Mögliche, unmögliche und wahrscheinliche Wege aus der Krise

A) Ursachenanalyse:

Die Krise kommt nicht aus der Real- sondern aus der Finanzwirtschaft, und zwar wird sie durch die gewaltige, sich von Jahr zu Jahr vermehrende Last verursacht, die die erstere aufgrund der wachsenden Guthaben=Schulden tragen muss. Während das deutsche Inlandsprodukt zwischen 1950 bis 2005 inflationsbereinigt um das Achtfache zunahm, vergrößerten sich die Guthaben=Schulden um das 45-fache. Der Druck der nach Veranlagung (Schuldnern) suchenden Guthaben äußerte sich 2007 wie 1929 darin, dass die Banken das Geld beinahe jedem nachgeworfen haben, der nur irgendwie als Schuldner in Frage kam (Minsky*, Wray*). Damals wie heute musste das in dem Augenblick zur Panik bei den Geldgebern führen, als diese bemerkten, dass viele Schuldner zahlungsunfähig waren. Die eigentliche Ursache der Krise ist nicht fehlende Regulierung – so schädlich diese ist, hat sie doch nur den Anlass geliefert – das wirkliche Übel ist das exponentielle Anwachsen der Guthaben=Schulden. Diese Ursache wird von sämtlichen Medien ausgeblendet, allenfalls wird verschämt von einer Kreditblase gesprochen. Selbst der sonst sehr kritische Stephan Schulmeister drückt sich hier sehr vorsichtig aus. Dabei werden die äußeren Symptome und Folgen der Guthaben=Schuldenlast sehr wohl scharf ins Auge gefasst (Wachsende Ungleichheit wird bei Krugman, Wray* und vielen anderen thematisiert).
Die Auswirkungen jeder großen Finanzkrise auf die Realwirtschaft sind deswegen so verheerend, weil die Panik der Anleger zu genereller Verunsicherung führt. Nicht nur das Geld der großen Vermögensbesitzer sondern sehr schnell auch das des Durchschnittsverdieners gelangt nicht mehr in den Geldkreislauf. Die Realwirtschaft erhält keine Kredite mehr, die Menschen geben aus Zukunftsangst nichts mehr für den Konsum aus. Beides zusammen lässt die Produktion zusammenbrechen: es droht Massenarbeitslosigkeit.

 

B) Mögliche Wege aus der Krise:

1) Nichtstun
wie in der ersten Zeit nach 1929. Dann tritt ein Reset des Systems ein. Die großen Vermögen werden vernichtet und damit auch der Schuldenberg. Zur gleichen Zeit aber werden auch das Bankensystem und große Teile der (nicht mehr produzierenden) Produktionsanlagen zerstört. Der Schaden ist dem eines Krieges vergleichbar, wo nach der Zerstörung von Infrastruktur und Fabriken unermessliches menschliches Leid entsteht (wie heute im Irak und in Europa durch den zweiten Weltkrieg). Auf einer tabula rasa der zerstörten Sach- und Geldvermögen beginnt das finanzkapitalistische Karussell sich dann von neuem zu drehen.

2) Maßnahmen zur Symptombekämpfung:

a) Rettung des Bankensystems mit öffentlichen Geldern.
Unerlässliche Notmaßnahme, die aber die Guthaben=Schuldenlast weiter vergrößert und daher den nächsten Kollaps vorbereitet. Nur vertretbar gemeinsam mit 3) Maßnahmen zur Ursachenbekämpfung, siehe unten.
b) Re-regulierung des Bankensystems, vor allem Trennung der Investmentaktivitäten vom klassischen Bankgeschäft der Einlagen und Kredite, Beaufsichtigung der Ratingagenturen (Paul Davidson*, Wray*). Dabei zeitlich begrenzte Verstaatlichung der vom Staat gestützten Banken wie unter Roosevelt (Wray*). All dies sind notwendige Eingriffe, die aber nichts an den tiefer liegenden Ursachen ändern – siehe 3).

b) Belebung des Konsums durch staatliche Nachfrage nach Keynes (Paul Davidson*, Wray*). Investitionen in erneuerbare Energien und Bildung gehören heute zu den vordringlichsten Investitionen überhaupt. Aber die staatliche Nachfrage vergrößert die Schuldenlast und trägt damit ihrerseits zu einer Verstärkung der Krisenursachen bei. Daher vertretbar nur zusammen mit 3) Maßnahmen zur Ursachenbekämpfung, siehe unten.

c) Konsumstimulierung durch Steuernachlässe. Sie dürfte, wie Stephan Schulmeister kürzlich in einem ORF-Interview mit Recht kritisierte, weitgehend wirkungslos sein. In Zeiten der Verunsicherung tritt Angstsparen ein. Durch Steuernachlass dazugewonnenes Geld wird dann ebenfalls für die Zukunft zur Seite gelegt. So war es in Japan während der neunziger Jahre. Nur wenn sich der Steuernachlass strikt auf die Ärmsten beschränkt, ist davon eine Belebung des Konsums zu erwarten. Würde man allerdings den Steuernachlass für die Ärmsten mit einer gleich großen Steuererhöhung auf die großen Vermögen verbinden, dann wäre das auch ein Kampf gegen die Ursachen der Krise. Der Staat würde sich zudem nicht weiter verschulden müssen. Weder in Deutschland noch in Österreich sind die großen Parteien zu einem solchen Vorgehen bereit.
d) Politischer Druck auf die EZB, um den Zins gegen Null zu senken (Heiner Flassbeck*). Verhindert das Anwachsen der großen Vermögen durch den Zinsmechanismus, bläht aber den Finanzsektor weiter auf (auch wenn Flassbeck das bestreitet). Da unter den Beteiligten des Finanzsektors weitgehend Nullsummenspiele stattfinden, wäre das zu verschmerzen, würden die Erschütterungen in diesem Bereich die Realwirtschaft nicht so sehr in Mitleidenschaft ziehen. Außerdem hindert ein realer Nullzins die Anleger nicht daran, in Sachen (Öl, Getreide, Wasser etc.) zu investieren, deren Preis sich in Zeiten der Krise erhöhen wird. Wesentlicher Einwand ist aber, dass ein fortschreitendes Absenken der realen Zinsen (ohne gleichzeitige Inflation) den Weg in die Deflation bereitet – siehe unten 3).

e) Konsumstimulierung durch gezielte, dabei möglichst konstante und daher berechenbare Inflation, zusammen mit einem Realzins von null oder besser noch negativ. Die Inflation hindert große wie kleine Vermögen daran, ihr Geld zu horten, also es aus dem Kreislauf zu ziehen. Ein Realzins von Null verhindert überdies die weitere Aufblähung der Guthaben=Schulden. Würde man die nach 1945 wohlweislich eingeführten Kapitalverkehrskontrollen wieder beleben, dann ließe sich auch die Flucht der großen Vermögen ins Ausland verhindern. Geld wird kräftig in den Konsum gepeitscht. Das nützt zuerst einmal den Unternehmen, deren Produktion keine Einbußen erleidet. Da der Anreiz der Zinsen fehlt, fließt allerdings überschüssiges Geld am Bankensystem und an Investitionen vorbei an die Börsen, bläht also wieder die Finanzwirtschaft auf. Außerdem werden nicht nur die großen Geldvermögen sondern auch die kleinen Ersparnisse von der Inflation weggefressen. Die großen Sachvermögen – Geld, das sich rechtzeitig in reale Anlagen gerettet hat – bleiben dagegen erhalten und werden durch Investitionen in knappe Güter (Öl, Getreide etc.) weiter vermehrt. Der Staat könnte den kleinen Sparern bis zu einer Höchstgrenze den Realwert ihrer Einlagen garantieren und die fehlende Bereitschaft oder Fähigkeit der Banken, weiterhin Kredite an kleine und mittlere Unternehmen zu vergeben, dadurch ersetzen, dass er sichere Schuldverschreibungen zu einem realen Zins von Null auflegt und diese Gelder gegen einen etwas größeren Realzins als Null in Form von Krediten an die durch den stimulierten Konsum jetzt durchaus lebensfähigen kleinen und mittleren Unternehmen vergibt. Das ungebrochene Steueraufkommen durch diese Stützung der Realwirtschaft würde solche Staatsausgaben finanzieren. Bei richtiger Dosierung kann diese Maßnahme den Überhang der großen Geldvermögen, also die Krisenursachen, wenigstens teilweise mindern. Dieses Vorgehen ähnelt dem in Japan praktizierten.
Die Option der Konsumstimulierung durch gezielte Inflation begünstigt aber eine Verarmung der unteren Schichten einschließlich der Pensionisten, wenn der Staat nicht darüber wacht, dass die Einkommen jährlich an die Inflation angepasst werden. Da dies kaum möglich ist, dürfte der politische Protest von Reich und Arm gleichermaßen lautstark erfolgen.
Mit fortschreitender Verschärfung der Krise bleibt Inflation aufgrund der exorbitanten Garantieverpflichtungen, die der Staat gegenüber Banken und Sparern einging, allerdings durchaus wahrscheinlich: Im Ernstfall kann er ihnen nur mit dem Anwerfen der Notenpresse nachkommen.

3) Maßnahmen zur Ursachenbekämpfung

Alle Maßnahmen, die sich gegen die Folgen der Krise in der Realwirtschaft richten, bleiben auf längere Sicht unwirksam, wenn die Ursachen in der Finanzwirtschaft nicht im gleichen Maße eingedämmt und schließlich behoben werden.
Das Vorgehen gegen die Ursachen der Krise verlangt einen Abbau des Schuldenbergs, d.h. eine Reduktion der großen Guthaben, die, wie schon gesagt, in Deutschland von 1950 bis 2005 inflationsbereinigt auf das 45-fache anwuchsen, während im gleichen Zeitraum die volkswirtschaftliche Leistung sich „nur“ um das 8-fache steigern konnte. Die Vermögen wuchsen also im Vergleich 6,13 mal schneller. Diese Guthabenlast wird mit Zinsen und Dividenden bedient, deren Summe sich inzwischen auf ein Drittel des gesamten verfügbaren Haushaltseinkommens beläuft: Jeder dritte Euro im Konsum der Deutschen wird für den Zinsendienst aufgebracht. Wie ich nachwies, fließt aus dieser Summe ein Geldstrom in Höhe der größten Massensteuer (Lohnsteuer) aus den Taschen der unteren 90 in die Kassen der oberen zehn Prozent. Dass die Realwirtschaft unter dieser täglich wachsenden Last leistungsloser Einkommen irgendwann in die Knie gehen musste, stand von Anfang an fest. Nur der Zeitpunkt und der konkrete Anlass sind unvorhersehbar.
Die Herabsetzung des realen Zinsniveaus auf Null oder darunter würde die Verschuldung von Staat und Unternehmen erträglich machen, nur ist sie kontraproduktiv, denn dann sind die großen Vermögensbesitzer nicht länger bereit, ihr Geld zu verleihen. So geschehen nach 1929 und im Japan der neunziger Jahre. Das Geld wandert in die Tresore der Privatleute oder Banken. Der Kreislauf des Geldes und anschließend der der Güter gerät ins Stocken: Deflation und ein allgemeiner Zusammenbruch der Realwirtschaft sind die Folge.
Solange es den Vermögensbesitzern möglich ist, Geld, ein öffentliches Gut, einfach aus dem Verkehr zu ziehen, wenn die Allgemeinheit das von ihnen verlangte leistungsloses Einkommen (Zinsen und Dividenden) nicht gewähren will oder kann, ist dieser Konsequenz nicht zu entkommen. Hier liegt ein Fehler des herrschenden Geldsystems. So notwendig ein gegen Null oder darunter fallender Realzins in Zeiten der Krise wäre, er bleibt unrealisierbar, zumindest wenn man ihn nicht gleichzeitig mit Inflation verbindet – wodurch man sich aber, wie wir sahen, andere nicht weniger gefährliche Folgen einhandelt.

Brauchbare Ursachenbekämpfung (ohne Geldreform):

Eine hohe und progressive Besteuerung der großen Vermögen, damit diese eine bestimmte maximale Größe gar nicht erst überschreiten können. Mehr oder weniger konsequent wird diese Lösung in skandinavischen Ländern angewendet – auch in Japan war bis Anfang der neunziger Jahre die Einkommensschere erstaunlich gering. Wie wir wissen, vertrug sich diese Sozialpolitik in den genannten Ländern mit großem wirtschaftlichem Erfolg und einem hohen Lebensniveau der Bürger. Allerdings setzt dies die Existenz eines Überwachungsstaates voraus, der mit Argusaugen über den Einkommen seiner Bürger wacht, vor allem über jenem selbstdeklarierten oder durch Bankgeheimnis geschützten Teil, der sich der Steuer so leicht entziehen lässt. Jede Nachlässigkeit in der Überwachungspraxis kann sofort wieder zu einer Aufblähung der Vermögen durch leistungslose Einkommen führen, die dann auch noch propagandistisch als Weg zur Freiheit und Aufhebung der Unmündigkeit dargestellt wird. Mit anderen Worten, diese Praxis der Überwachung ist der Preis für den zuvor beschriebenen Fehler des Geldsystems, jenen Fehler, der es den Vermögenden erlaubt, die Allgemeinheit zur Zahlung von Zinsen und Dividenden zu zwingen.

Dauerhafte Lösung:

Reform des Geldsystems in dem Sinne, dass dieses nicht weiter die Entstehung von leistungslosen Einkommen erzwingt.

Die Diagnose der Krise wird weder in Deutschland noch in Österreich offen angesprochen. Im Gegenteil, sie wird in allen Gesprächen sorgsam ausgeklammert. Man beschränkt sich auf den vordergründigen Anlass (Subprime crisis, Spekulation, Deregulierung etc.). Ebensowenig wird offen über die Therapie geredet; auch hier begnügt man sich mit Symptombekämpfung. Noch sind die Kräfte zu stark, die die Krise bewirkten. Solange diese noch nicht ihre ganze Zerstörungskraft entfaltet, wird das wohl so bleiben.

*Paul Davidson: HOW TO SOLVE THE U.S. HOUSING PROBLEM AND AVOID A RECESSION: A REVIVED HOLC AND RTC
*Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker: Die Europäische Zentralbank versagt
*L. Randall Wray: FINANCIAL MARKETS MELTDOWN – What CanWe Learn from Minsky?