kommt für sie nicht in Frage, denn ihrer Meinung nach kann es nur die Schuld der Geschöpfe selber sein, in erster Linie falsche Verteilung, welche zu Armut und Hunger führt. Die Linken argumentieren nahezu identisch, nur dass sie den grundsätzlich wohlmeinenden Lieben Gott durch einen erleuchteten Sozialingenieur ersetzen. Dieser brauche nur Schluss mit dem Kapitalismus, dem Neoliberalismus und ähnlichen Verirrungen zu machen, dann würden sich alle Probleme von selbst in Nichts auflösen.

Migration von den armen zu den wohlhabenden Ländern

Wohlstand ist auf der Erde ungleich verteilt, das ist eine der Hauptursachen der Migration. Not veranlasst die Armen, ihre Heimat aufzugeben, um das Glück dort zu suchen, wo sie sich ein besseres Leben erhoffen. Migration hat es zu allen Zeiten gegeben, oft ganze Völkerwanderungen, weil Kriege, aber auch Naturkatastrophen wie Missernten, Seuchen oder starke Geburtenüberschüsse im eigenen Land dazu Anlass gaben – oft aber auch nur die Gier nach den Schätzen der reichen Nachbarn. Meist waren Kriege die Folge, in denen die Zuwanderer entweder von der ansässigen Bevölkerung besiegt worden sind – wie lange Zeit die einfallenden Germanen von der Weltmacht Rom – oder umgekehrt die Einwanderer die heimische Bevölkerung besiegten (wie zum Beispiel die Spartaner, welche die im Peloponnes heimischen Heloten praktisch zu ihren Sklaven machte; ebenso gingen die Turkstämme in der heutigen Türkei oder die Normannen in England mit der heimischen Bevölkerung um – sowie unzählige andere mehr. Siehe „Population Pressure and War“ von Bertrand Russell).

Der Sog des Vakuums auf Migranten

Rom vermochte sich lange Zeit dem Ansturm gegenüber mit Waffengewalt zu behaupten – auf dem Höhepunkt seiner Macht war es ein expandierender Staat -, auf Dauer aber war die zerbröckelnde Weltmacht zu solcher Abwehr nicht in der Lage. Im fünften Jahrhundert ging der Gigant an einem inneren Vakuum zugrunde, das man zugleich als biologisch und geistig bezeichnen muss. Längst vor dem fünften Jahrhundert, dem seines endgültigen Untergangs, war Italien zu einer kinderarmen, schrumpfenden Nation geworden, die schon aus diesem Grund über immer weniger Soldaten verfügte.

Dieses biologische Vakuum hatte überdies noch ein geistiges Pendant: Es war die soziale Frage, welche die Vorstellung von der Einzigartigkeit und dem Vorrang der römischen Nation in den Köpfen ausgehöhlt hatte. Die große Mehrheit von Italiens Bürgern war heillos verarmt, nur eine verschwindende Minderheit aus wenigen großen Familien vermochte weiterhin ein Leben in Saus und Braus zu führen. Für die Verteidigung einer solchen Plutokratie, die von der Mehrheit als schreiend ungerecht abgelehnt wurde, ließen sich immer weniger Menschen mobilisieren.

Europa als demographisches Vorbild

All das kommt uns irgendwie bekannt vor, dennoch gibt es einen gravierenden Unterschied. Westliche Nationen erreichten eine Beschränkung der Geburten auf doppelte Weise: physiologisch durch Verhütung und staatlich durch ein obligates Rentensystem, welches die Altersversorgung von der Fürsorge durch den eigenen Nachwuchs befreite. Der Staat übernahm die Versorgung des Alters, die bisher immer Aufgabe der eigenen Kinder gewesen war: Kinder, je mehr desto besser, denn in traditionellen Gesellschaften boten sie den einzigen Schutz gegen Armut und Verwahrlosung im Alter. Unter vielen Kindern gab es dann vielleicht eines, auf das man sich später verlassen konnte.

Die staatliche Altersversorgung, eine Erfindung Europas, bedeutete demgegenüber eine revolutionäre Neuerung, einzigartig in der ganzen bisherigen Geschichte. Aufgrund dieses vom Staat übernommenen Schutzes gelang es modernen westlichen Staaten, ihre Bevölkerungszahl erstmals wieder zu reduzieren – angesichts des verlorenen Gleichgewichts zwischen Bevölkerung und erneuerbarer Ernährungsbasis ein richtungsweisendes Zeichen von Fortschritt und ökologischer Mündigkeit.

Protest der politisch Korrekten: Fortschritt? Der Mensch hat ja keine Ahnung wovon er redet. Weiß der denn nicht, dass wir uns durch den Bevölkerungsschwund ein Rentenproblem eingehandelt haben, weil immer weniger Beschäftigte eine immer größere Zahl von Rentnern erhalten müssen? Was kümmert die Politiker das Schicksal des Globus in fünfzig Jahren? Die müssen die Bedürfnisse der Alten heute und hier befriedigen. So ticken Politiker nun einmal. Die Sorge um den Globus ist doch reines Idealistengewäsch!

In Europa gibt es noch Platz, da müssen wir hin!

In Rom hatte das geistige und biologische Vakuum die Eroberung Italiens durch die Germanen zur Folge. In den reichen Staaten des Westens hat die schwindende Kinderzahl eine ähnliche Nebenwirkung erzielt, nämlich ein demographisches Vakuum mit gewaltiger Anziehungskraft auf Einwanderer aus den weniger begüterten Teilen der Welt. Europa ist heute das neue Rom in geistiger wie in biologischer Hinsicht. Die Auswirkungen könnten in unserer Zeit sogar noch ominöser sein.

Denn die Signalwirkung einer vernünftigen Bevölkerungspolitik droht in ihr Gegenteil umzuschlagen. Aus der Botschaft: „Macht es wie wir, betreibt eine Politik von maximal ein bis zwei Kindern, um den Globus auch noch für künftige Generationen zu retten!“ wird ein Signal ganz anderer Art: „In Europa gibt es noch Platz, da müssen wir hin!“ Wenn die Europäische Union nichts dagegen unternimmt, dann wird Migration dafür sorgen, dass die Menschenfluten aus der übrigen Welt, wo man sich gegen die Altersarmut weiterhin durch eine Vielzahl von Kindern wehrt, allen Fortschritt bei uns wieder rückgängig und zunichte macht.

Protest der politisch Korrekten: Was ist denn das für ein zynisches Geschwätz? Wenn Not herrscht, dann gibt es nur eins: Wir müssen helfen, alles andere braucht und darf uns nicht interessieren! Da spricht doch ein verkappter Rechter, der sich mit einem linken Mäntelchen tarnt. Der will die Einwanderung beschränken, das ist in Wahrheit ein Fremdenhasser!

Das verlorene Gleichgewicht

Es droht noch mehr als nur die Aufhebung eines schon ermöglichten Fortschritts. Die staatliche Alterssicherung, wie das reiche Europa sie sich gerade noch halbwegs zu leisten vermag, wird es für einen Großteil der Weltbevölkerung aufgrund schrumpfender Ressourcen gar nicht mehr geben (auch bei uns wird sie für die jüngere Generation bereits deutlich beschnitten). In vielen Staaten der Welt – vor allem in Afrika, Zentralasien und Südamerika – wird eine Vielzahl von Kindern daher weiterhin den einzigen Schutz gegen Armut im Alter bilden. Gerade diese Länder sind aber am wenigsten in der Lage, der Menschenflut menschenwürdige Perspektiven zu bieten – nicht einmal eine ausreichende Ernährung ist garantiert. Daraus ergeben sich zwangsläufig zwei gleich bedrohliche Folgen, die man ungern bei Namen nennt, die zu verschweigen aber unverantwortlich ist.

Einerseits wird die Natur sich auf ihre eigene, sehr grausame Weise zu helfen wissen. Ständige Bürgerkriege wie jetzt schon im Nahen Osten, Bürgerkriege, denen Millionen Menschen zum Opfer fallen, ersetzen die Unfähigkeit des Menschen zu eigener vernünftiger Planung. Mögen die äußeren Anlässe zu solchen Kriegen ideologischer, politischer, sozialer Art sein – die tiefer liegenden Ursachen sind der Mangel an Wasser und Nahrung oder schlicht die fehlende Aussicht für einen Großteil der Jugend, im eigenen Land jemals ein menschenwürdiges Leben zu führen (Gunnar Heinsohn hat diese Entwicklung in seinem Buch „Söhne und Weltmacht“ vorausgesehen).

Diese grausame Selbsthilfe der Natur beschreibt freilich nur eine von zwei Strategien. Im zweiten Fall ergreifen die betroffenen Menschen selbst die Initiative. Sie fliehen aus ihrer Heimat, gleichgültig ob man sie politisch verfolgt oder ob sie „nur“ verhungern. Die Unterscheidung von Kriegsverfolgten mit Asylanspruch und Wirtschaftsflüchtlingen ohne ein derartiges Recht ist deswegen so absurd, weil die meisten Kriege gerade dort entstehen, wo die Menschen ohne Aussicht auf Besserung ihrer wirtschaftlichen Lage mehr vegetieren als leben.

Das Resultat einer solchen Bevölkerungsverlagerung durch Migration ist offensichtlich: Alle vernünftige Bevölkerungsplanung zur Entlastung des Globus wird dadurch auch in den Ländern des Westens zunichte gemacht. Unbegrenzte Einwanderung – wie viele bei uns sie eine Zeitlang für unabwendbar oder sogar moralisch geboten hielten – würde die Gewalt einer Lawine entfalten, weil das globale Reservoir an hungernden Menschen oder solchen ohne Aussicht auf ein menschenwürdiges Leben im Vergleich zu dem Anteil derer, die in Wohlstand leben, schlechterdings unerschöpflich ist – solange jedenfalls wie es nicht gelingt, die demographische „Explosion“ einzudämmen.

Die unbegrenzte Einwanderung würde schnell dazu führen, dass die reichen Länder an Menschen ersticken und die Not vor ihrer Tür sie selbst heimsuchen wird. Für sie selbst wie für den Globus wäre damit absolut nichts gewonnen. Im Gegenteil: Der Anreiz für die ökologisch zwingende Geburtenbeschränkung würde auch in den reichen Staaten entfallen. Wenn sich die Menschenflut auch zu ihnen ergießt, ist das Aus des staatlichen Rentensystems besiegelt. Kein Politiker darf vor diesen Fakten die Augen schließen.

Protest der politisch Korrekten: Da spricht ein hässlicher Faktenhuber, der offenbar nicht begreift, dass der Mensch ein soziales Wesen ist, das sich seine Wirklichkeit selbst erschafft. Die sogenannten objektiven Fakten, das ganze Gerede von der demographischen Überlastung, das sind Scheinfakten, mit dem man unsere Freiheit beschneiden will. Wenn wir politisch richtig handeln, nämlich aus richtiger innerer Überzeugung, dann ergeben sich die Fakten von ganz allein, dann wird die Wirklichkeit so, wie wir sie wollen. Diesen Optimismus redet uns keiner aus!

Der Blick ins Jenseits, wenn das Diesseits heillos erscheint

Im späten römischen Kaiserreich herrschte Weltuntergangstimmung, die fortschreitende Verarmung der Massen, der schroffe Gegensatz der Interessen, welcher die Gesellschaft im Inneren spaltete – all dies schien unaufhaltsam. Die allgemeine Ratlosigkeit angesichts der Unmöglichkeit, die eigenen Institutionen grundlegend zu ändern, brachte immer mehr Menschen dazu, sich von der realen Wirklichkeit, vor allem der Politik, abzuwenden und alle Hoffnung in das Jenseits abseits der hässlichen Realität zu verlagern. Rat und Erlösung suchte man nicht mehr bei den eigenen Denkern und den Eliten – die verurteilte man als korrupt, falsch und ausbeuterisch -, sondern in exotischen Lehren, die von möglichst weither kommen mussten: von den Rändern des Reichs. Das waren der Mithras- und der Osiris-Kult oder eben das Christentum. Je fremder und exotischer desto besser! Was unterdessen mit dem Reich geschah, das einmal Mittelpunkt dieser Erde war, kümmerte die Menschen nicht mehr. Vermutlich sehnten viele von ihnen dessen Ende sogar heimlich herbei, weil der Hass gegen die bestehende Ordnung übermächtig geworden war. Wer konnte denn allen Ernstes noch Patriotismus für ein Land aufbringen, das, wie es hieß, so viele Verbrechen begangen hatte? Lebten die meisten Menschen nicht einzig für die Zwecke von Sünde und Macht, ohne an das zu denken, was wirklich zählte: also Gott und das Jenseits?

Die Fundamentalzweifel im späten Rom vor dem Untergang ihres Reichs

müssen heutigen Europäern wie ein Déjà-vue-Erlebnis erscheinen. Verdanken nicht auch wir unseren eigenen Reichtum der kriminellen Ausbeutung anderer Völker? Was ist denn dagegen einzuwenden, dass diese jetzt zu uns strömen und sich nehmen, was wir ihnen als Kolonialmächte früher stahlen oder ihnen das heutige Europa durch eine ungerechte Wirtschaftsordnung auch heute noch raubt? Die Geschichte der westlichen Nationen, aber auch die der Union als einer Wirtschaftsmacht, erscheint auch in Europa vielen Menschen wie eine Abfolge von Verbrechen, wo die Starken die Schwächeren rücksichtslos ausbeuten (dass die Schwachen untereinander exakt dieselbe Politik betreiben, wird dabei gerne verdrängt). Solche fundamentalen Selbstzweifel haben dazu geführt, dass immer mehr Menschen sich fragen, ob sie sich überhaupt noch für das eigene Land einsetzen sollen. Das Wort „Nation“ ist für sie beinahe zum Schimpfwort geworden, Europa, das einstige Ideal, ohnehin so gut wie verblasst.

Ist es unter diesen Umständen einer doppelten Schwächung

– geistig wie biologisch – wahrscheinlich, dass Europa einem Globus, der bis zum Rand vor Menschen überquillt, weiterhin mit gutem Beispiel voranzugehen vermag? Wird es den furchtbaren Mut aufbringen, sich gegen eine Migration zu wehren, die dieses Vorbild in Frage stellt? Man mache sich doch bitte nichts vor: Wir erleben gerade erst den Beginn dieses Ansturms, den Beginn der Kämpfe um versiegende Ressourcen. Statt abzunehmen, werden solche Kämpfe in Zukunft immer häufiger werden, weil die nicht-erneuerbaren Ressourcen global im Schwinden sind. In einem einzigen Land, nämlich in China, ist die Geburtenbeschränkung auch so gelungen – ohne Absicherung durch ein Rentensystem. Eine Diktatur hat sie per Dekret von oben verfügt. Das war ein harter im Vergleich zu dem sanften Weg, den das glückliche Europa beschreiten konnte. Die meisten anderen an Übervölkerung leidenden Staaten werden den chinesischen Weg einschlagen müssen, wenn sie verhindern wollen, dass die Grausamkeit der Natur an die Stelle sinnvoller menschlicher Planung tritt. Denn, wie Bertrand Russell schon vor einem halben Jahrhundert sagte: Of all the long-run problems that face the world, this problem of population is the most important and fundamental …

Protest der politisch Korrekten: Ist der Mann denn völlig wirklichkeitsblind? Wo sieht er bei uns die Landschaft vor Menschen überquellen? Es gibt doch kaum Kinder auf unseren Straßen, und die Alten sind sowieso unsichtbar, die sitzen in ihren Wohnsilos fest. Wenn ein Inder oder ein Chinese Deutschland besucht, gewinnt er den Eindruck, dass dieses Land unbesiedelt und menschenleer ist. Wir Deutschen könnten ohne Weiteres das Zehnfache an Menschen ansiedeln, 800 Millionen, erst dann würde es bei uns vielleicht annähernd so aussehen wie in Indien oder den Küstenregionen Chinas.

Migration ist keine Lösung,

weil die absolute Bevölkerungszahl, der subjektiv-intuitive Eindruck von der jeweiligen Siedlungsdichte, keinerlei Aussagekraft aufweist. Wüsten sind nahezu unbewohnt, in fruchtbaren Gebieten ballen sich die Menschen. Handelsmetropolen können auf kleinstem Raum Millionen beherbergen, während die sie ernährende Landschaft ringsum wie ausgestorben erscheint. Die industrielle Landwirtschaft arbeitet auch in Deutschland mit zunehmend weiträumigen, nahezu entvölkerten Flächen, aber genau da wird die Nahrung für die dichtbesiedelten Metropolen erzeugt. Was zählt, ist allein der gesamte Landschaftsverbrauch einer Bevölkerung bei gegebenem Lebensstandard. Der liegt in Deutschland oder den USA um ein Vielfaches höher als etwa in Indien. Trotz des Menschengewimmels, das jedem Besucher dort in die Augen springt, hat man in Indien noch vor einem halben Jahrhundert weniger als einen Planeten zum Überleben gebraucht – anders gesagt, kam das Land trotz einer überwältigend großen Bevölkerungszahl mit den dort vorhandenen erneuerbaren Ressourcen aus.

Europa wird sich entscheiden müssen!

Geht es weiterhin den Weg der ökologischen Vernunft, der notwendig auch einer der sozialen Reform sein muss, oder wird es den Weg der einstigen italischen Weltmacht einschlagen, den Weg des Zerfalls, den England mit seinem Austritt bereits vorprogrammiert? Der Zerfall ist, wie ich überzeugt bin, überhaupt nur noch abzuwehren, wenn es der Union gelänge, die Interessen der Bevölkerungsmehrheit gegen eine privilegierte Minderheit durchsetzen – wenn, anders gesagt, das moderne Europa einen anderen Weg einschlägt als den zur Plutokratie wie ihn das alte Rom beschritt ebenso wie die heutigen USA.

An diesem Punkt begegnen wir allerdings einer zweiten unerträglichen Wahrheit: dem Problem der Gerechtigkeit.

Protest der politisch Korrekten: Ein schlechter Artikel, der den Anschein erweckt, als gäbe es Probleme, denen der Mensch nicht gewachsen ist. Hoimar von Ditfurth hat in den achtziger Jahren ein ähnlich schlechtes Buch geschrieben: „So lasst uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen“. Von solchen Untergangsphantasien wollen wir nun wirklich nichts wissen !

1 Zu dem Zeitpunkt, als ich dies schrieb, hatte ich ‚Progress and Poverty‘, das Meisterwerk von Henry George, noch nicht gelesen: Es enthält eine vernichtende und weitgehend überzeugende Kritik an Malthus. Dennoch bleibt es ein Faktum, dass eine Bevölkerungszahl, die nur aufgrund von fossiler Energie möglich ihr heutiges Ausmaß erreichen konnte, den Globus heillos überlastet, wenn diese Quelle versiegt.

2 Die Verwirklichung einer praktisch unbegrenzten Versorgung mit Energie auf dem Wege der Kernfusion scheint real und liegt möglicherweise sogar in Reichweite. Sie wäre aber ein Danaergeschenk, denn alle übrigen nur in beschränkter Menge vorhandenen Stoffe, vor allem die Mineralien, werden dann in noch schnellerem Tempo verheizt.