Reißender Geldstrom von unten nach oben

Eine detaillierte und teilweise korrigierte Darstellung findet sich unter Berechnungen.

In meinem kürzlich erschienenen Buch „Das Pyramidenspiel“ wird erstmals der Versuch unternommen, den Geldfluss von den unteren 90 zu den oberen 10 Prozent quantitativ zu bestimmen. Er beträgt für Deutschland und das Jahr 2001 ca. 177 Mrd. Euro, d. h. etwas mehr als die größte Massensteuer, die Lohnsteuer, die im gleichen Jahr 172 Mr. Euro betrug. Inzwischen sind diese Werte natürlich substanziell gewachsen. Diese »private Besteuerung« übertrifft inzwischen also die am schwersten auf der Bevölkerung lastende staatliche Steuer. Der Staat verteilt jedoch, was er mit der einen Hand schöpft, mit der anderen weitgehend an die Bürger zurück. Die genannten ca. 177 Mrd. privater Besteuerung fließen dagegen ausschließlich in die privaten Taschen einer verschwindenden Minderheit, die sich zum Dank dafür schon jetzt so weit wie nur möglich aus der Solidargemeinschaft verabschiedet hat. Es ist ein unglaublicher Skandal, dass dieser mit jedem Jahr stärker anschwellende Reichtumstransfer von unten nach oben beharrlich verschwiegen wird. Der folgende Text, in der dieser Transfer berechnet wird, gibt den Inhalt einer Fußnote aus dem Buch Das Pyramidenspiel wieder. Die hier entwickelten Formeln sind natürlich in erster Linie für den ökonomischen Analysten von Interesse.

»Über die Einkommens- und Vermögenslage der privaten Haushalte gibt es in unserem Land, obwohl sonst über alles und jedes Berge von Daten gesammelt werden, bemerkenswert wenige Untersuchungen. Ältere Arbeiten stammen von Engels, Mierheim und Wicke sowie von Meinhard Miegel; neuere Untersuchungen von der BBE-Unternehmensberatung (vgl. Grafik von S. 43) und Helmut Creutz, der zuerst die Salden von Zinserträgen und –lasten für zehn nach Einkommen und Vermögen gestaffelte Haushaltsklassen untersuchte (1997:286, 2001:386). Neben den Datenerhebungen von Merrill Lynch und denen des statistischen Bundesamtes für die Verteilung von Geldvermögen habe ich die Angaben zur Einkommensverteilung von Hauser und Becker (Richard Hauser and Irene Becker, Einkommensverteilung im Querschnitt und im Zeitverlauf 1973 bis 1998, Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Bonn:2001) benutzt. Daten zur Verteilung der reinen Konsumanteile der beiden Gruppen (also ohne die jeweiligen Ersparnisse), die korrekterweise benutzt werden müssten, sind mir nicht bekannt. Die Untersuchungen von Merrill Lynch/Cap Gemini Ernst & Young: German Wealth Report 2000, Band Homburg/ München (www.de.cgey.com) ergeben, dass sich 55% der deutschen Geldvermögen in der Hand von 10% der Bevölkerung, 45% dementsprechend in den Händen von 90% der Deutschen befinden. Diese Verteilung der Anteile wird auch durch die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1998 des Statistischen Bundesamts Wiesbaden belegt, dass schon damals für die oberen 10% einen Anteil von 48% ermittelte. Die für 2000 erhobene Verteilung von Merrill Lynch trifft für 2001 natürlich schon nicht mehr ganz zu, sie beschönigt die tatsächliche Situation der unteren neunzig Prozent.

Unter der durchaus realistischen Annahme, dass Aktien etc., die ebenfalls in den Geldvermögen enthalten sind, keineswegs geringere, sondern eher noch größere Gewinne abwerfen als klassische Sparguthaben bei Banken sind, lässt sich aus den Daten das Folgende ableiten. Der Anteil der 90%-Gruppe an den Zinsgewinnen kann maximal nur 45 Prozent betragen, für das Jahr 2001 also insgesamt 382 (= gesamte Zinserträge der Banken) mal 0,45 oder 172 Mrd. € (es ist bloßer Zufall, dass diese Zahl nahezu identisch mit dem unten errechneten Saldenwert von 177 Mrd. € ist). Da die reichste Gruppe im Schnitt aber einen wesentlich günstigeren Zinssatz für ihre langfristige Kapitalanlagen erhält (in der Regel liegen die Zinsen hier doppelt so hoch wie bei den Kleinanlegern, siehe auch Endnoten 76 und 91), verschiebt sich das tatsächliche Verhältnis. Bei vorsichtiger Schätzung erhalten die unteren 90 Prozent bestenfalls 151 Mrd. € (siehe unten). Von diesen Gewinnen ist allerdings ein rundes Fünftel als Gewinn der Banken in Abschlag zu bringen (die Bankmarge ist die Differenz zwischen den – von den Kreditnehmern über die Preise erwirtschafteten und an die Banken abgeführten – Zinserträgen und den tatsächlich an die Gläubiger ausgeschütteten Zinsen, den so genannten Zinsaufwendungen der Banken. Während die Zinserträge sich 2001 auf die genannten 382 Mrd. € beliefen, machten die Zinsaufwendungen um ein Fünftel weniger, nämlich 303 Mrd. €, aus. Die tatsächlichen Zinsgewinne der Gruppe A sind also um ein Fünftel zu reduzieren. Sie betragen dann nur noch 121 Mrd. €.

Von diesen Zinsgewinnen sind die Zinsverluste abzuziehen, welche die 90%-Gruppe der Deutschen über die Preise erleidet. Zu diesem Zweck muss man den Anteil beider Bevölkerungsgruppen an den gesamten Haushaltsausgaben ermitteln, die sich 2001 auf 1218 Mrd. € beliefen. Aus der oben genannten Untersuchung im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung geht hervor, dass 1998 neunzig Prozent der Haushalte über 78% der Einkommen verfügten, 10 Prozent über den Rest von 22%. Die Einkommensverteilung ist natürlich nicht identisch mit den Konsumanteilen, da ein Teil des Einkommens für Ersparnisse genutzt wird, außerdem gelten diese Ergebnisse nur für die alten Bundesländer und nur bis 1998. Da aber keine anderen statistischen Unterlagen vorhanden sind und der für die Mehrheit ungünstige Zinssaldo sich bei Berücksichtigung der dadurch bewirkten Fehler zusätzlich verschärfen würde, fällt dieser Mangel der statistischen Grundlagen weniger ins Gewicht. Die gesamten Zinsabgaben über die Preise (die sich für beide Gruppe auf die schon genannte Summe der Zinserträge von 382 Mrd. € addieren) entsprechen dann dem Konsumanteil beider Gruppen. Der Zinsverlust für die große Gruppe der 90 Prozent Bevölkerungsmehrheit beläuft sich demnach auf etwa 298 Mrd. € (382 mal 0,78). Zieht man diese Summe von den zuvor ermittelten Zinsgewinnen in Höhe von 121 Mrd. ab, so ergeben sich minus 177 Mrd. €. Grob gerechnet, ist das der Betrag, den die unteren 90 Prozent an ihre reichen Nachbarn nach oben abgeben. Diese 177 Mrd. € werden der Bevölkerungsmehrheit effektiv entzogen und somit von ihnen nach oben umverteilt.

Im Einzelnen liegen die folgenden Berechnungen zugrunde. Wenn die Bevölkerung in zwei Gruppen aufgeteilt wird, die Gruppe A (nach Geldvermögen und Einkommen die unteren 90%) und die Gruppe B (nach Geldvermögen und Einkommen die oberen 10%) und die Anteile am Geldvermögen 45% für die untere und 55% für die obere Gruppe beträgt, während die Anteile der jeweiligen Haushaltsausgaben sich auf 78% für die untere und 22% für die obere Gruppe belaufen, dann lässt sich der Saldo für beide Grup­pen nach der folgenden Formel errechnen (wobei E = Zinserträge der Banken, Va = Geldvermögensanteil von Gruppe A, Ka = Konsumanteil von Gruppe A usw.):

Salden der Gruppen A und B (ohne Berücksichtigung der 20% Bankmarge bei den Zinsgewinnen und dem höheren Zinssatz der Gruppe B)

 

Zinsgew. – Zinsverl.                                        Zinsgew. – Zinsverl.

A:            E*Va   – E*Ka =                                          382*0,45 – 382*0,78= -126

172 minus 298

B:             E*Vb    – E*Kb =                                         382*0,55 – 382*0,22=  126

210 minus 84

 

Die Salden unterscheiden sich natürlich nur durch das Vorzeichen – was die einen verlieren, das gewinnen die anderen. Sind die Geldvermögens- und Konsumanteile einer Gruppe identisch, dann ist der Saldo gleich Null und es findet kein Transfer statt. Generell ist der Saldo für eine Gruppe umso ungünstiger je geringer ihr Geldvermögensanteil und je größer ihr Konsumanteil. Das ist nur scheinbar paradox. Wenn in einem bitterarmen Land die Mehrheit der Menschen nur von der eigenen Scholle lebt, also nichts konsumiert, dann zahlt sie auch keine Zinsen über die Preise.

Die obigen Salden bedürfen allerdings noch der Korrektur durch den Faktor ‚f’, welcher den größeren Anteil der Gruppe B aufgrund höherer Zinssätze berücksichtigt. Geht man in zurückhaltender Schätzung davon aus, dass die obere Gruppe 25% mehr an Zinsen erhält, also der Faktor ‚f’ = 1,25 wird, dann ergeben sich folgende Werte:

 

Zinsgew.      – Zinsverl.                                         Zinsgew.           – Zinsverl.

A: E*(Va/(Va + f*Vb)) – E*Ka =                        382*(0,45/(0,45+1,25*0,55))-382*0,78        =   -147

151      minus  298

B: E*(f*Vb/(Va + f*Vb))–E*Kb =                      382*(1,25*0,55/(0,45+1,25*0,55))-382*0,22=   147

231      minus  84

 

In diesen Salden für die Gruppen A (90%) und B (10%) ist die Bankmarge von zwanzig Prozent noch nicht berücksichtigt. Um den tatsächlichen Saldo für Gruppe A zu berechnen, muss man diese 20% von den 151 Mrd. € Zinsgewinnen abziehen, dann ergeben sich 121 Mrd. Erst davon sind dann die Zinsverluste in Höhe von 298 Mrd. zu subtrahieren. Daraus ergibt sich dann 121-298= -177 Mrd. €. Dies ist der Wert, den ich im Text benutze. Er liegt auf jeden Fall unterhalb des tatsächlichen Transfers, da ich für den Faktor ‚f’ nur eine minimale Steigerung von 25 Prozent gerechnet habe.«