Jenner – Schmidt-Bleek

140622:

Am 22.06.2014 um 12:56 schrieb Friedrich Schmidt-Bleek <bio@schmidt-bleek.com>:

Sehr geehrter Herr Dr. Jenner,

über Ihr Schreiben, das über die Provence bei mir in Berlin gelandet ist, habe ich mich sehr gefreut. Ich verstehe leider als Chemiker nicht so schrecklich viel von fiskalischen Dingen. Überfluss zu besteuern, überlebensbestimmende Knappheiten aber nicht, kann systemisch wohl nicht richtig sein.

Ich bin fest davon überzeugt, dass eine grundlegende Finanzreform erforderlich ist, wenn die ökologische I n s t a b i l i t ä t nicht weiter zunehmen soll. Diese Reform wird nicht das einzige Instrument sein können, exzessiven Ressourcenverbrauch einzudämmen. Wenn aber der Markt in Zukunft seine theoretische Rolle in der Wirklichkeit spielen soll, ist sie unvermeidbar.

Die Frage ist wie, wo und wann?

Darüber möchte ich gerne mit Ihnen in Kontakt treten. Jede Hilfe ist mir sehr willkommen.

Mit freundlichen Grüßen

  1. Schmidt-Bleek

140630,1214:

Am 30.06.2014 um 12:14 schrieb Dr. Gero Jenner:

Sehr geehrter Herr Schmidt-Bleek,

ich würde meine eigenen Überlegungen zu einer Reform des gegenwärtigen Steuersystems nicht allzu ernst nehmen, würden die Hindernisse vor einer entschiedenen Wende zur Besteuerung des Verbrauchs (wie sie für die Entlastung der Arbeit ebenso notwendig ist wie für die Erhaltung der Umwelt) nicht auf ähnlichen Ursachen beruhen wie die konstante Konzentration der großen Vermögen. Ich bin kein Marxist, der die unteren neunzig Prozent der Bevölkerung idealisiert und die oberen zehn Prozent verteufelt. Als entschiedener Befürworter einer sozialen, demokratischen Marktwirtschaft, sehe ich nur, dass diese stets von innerer Auflösung gefährdet ist. Die Gleichheit der Chancen, ohne die sie nicht zu existieren vermag, ist leider der mathematisch unwahrscheinlichste Zustand – gerade das müssen wir jetzt wieder erfahren.

Ihr freundliches Interesse hat mir einen zusätzlichen Auftrieb gegeben, meine Gedanken noch einmal in aller Kürze und Prägnanz zusammenzufassen. Das neue Buch wird nicht mehr als hundert Seiten umfassen (fünfzig für den deutschen, weitere fünfzig für den englischen Text, denn ich möchte es in beiden Sprachen veröffentlichen). Wenn es Ihnen recht ist, werde ich Ihnen in den nächsten Tagen den Text in Form einer pdf-Datei zuschicken. Eine Reaktion von Ihrer Seite würde ich mich natürlich besonders freuen.

Mit freundlichen Grüßen aus Steiermark

Gero Jenner

140630,1244:

Am 30.06.2014 um 12:44 schrieb Friedrich Schmidt-Bleek <bio@schmidt-bleek.com>:

Sehr geehrter Herr Jenner,

gerne werde ich Ihren neuen Text ansehen und darauf reagieren. Das interessiert mich sehr. Angesichts des sehr großen Interesses der Presse an meinem neuen Buch GRÜNE LÜGEN (randomhouse) habe ich im Augenblick wenig Zeit für die Dinge, deren Priorität ich selbst bestimme.

Es könnte deshalb 1 − 2 Wochen dauern, bis ich mich zurückmelde.

Bitte schicken Sie mir Ihre Telefon Nummer. Meine ist +49 30 897 847 50 (Berlin).

Mit den besten Grüßen

fsb

140726:

Am 26.07.2014 um 08:31 schrieb Dr. Gero Jenner:

Sehr geehrter Herr Schmidt-Bleek,

mit einem auch über die Entfernung Berlin-Graz durchaus erkennbaren Lächeln haben Sie mich in unserem Gespräch als Steuerexperten bezeichnet – wohl wissend, dass ich es nicht bin; wozu ich noch anfügen möchte, dass ich es nie sein wollte.

Sie haben schon recht: Ein Naturwissenschaftler muss ein Experte sein oder er ist gar nichts, denn die Natur gibt uns ihre Gesetze vor. Wer behauptet, etwas von Umweltproblemen oder von Einsteins Relativitätstheorie zu wissen, ohne sich Jahre lang mit dem Thema beschäftigt zu haben, macht sich hoffnungslos lächerlich.

In den Humanwissenschaften tut man zwar ebenso gut daran, sich ein solides Wissen über den jeweils gewählten Gegenstand anzueignen – im Hinblick auf die vor mir beschriebenen Probleme bin ich damit seit mehr als zwanzig Jahren beschäftigt – dennoch gibt es einen grundlegenden Unterschied: Hier stehen Werte im Vordergrund. Eine Wirtschaftstheorie im Dienste der Anleger und großen Konzerne sieht völlig anders aus als eine, die das Wohl der Mehrheit im Auge hat. Ja, auch der Naturwissenschaftler, z.B. einer, der wie Sie über Umweltprobleme schreibt, wird schnell damit konfrontiert, dass er Werte in Betracht ziehen muss, sobald er seine wertfreien naturwissenschaftlichen Erkenntnisse aus den Büchern in die soziale Wirklichkeit verpflanzt.

Eine Sicht auf die Natur, welche die langfristigen Folgen von Wirtschaft und Wachstum berücksichtigt, ergibt eine völlig andere Strategie als das kurzfristige Profitinteresse der Aktionäre oder das ebenso kurzfristige Wahlinteresse einer Partei.

Über Werte in der Politik hat schon Max Weber ausführlich geredet. Darüber brauche ich Ihnen nichts zu sagen, aber daraus erklärt sich eben auch, warum ich mich keinesfalls schäme, sondern mich im Gegenteil mit ziemlichem Selbstvertrauen und großer Entschiedenheit über ein Gebiet verbreite, das andere als Experten für sich reklamieren. Der größte Teil dieser Experten, zumindest die tonangebenden unter ihnen – so sage ich es ziemlich unverblümt im letzten Kapitel meines Buches – steht im Dienste von Wertvorstellungen, die weder dem sozialen Frieden noch dem Frieden mit der Natur dienlich sind. Gegenüber dieser interessebedingten Blindheit gilt es, so meine ich, die Prinzipien wieder sichtbar zu machen, auf denen unser Handeln beruhen sollte. Im Grund verteidige ich – im Unterschied zu den meisten Experten und natürlich zu all jenen Radikalen, die in einer Zeit der Krise Hochkonjunktur genießen – nur die elementaren Grundsätze eines demokratischen, auf individuellem Können statt auf Privilegien begründeten Gemeinwesens.

„Sozialer Frieden und Frieden mit der Natur“ – das ist auch das Thema, mit dem ich mich in dem jetzt noch hinzugefügten dritten Kapitel über den Wachstumswahn beschäftige. Ich bin nicht sicher, ob es Ihren Beifall findet, denn hier stelle ich eine ernüchternde Behauptung auf. Der Frieden mit der Natur, so meine These, setzt den sozialen Frieden voraus – ich demonstriere das am Beispiel der Schulden, das wiederum aufs engste mit dem parasitären Transfer und deshalb mit jenem roten Faden verknüpft ist, der das Buch von Anfang bis Ende durchläuft. Schon aus methodischen Gründen werden Sie als Naturwissenschaftler eher geneigt sein, eine Ursache wie den falschen Umgang mit der Natur zunächst einmal isoliert zu betrachten. Ich hoffe dennoch, dass Sie den Zusammenhang einleuchtend finden, den ich zwischen der Umweltproblematik und der wirtschaftlich-sozialen Entwicklung – sprich der ‚ökonomischen Krankheit’ – beschreibe.

Auch die von Ihnen aufgeworfene Frage, was das Grundgesetz zu den vorgeschlagenen Maßnahmen sagen würde, hat mich beschäftigt, weil die Keule des Grundgesetzes so gern als Totschlaginstrument gegen alle ernsthaften Neuerungen geschwungen wird. Dazu nehme ich Stellung in Kapitel II, ‚Privateigentum – heilige Kuh oder wichtigstes Instrument im Dienst derökosozialen Marktwirtschaft?’

Aus Ihrer freundlichen Reaktion auf mein Schreiben glaube ich schließen zu dürfen, dass Sie mit meinen Vorstellungen sympathisieren, andererseits werden Sie sich mit Ihrem Kampf gegen die Gegner einer rationalen Umweltpolitik schon genug Feinde machen. Getrennt zu schlagen, auch wenn es sich letztlich um eine gemeinsame Sache handelt, wird daher sicher das Vernünftigste sein. Vielleicht schließt das Ihrerseits nicht aus, dass Sie meinem Buch eine größere Verbreitung wünschen, wie sie der Ludwig Verlag zweifellos zu bieten hat.

Mit freundlichen Grüßen nach Berlin

Gero Jenner

<The Economic Disease – Die Ökonomische Krankheit.pdf>

 

140729:

Am 29.07.2014 um 10:59 schrieb Friedrich Schmidt-Bleek <bio@schmidt-bleek.com>:

Lieber Her Jenner

Ihr Text hat mich sehr angenehm überrascht! Ich erlaube mir, im deutschen Text (hier beigefügt) einige Worte in ROT und einige erste Gedanken in BLAU beizufügen. Hervorhebungen sind von mir.

Der im Verlag zuständige Herr Fricke hat zugestimmt, Ihr Werk auf grundsätzlich zur Übernahme geeignet überprüfen zu wollen.

Bleiben Sie in Kontakt. Ich bin zuversichtlich interessiert, Ihre nächsten Schritte zu begleiten.

Die besten Grüße in die Steiermark!

Ihr fsb

 

140730:

Von: Dr. Gero Jenner info@gerojenner.com

Betreff: Herzlichen Dank!

Datum: 30. Juli 2014 15:33

An: Friedrich Schmidt-Bleek bio@schmidt-bleek.com

Lieber Herr Schmidt-Bleek,

haben Sie herzlichen Dank für Ihre sorgfältige Lektüre und die hilfreichen Anmerkungen, die ich inzwischen berücksichtigt oder auch direkt in den Text aufgenommen habe. An einer Stelle habe ich ausgerufen: „Sie Glücklicher“, dort nämlich, wo Sie mir Selbstvertrauen empfahlen. Vernunft hätte es doch nicht nötig, sich hinter Autoritäten zu verstecken!

Nein, an Selbstvertrauen fehlt es mir nicht – und solange die Fähigkeit zur Selbstkritik dabei nicht verkümmert, sehe ich darin sowenig einen Fehler wie Sie. Aber in diesem Fall verkennen Sie die Situation. Wenden Sie sich mit einem Buch an einen Verlag, dann bringen Sie nicht nur Ihren Namen als Wissenschaftler ein, sondern es steht ein renommiertes Institut in Ihrem Rücken. Sofern es für einen Lektor feststeht, dass die Thesen des Buches ein größeres Publikum interessieren, stellt er keine weiteren Fragen, sondern empfängt das Buch mit offenen Armen. Er riskiert dabei nichts, weil Name und Institut für die Seriosität des Angebots bürgen. Im meinem Fall ist es leider anders. Bei mir steht kein Institut im Rücken, der Lektor haftet daher selbst und das ist heute ein bedeutendes Risiko, denn Lektoren werden nach Erfolg eingestuft. Sie sitzen auf einem Schleudersitz.

Wenn ich Autoritäten wie die Wirtschaftsweisen Bert Rürup und Gerhard Scherhorn zitiere, dann weil ich den Lektor beeindrucken muss, der sobald er auf Thesen stößt, die dem Zeitgeist widersprechen, sofort skeptisch bis misstrauisch wird. Ist das vielleicht Spinnerei, die mich im Verlag meinen Kopf kosten kann?

Herr Hoffmann, zugleich Eigentümer des Metropolis-Verlags und sein eigener Lektor, bildet da eine einsame und rühmenswerte Ausnahme. Er versteht etwas von der Sache, denkt mit, macht auch Einwände oder Vorschläge, aber sein Verlag ist so klein, dass dort gedruckte Bücher unter der Wahrnehmungsschwelle bleiben.

‚Ursünde’ nennen Sie den ‚parasitären Transfer’. So haben es in der Tat auch alttestamentarische Stellen im Hinblick auf das Zinssystem und anschließend die katholische Kirche getan – bis zu dem Zeitpunkt, als die Letztere selbst davon profitierte. Allerdings lässt sich parasitärer Transfer außer durch Zinsen ebenso durch Dividenden und die Erträge aus unverschuldetem Sachkapital, z.B. durch Mieten, erzielen. Für die heutige Argumentation ist es meines Erachtens entscheidend, den diametralen Widerspruch zur Gründungsmaxime demokratischer Gesellschaften hervorzuheben: Sie sind auf individuellem Können, nicht auf Privilegien begründet.

Als Naturwissenschaftler, der es gewohnt ist, seine Argumente mit Zahlen zu unterlegen und möglichst die Methoden bereitzustellen, wie man zu ihnen gelangt, fragen Sie mit Recht: „Was aber ist der messbare, praktische, international akzeptable Indikator für die wirtschaftliche „Ursünde“?

Darauf gibt es leider keine einfache Antwort, weil es sie nicht geben soll! Über die Armut in Deutschland weiß die Wissenschaft bestens bescheid, hier liegt jede Menge an Statistiken vor; was aber den Reichtum der oberen zehn Prozent betrifft, so wird er mit allen Kräften verschleiert, vernebelt, klein geredet und jede Offenlegung als Neiddiskurs verteufelt. Kein Wunder, denn das große Vermögen (welcher Art auch immer) benötigt das Dunkel, um zu gedeihen und sich dem Zugriff von Staat und Allgemeinheit zu entziehen. Im Kapitel ‚Versuchsweise Berechnung des parasitären Transfers’ zeige ich, welche Umwege nötig sind, um überhaupt einigermaßen verlässliche Zahlen zu erhalten. Den Geldfluss von den unteren 90 zu den oberen 10 Prozent habe ich hier zum ersten Mal versuchsweise quantifiziert. Allerdings sind Sie wohl im Recht damit, dass man diese Berechnungen dem Durchschnittsleser nicht zumuten kann. Ich folge Ihrer Anregung und verschiebe das Kapitel geschlossen in den Anhang.

Ihre Frage, „wie es zu bewerten sei, dass es den Deutschen heute besser gehe als vor vierzig Jahren,“ ist wichtig, weil Kritik sonst oberflächlich erscheinen könnte. Ich habe die Antwort an der betreffenden Stelle eingefügt. Das verbesserte Manuskript – die geänderten Stellen sind gelb hinterlegt – habe ich für alle Fälle diesem Schreiben noch hinzugefügt.

Mit besonderem Dank für die Weiterleitung an Herrn Fricke vom Ludwig Verlag und freundlichem Gruß

Gero Jenner

140730Die

Ökonomisc…ankheit.pdf