Einwände des Steuerexperten Prof. Dr. Lorenz Jarass und meine Antwort

Mail vom 29.8.2014

Lieber Herr JENNER,

 

(1) Der Vorschlag einer progressiven Konsumbesteuerung zzgl. Ressourcenverbrauchsteuer kann quantitativ wie folgt beurteilt werden:

Ich gebe aus meinem im Herbst erscheinenden Buch das Steueraufkommen an:

Steueraufkommen in Preisen von 2010
[Mrd. €2010]
2010 2013 2016 Prognose
Mrd. €2010 Anteil am Gesamt-aufkommen Mrd. €2010 Anteil am Gesamt-aufkommen Mrd. €2010 Anteil am Gesamt-aufkommen
  (1) Einkommenbezogene Steuern 273 49% 318 51% 342 53%
  davon
(1.1) Lohnsteuer 169 30% 190 31% 204 32%
(1.2) Einkommensteuer 56 10% 68 11% 74 12%
(1.3) Körperschaftsteuer 13 2% 19 3% 21 3%
(1.4) Gewerbesteuer 36 6% 41 7% 43 7%
  (2) Vermögenbezogene Steuern 21 4% 24 4% 25 4%
  davon
(2.1) Grund- und Grunderwerbsteuer 17 3% 20 3% 21 3%
(2.2) Erbschaftsteuer 4 1% 4 1% 4 1%
  (3) Verbrauchbezogene Steuern 269 48% 276 45% 277 43%
  davon
(3.1) Umsatzsteuer 180 32% 186 30% 193 30%
(3.2) Energie- und Stromsteuern 46 8% 45 7% 42 6%
(3.3) Sonstige indirekte Steuern 43 8% 44 7% 42 6%
  (4) Gesamtaufkommen 563 100% 618 100% 644 100%
Z. (1.1), (1.2), (1.3): Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuer jeweils inkl. Solidaritätszuschlag.
Z. (1.1): Kassenmäßige Lohnsteuer zzgl. von den Arbeitgebern mit der Lohnsteuer verrechnetes Kindergeld
von jährlich 34 Mrd. € .
Z. (1.2): Veranlagte und nicht veranlagte Einkommensteuer zzgl. Abgeltungssteuer.
Z. (3.3): U.a. Tabaksteuer, Versicherungssteuer, Kraftfahrzeugsteuer.

(2) Wie Sie sehen, macht die Umsatzsteuer ca. 30% des gesamten Steueraufkommens aus, Energie- und Stromsteuern 7% und sonstige indirekte Steuern ebenfalls 7%. Die einkommenbezogenen Steueranteile sind etwas höher.

Wenn Sie also die einkommenbezogenen Steuern durch Verbrauchsteuern ersetzen wollen, müssen Sie die Verbrauchsteuersätze gut verdoppeln.

(3) Ihr System begünstigt enorm die Besitzenden (wollen Sie das?) und die hohen Einkommensbezieher, die nun keine progressive Einkommensteuer mehr bezahlen müssen, und eine (progressive) Verbrauchsteuer nur auf einen Teil ihrer Einkommen, da sie nur einen Teil ihrer laufenden Einkommen konsumieren. Bei den ganz Reichen sind das nur einige Prozent. Die Zeche bezahlt der normale Arbeitnehmer, der neben den Sozialabgaben (diese sind rund doppelt so hoch wie seine Lohnsteuerbelastung, s.u.) nun erheblich höhere Steuern bezahlen muss. Wenn Sie diesen Effekt über entsprechend hohe Progression bei der Konsumbesteuerung ausgleichen wollen, kommen Sie auf Steuersätze von deutlich über 100% bezogen auf den Nettowert.

(4) Zur Vermögensbesteuerung und zur Besteuerung von Kapitalerträgen sagen Sie gar nichts in Ihrem Buch?! Oder soll das auch entfallen?

(5) Ein sinnvolles Steuersystem besteht aus einfachen und schwer umgehbaren Besteuerungsmaßnahmen mit einer Reihe von Besteuerungsarten mit jeweils mäßigen Steuersätzen. Im Herbst erscheint mein neues Buch „Faire und effiziente Unternehmensbesteuerung“, in dem ich konkrete Vorschläge zur Unternehmensbesteuerung mache, die EU-rechtlich zulässig und rein national umsetzbar sind.

Herzlichst

Ihr L. JARASS

Meine Antwort vom gleichen Tag:

Lieber Herr Jarass,

lassen Sie mich mit Punkt 4) beginnen. Sie sagen da: „Zur Vermögensbesteuerung und zur Besteuerung von Kapitalerträgen sagen Sie gar nichts in Ihrem Buch?!“

Sie irren: Die Besteuerung der Kapitalerträge ist das Hauptthema meines Buches. Ich fordere eine Besteuerung von 100% (bei gleichzeitigem Inflationsausgleich für kleine Sparer). Nur so ist das Abdriften in eine die Demokratie zersetzende Privilegiengesellschaft zu verhindern, denn große Einkommensunterschiede können sich dann nicht über Generationen verfestigen (wie sie es tatsächlich tun – Piketty hat das in seinem jüngsten Buch eindringlich beschrieben). Im Gegensatz zu der von Ihnen unter Punkt 3) aufgestellten Vermutung besteht die Hauptforderung meines Buches darin, ein höheres Maß an sozialer und ökologischer Gerechtigkeit zu verwirklichen.

Vermögens- und Erbschaftssteuer sind heikler (deswegen gehe ich darauf in meinem Buch nicht ein), weil es im Sinne einer auf individueller Leistung begründeten Gesellschaft zwar eine unverzichtbare Forderung sein sollte, alles Einkommen, das nicht auf Leistung beruht (Kapitalerträge z.B.) wegzusteuern, aber keinen Sinn macht, die Leistung zu beschneiden – ich glaube in diesem Punkt sind wir uns einig.

Die Umsatzsteuer ist – wie schon der Name besagt – alles andere als eine echte Verbrauchssteuer, denn sie erlaubt keine steuerliche Regulierung des individuellen Konsums – von ökologisch sinnvoller Steuerung ganz zu schweigen. Darüber hinaus ist sie – wie Sie sicher zugeben werden – eine unsoziale Form der Besteuerung, da sie die Reichen schont und die Armen belastet.

Mit Vorsatz gehe ich auf das Grundgesetz und seine zwiespältige Haltung zum Eigentum ein. Dort wird ausdrücklich festgestellt, dass das Eigentum sozial verpflichte. Dieser Zusatz ist entscheidend und bestimmt meine Unterscheidung von ‚Sparen für den aufgeschobenen Konsum’ einerseits und ‚Machtsparen’ andererseits (womit Ihr Einwand unter 3) beantwortet ist). Das letztere steht im krassen Gegensatz zur Forderung der sozialen Verpflichtung des Eigentums. Es höhlt die Demokratie aus, und führt uns weiter und weiter in die Privilegiengesellschaft.

Mein Fazit: Ihr Horrorszenario von Steuersätzen deutlich über 100% trifft einfach nicht zu, sobald der ‚parasitäre Transfer’ von Kapitalerträgen beschnitten wird und wir die auf Leistung und Können begründete Marktwirtschaft wieder auf eine soziale, demokratische Basis stellen. Ihren unter Punkt 2) erhobenen Einwand kann ich daher nicht teilen.

Bei  5) bin ich voll und ganz auf Ihrer Seite: »Ein sinnvolles Steuersystem besteht aus einfachen und schwerumgehbaren Besteuerungsmaßnahmen.“

Mit herzlichen Grüßen nach Regensburg

Gero Jenner

In einer weiteren Stellungnahme machte Herr Prof. Jarass noch geltend, dass meine Reformvorschläge nur glaubwürdig seien, wenn ich sie mit konkreten Zahlen unterlegen würde. Dazu glaube ich in einem wichtigen Punkt in der Lage gewesen zu sein, nämlich im Hinblick auf die Quantifizierung des von mir so genannten „parasitären Transfers“, also dem Geldstrom von den unteren 90 zu den oberen 10%. Die zusätzliche Quantifizierung meiner Steuervorschläge ist mir nicht gelungen. Das wäre eine Lebens- und Sisyphusaufgabe, der ich mich leider nicht gewachsen fühle.